Bild-Reporter: „Mein Gewissen gilt immer“

Ralf Schuler betreut als politischer Redakteur der Bild-Zeitung die Unionsparteien nebst Kanzlerin. Der gelernte Mechaniker kam über Glühfäden und Chemikalien zum Journalismus.
Von PRO
Ralf Schuler, Jahrgang 1965, absolvierte nach dem Abitur eine Mechanikerlehre. 1985 begann er bei der Neuen Zeit, war von 1995 bis 1998 Redakteur der Tageszeitung Die Welt, danach bis 2010 Politikchef der Märkischen Allgemeinen. Seit 2011 ist er Leiter der Parlamentsredaktion von Bild. Vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger wurde er 1993 mit dem Theodor-Wolff-Preis geehrt.

Ralf Schuler leitet die Parlamentsredaktion der Bild-Zeitung in Berlin. Die wenigen Blocks bis zum vereinbarten Gesprächsort hat er zu Fuß zurückgelegt. Der kernige Mann, der pünktlich in dunkelgrauem Jackett und Jeans zum vereinbarten Termin erscheint, kann zupacken. Das merkt man am festen Händedruck. Sein Handwerkszeug ist jedoch fein. Zwei edle Stifte der Firma Mont Blanc stecken in der Brusttasche des weiß-grau-gestreiften Hemdes. Das Smartphone schaltet er zum Gespräch stumm. Es wird während des Gesprächs unentwegt vibrieren und nach seinem Eigentümer verlangen. Der lässt sich jedoch keine Sekunde ablenken. Wie tickt der Mensch, der in Deutschlands auflagenstärkster Boulevard-Zeitung zwischen vielen nackten Tatsachen der Titelseite und jeder Menge Fußball über Politik schreibt?

„Ich habe kein Problem damit, dass man all denen, die sich nicht in hohen Abstraktionsebenen der bürgerlichen Intelligenzpresse wiederfinden und in langen Bleitraktaten ihre Unterhaltung finden, das liefert, was sie interessiert“, sagt der Politik-Chef über den Duktus anderer Zeitungen. Auch Klatsch und Tratsch bis Dschungel-Camp, das sei alles menschlich und somit in Ordnung für ihn. „Ich bin nicht der Erzieher der Menschen“, sagt Schuler. Er sagt von sich, dass er ein wertkonservativer Mensch ist. Grenzen hat der Journalismus für ihn bei den „Kernbereichen des Existenziellen“. Er nennt ein Beispiel: „Es gab mal eine Online-Reportage einer renommierten Wochenzeitung über eine Tochter, die ihrer Mutter Unterstützung bei der Sterbehilfe geleistet hat. Da war minutiös beschrieben, wie sie ihr das Kissen auf Gesicht drückt, wie sich der Körper wehrt … Das war kaum zu ertragen. Das ist ein Voyeurismus, der nicht mehr angebracht ist. Das würde ich nicht bringen.“ Klar, die Geschmacksfragen seien unterschiedlich, die Maßstäbe auch. „Im Glimmer- und Glitter-Gewerbe von Stars und Sternchen irgendwo auf Luxus-Yachten besteht keine Gefahr, Persönlichkeitsrechte intim zu verletzen. Bei vielen gehört das zum Geschäftsmodell“, sagt er. „Wenn man Menschen medial erreichen will, muss man sehr konkret sein. Das finde ich das Schöne am Boulevard, dass man sich nie abstrakte Schwurbeleien leisten kann.“

Er ist nah dran an den Mächtigen im Land, vor allem an den Unionsparteien. Die hat er zu beackern. „Die Union möchte die Welt irgendwie bewahren und möglichst dabei an der Macht bleiben“, resümiert er. Sein christlicher Glaube ist im Job vordergründig kein Thema, es sei denn, als ethischer Kompass. Er beklagt, dass das Christliche in der Union zerbröckelt. Nicht so bei ihm. Zu seinem christlichen Wertegerüst gehört, dass menschliches Leben tabu ist. „Ich taste das menschliche Leben am Beginn und am Ende nicht an. Ich könnte auch niemals dabei helfen, es zu beenden. Das liegt nicht in meiner Hand.“ Anders sehe das die Union. Wenn sie merke, dass Sterbehilfe in der Bevölkerung eine Mehrheit erhält, habe sie keine Schwierigkeit, das als Gewissensentscheidung abstimmen zu lassen, behauptet Schuler.

Dem Journalisten Ralf Schuler sind diese drei Dinge wichtig. Foto: pro
Dem Journalisten Ralf Schuler sind diese drei Dinge wichtig.

Das Gewissen gilt – immer

Selber zu ethischen Grundsätzen stehen, aber nüchtern berichten, ist seine Devise. „Ein Gewissen habe ich, oder ich habe es nicht. Jedenfalls kann ich es nicht abschalten“, sagt er über sich selbst und verdeutlicht das Dilemma, in dem viele Politiker stecken, an der „Ehe für alle“: Die sei etwa zehnmal im Parlament zur Abstimmung gestellt worden und die Union habe immer dagegen gestimmt. „Da spielte das Gewissen keine Rolle. Plötzlich sagt die Kanzlerin: Jetzt Gewissen. Auf einmal darf man es benutzen. Gewissen auf Zuruf und Genehmigung. Das könnte ich nicht akzeptieren. Mein Gewissen gilt immer. Hoffe ich zumindest.“ Schuler vertritt die unbedingte Annahme jedes Menschen als das, was er ist. Abneigungen gegen Homosexuelle sind deshalb aus seiner Sicht mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar. Aus seiner christlichen Weltsicht ergeben sich für Schuler auch Folgerungen für seine journalistische Tätigkeit. Es gehöre zur Boulevard-Technik, dass man Menschen Schlagwort-Namen gebe. „Florida-Rolf“ oder „Gier-Boss“ beispielsweise. „Wenn das Etikett zum Ersatz für die Person wird, ziehe ich eine Grenze. Franz-Peter Tebartz-van Elst hieß immer der ‚Protz-Bischof‘. Wenn das synonymisch durch den ganzen Text gezogen wird, ist das nicht akzeptabel, weil dadurch die Person angetastet wird.“

