PRO: Die Mehrheit der Menschen blickt negativ in die Zukunft, wenn es um die Gesellschaft insgesamt geht, aber positiver auf die eigene Zukunft. Woran liegt das?
Andreas Krafft: Ein Negativitäts-Bias, also eine Verzerrung unserer Wahrnehmung in Richtung Negativität, ist in uns angelegt. Schlechte Nachrichten nehmen wir viel aufmerksamer wahr als positive. Das sieht man auch an den Medien: Sie verkaufen sich besser, wenn sie negative Informationen vermitteln.
Hoffnung ist in uns aber genauso angelegt – die Hoffnung, dass wir uns weiterentwickeln und das Leben gestalten können. Dazu kommt, dass unsere Selbstwahrnehmung oft positiv verzerrt ist. Wer raucht, weiß um das Gesundheitsrisiko, geht aber davon aus, dass es ihn schon nicht erwischen wird. Wir haben das Gefühl, dass wir das Risiko im Griff haben und beeinflussen können. Was ich nicht kontrollieren kann, bewerte ich grundsätzlich negativer.
Die Hoffnungswerte steigen mit dem Alter. Je jünger die Menschen, desto geringer ist ihre Hoffnung. Was ist der Grund dafür?
Jüngere Menschen haben noch nicht so oft die Erfahrung gemacht, dass eine Krise sie nicht umwirft. Wenn die erste Liebe in die Brüche geht, ist das für einen jungen Menschen ein Weltuntergang. Sie haben meist auch noch nicht so ein gefestigtes soziales Netz und weniger Geld. Es hängt also mit der Erfahrung und der Lebenssituation der Generation zusammen.
Problematisch wird es dann, wenn diese Labilität dazu führt, dass junge Menschen gar nicht an den Punkt kommen, etwas tun und verändern zu wollen. Wenn man sich allein und überfordert fühlt, kann eine Krise zu Depressionen bis hin zu Suizidgedanken führen. Das beobachten wir bei jungen Menschen heute vermehrt.
Was hilft gegen diese Hoffnungslosigkeit?
Junge Menschen müssen erst einmal ihre Stärken erkennen und lernen, das Positive an sich und der Welt zu sehen. Das ist ein Blickwechsel weg von den Defiziten hin zum Guten. Mit diesem Fundament können sie erleben, dass sie die Zukunft gestalten können, indem sie sich für etwas engagieren. Und es ist wichtig, gute Beziehungen aufzubauen und zu stärken. Denn sie sind in Krisen ein großer Halt und ein wesentlicher Aspekt für Hoffnung.
Dr. Andreas Krafft ist Ökonom, Fachmann für Positive Psychologie und Co-Präsident von swissfuture, der Schweizer Vereinigung für Zukunftsforschung. Er ist als Dozent unter anderem an der Universität St. Gallen und der Freien Universität Berlin tätig. Krafft leitet das internationale Forschungsnetzwerk „Hoffnungsbarometer“. Zudem hat er eine „Hoffnungswerkstatt“ entwickelt, in der etwa Schüler lernen, ihre persönlichen Stärken zu entdecken und eine aktive und hoffnungsvolle Perspektive auf die Welt zu entwickeln.
Das „Hoffnungsbarometer“ haben Sie in mehr als zehn Ländern erhoben. Was können wir Mitteleuropäer von anderen lernen?
Die Menschen in den verschiedenen Ländern unterscheiden sich zum Teil darin, worauf sie hoffen. In manchen ärmeren Ländern wie Indien oder Südafrika hoffen die Menschen sehr viel stärker als in Europa auf materiellen Wohlstand, technologischen Fortschritt, sichere Arbeit – Dinge, die unsere Gesellschaften bereits prägen.
Es stärkt auch die kollektive Hoffnung, wenn eine Gesellschaft schon einmal erlebt hat, dass sie eine Krise überwinden konnte. In Deutschland wäre das vielleicht die Wiedervereinigung, in Kolumbien das Ende des Bürgerkriegs. Und es spielt eine Rolle, ob man eher eine individualistische oder eher soziale Gesellschaft ist und in welchem Maße sie religiös geprägt ist.
Wie wirkt sich das aus?
Ein Land wie Portugal zum Beispiel ist viel kollektivistischer organisiert. Es geht mehr darum: Was machen wir gemeinsam? Da gibt es eine ganz andere Grundlage für eine gemeinsame, soziale Hoffnung. Spanien ist eine sehr individualistische Gesellschaft. Aber Portugal hat, obwohl es ärmer ist als Spanien, höhere Hoffnungswerte, weil der gesellschaftliche Zusammenhalt stärker ist.
Und dann gibt es Länder wie Südafrika oder Indien, wo ein religiöser Glaube stark verankert ist. Dort stellt er eine ganz wichtige Quelle von Hoffnung dar, was in säkularen Ländern wie der Schweiz oder Tschechien überhaupt nicht mehr der Fall ist.
Wie kann der Glaube eine Quelle der Hoffnung sein?
Es wird Momente im Leben geben, wo ich mit meinen eigenen Fähigkeiten an Grenzen stoße. Deshalb sind die sozialen Beziehungen und die Religiosität wichtig als Quelle der Hoffnung. Wenn ich das Bild eines strafenden Gottes habe, ist das in einer ausweglosen Situation nicht förderlich. Wenn ich an einen gütigen, allmächtigen Gott glaube, dem ich vertrauen kann, dass er eingreift und mich nicht im Stich lässt, dann schöpfe ich daraus Hoffnung. Das hilft mir, aktiv zu werden: Ich tue alles, was möglich ist und überlasse Gott, was unmöglich erscheint.
Vielen Dank für das Gespräch!