Präsident George W. Bush ruft ab und zu an, um sich nach seinem Befinden zu informieren, und auch die britische Königin Elisabeth fragt in einem Brief nach ihm. Doch ansonsten spielt sich der Ruhestand des bekannten Mannes fernab der internationalen Politik ab. Er ist vor allem geprägt von der Gewissheit, eines Tages in die Gegenwart eines liebenden Gottes treten zu können.
Billy Graham, der mit seiner Frau Ruth in einem Haus auf einem Berg in Montreat, North Carolina, wohnt, hat dem amerikanischen Magazin „Newsweek“ ein ausführliches Interview gegeben. Der Reporter Jon Meacham berichtet in seinem Artikel „Pilgrim’s Progress“ („Die Entwicklung eines Pilgers“) von der Begegnung. Er erscheint in der kommenden Ausgabe am 14. August.
Graham benutzt ein Krankenhausbett. Er hat Schwierigkeiten, sich an den für ihn so wichtigen Psalm 23 zu erinnern und ihn für den Reporter zu rezitieren. „Der Mann, der mehr Menschen das Evangelium gepredigt hat als sonst jemand in der Geschichte, mag es nicht, wichtige Verse aus der Bibel zu vergessen“, schreibt Jon Meacham. Wie das Lesen der Bibel falle ihm auch das Gehen immer schwerer. Doch statt sich zurückzuziehen und mit seiner Familie die letzten Jahre seines Lebens zu genießen, glaubt Graham, er könnte noch zu einer letzten Mission berufen werden: weiter im Glauben zu kämpfen, zu beten und das mit anderen zu teilen, was er in seinem Alter fühlt, sieht und erkennt.
Alt werden heißt Gott lieben
„Mein ganzes Leben hat man mir beigebracht, wie man stirbt, aber niemand hat mir beigebracht, wie man alt wird“, sagte er einmal zu seiner Tochter Anne Graham Lotz. Diese erzählt: „Ich sagte ihm: ‚Tja, Daddy, jetzt bringst Du es uns allen bei'“. Die Kunst des Alterns sei es, alle sekundären Dinge wie Politik hinter sich zu lassen und sich auf die primären Dinge zu konzentrieren. „Und für Daddy ist das primäre Ding, wie Jesus sagte, zu versuchen, Gott vollständig zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben.“ Dies sei sozusagen Grahams „letztes Testament“, findet der Autor.
Graham, der sich zeit seines Lebens zu allen wichtigen gesellschaftlichen Themen geäußert hat, dessen Meinung vielen Menschen wichtig war, gibt nun keine politischen Ratschläge mehr und berät keinen US-Präsidenten mehr, wie er es seit Dwight Eisenhower bei zehn Amtsinhabern getan hatte.
Dennoch beobachte er von seinem Berg aus nach wie vor das Weltgeschehen. Ein riesiger Fernseher steht in einer Ecke seiner Wohnung. „Graham ist nach wie vor ein Nachrichten-Junkie.“ Er verfolgt etwa die Entwicklungen im Nahen Osten. „Ich glaube, dass die Geschichte dort begann, und dass sie dort enden wird“, ist Graham überzeugt. Die ganze Bibel konzentriere sich auf den Nahen Osten. „Ich bete, dass sie irgendwie eine Lösung finden. Ich bin nicht sicher, ob sie jemals eine anhaltende Lösung finden werden. Christus, von dem ich glaube, dass er zurückkommen wird, wird alle diese Dinge zu einer großen Periode der Gerechtigkeit ordnen.“
„Konservativ, aber nicht fundamentalistisch“
Graham wurde 1918 von presbyterianischen Eltern geboren. Er studierte am Bob Jones College und später am Florida Bible College. 1939 wurde er zum Baptisten-Pastor ordiniert. Durch Evangelisationsveranstaltungen wurde er immer bekannter. In den 60er Jahren setzte er sich für die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen ein. 1965 lehnte er einen Protest gegen den Vietnam-Krieg ab. Später bereiste er alle Kontinente. „Er vertrat stets ein konservatives, aber kein fundamentalistisches Christentum“, so „Newsweek“.
1999 wurde er gesundheitlich sehr eingeschränkt. Es folgten Operationen an Hüfte, Becken und im Gehirn. Derzeit leidet er an Prostata-Krebs und hat Dränagen im Gehirn. Trotz seiner Krankheit predigte er im Sommer 2005 zum letzten Mal öffentlich in New York. „Er ist ein Mann mit felsenfestem Glauben, der es ablehnt, zu verurteilen“, resümiert „Newsweek“-Autor Meacham, „ein standfester sozialer Konservativer im Privaten, der die Sünde hasst, aber den Sünder liebt.“
Seine Bücher sind Bestseller und seine Meinung ist gefragt. Er ist immer noch kontrovers und streitbar. Für ihn hat die Liebe Gottes zu allen Menschen oberste Priorität. „Je älter ich werde, desto wichtiger werden für mich persönlich die ewigen Dinge“, sagt Graham.
„Mein Vater hat seine Ansichten in der Politik“, sagte Billys Sohn Franklin (54). Nun gehe er damit jedoch nicht mehr an die Öffentlichkeit. Franklin Graham ist Gründer der christlichen Hilfs- und Evangelisationsorganisation „Samaritan’s Purse“. „Mein Vater glaubt nicht, dass Gott ihn dazu berufen hat, gegen eine besondere Sünde zu predigen. Er ist gegen jede Sünde, und er glaubt, dass das Herz eines Menschen durch Christus geändert werden muss. Er lässt sich in die politischen Angelegenheiten nicht mit reinziehen, und er findet, dass er das ganz richtig macht.“
Grahams Frau Ruth freut sich über den nun geruhsamen Lebensabend mit ihrem Mann: „Der jetzige Lebensabschnitt ist wunderbar für uns beide. Wir haben nie eine solche Liebe verspürt wie jetzt – wir fühlen das Herz des jeweils anderen.“
Graham selbst ist sich sicher, dass alle seine Sünden durch das Blut Jesu vergeben sind, so „Newsweek“. „Ich habe eine Sicherheit darüber, dass die Ewigkeit eine wunderbare Sache ist und danke Gott für diese Sicherheit. Ich fürchte den Tod nicht. Vielleicht ein bisschen den Vorgang, aber nicht den Tod selbst, denn ich glaube, dass ich in dem Moment, wo mein Geist meinen Körper verlässt, in der Gegenwart des Herrn sein werde.“
Den „Newsweek“-Artikel können Sie (auf Englisch) online lesen unter http://www.msnbc.msn.com/id/14204483.