Überrumpelt vom DDR-Bekenntniszwang

Schulers Büro in der Axel-Springer-Straße ist nur einen Steinwurf vom Checkpoint Charlie, der ehemaligen Grenze zwischen Ost und West, entfernt. Er ist in Ost-Berlin aufgewachsen. Seine Großeltern hatten in der DDR eine Bäckerei, die über 100 Jahre in Familienbesitz war. „Wir waren Klassenfeinde. Wenn wir aus dem Haus gingen, waren wir im Feindesland“, erklärt er. Private Unternehmungen passten nicht in das System. Ende der Achtzigerjahre enteignete der Staat den Betrieb.

Schon als Kind ging Schuler mit seinen Eltern in die Schlosskirchengemeinde in Köpenick, ließ sich konfirmieren. Anfangs, sagt er rückblickend, sei er, aus christlichem Elternhaus stammend, gutgläubig in die Schule gegangen. Eine Situation beschäftigt ihn bis heute, „wahrscheinlich wird mich die ewig verfolgen“. Schuler zitierte in einer Geschichtsstunde über den 30-jährigen Krieg aus der Bibel: „Wer das Schwert zieht, wird durch das Schwert umkommen.“ Die Lehrerin merkte auf. „Ich musste aufstehen und sagen, ob ich zur Jungen Gemeinde gehe.“ Schuler fühlte sich überrumpelt und erwischt. Weil er eine üble Ahnung hatte, sagt er: „Nein.“ Hinterher stellte ihn eine Klassenkameradin, die von seinem Glauben wusste, zur Rede. „Das hat mich umgehauen, dass ich das Innerste, was mir wichtig war, verborgen hatte.“ Sein Gewissen ist noch heute davon berührt. Schuler fasste den Entschluss, so etwas nie wieder zu tun. Auch die Stasi trat an ihn heran, wollte seine Theatergruppe ausspionieren. „Nein, es gibt eine Grenze. Bestimmte Werte überschreitest du nicht. Da ist Schluss“, habe er sich gesagt. Den ewigen Anwerbeversuchen der Nationalen Volksarmee konnte er widerstehen. Er ließ sich auch nicht überrumpeln von Fangfragen der Wehrkommissionen. Sein Rezept: „Ich habe mich damit gerettet, einfach nichts zu sagen.“

Mit der gleichen Technik hielt sich Schuler die Stasi vom Leib. Er hielt die Situationen aus bis zur Unerträglichkeit. „Mir war klar, du gibst hier nicht nach.“ Das „Nichtnachgeben“ sei dann prägend für sein weiteres Leben gewesen. Dass er in der DDR zu seinem Glauben gestanden hat, brachte ihm Nachteile. „Das hing wohl auch damit zusammen, dass ich wegen der Jungen Gemeinde in der Schule aufgefallen bin.“ Seine Schule hatte sich dazu verpflichtet, dass alle männlichen Schüler drei Jahre oder länger in der Volksarmee dienen sollte. Drei Jungs wollten das nicht – einer davon war Schuler. „Ich war kein Revolutionär, aber ich wollte in Ruhe gelassen werden. Dieser ewige Bekenntniszwang in der DDR trieb einen ständig in Situationen, in denen Menschen wissen wollten, wo man steht.“

Mit der Wende in den Ruin

Im Abituraufsatz bekommt er eine 5, weil er ein Zitat von Erich Honecker in einen nicht gewünschten Zusammenhang rückt. Eigentlich will er, der große Film- und Charlie-Chaplin-Fan, Regisseur werden. Die Aufnahmeprüfung an der Filmhochschule Babelsberg hat er bereits gemacht. Doch als beim Aufnahmegespräch eine Militärzeit zur Sprache kommt, platzt der Traum jäh. Er soll nach dem Willen der Funktionäre eine Laufbahn als Unteroffizier einschlagen, um dann studieren zu können. Das will der junge Christ nicht. Die Prüfungskommission lässt in durchfallen und man legt ihm nahe, in die Produktion zu wechseln. Aussichten auf einen Studienplatz hat Schuler nicht mehr.

In der Not heuert Schuler bei einer Beliner Firma an, die Glühwendeln für Lampen herstellt: „Das war eine ziemlich räudige Arbeit.“ Durch das Hantieren mit unterschiedlichen Chemikalien hat Schuler ständig Ausschlag an den Armen. In den freien Schichten macht er seinen Facharbeiter als Mechaniker. Drehen, Fräsen, Hobeln. „Als ich fertig war, wollte ich nur noch da weg.“ Beziehungen verhelfen ihm 1985 zu einem Job bei der Zeitung der ehemaligen Block-CDU in der DDR, der Neuen Zeit. „Ich hätte im Traum nicht daran gedacht, Journalist in der DDR zu werden.“ Er schrieb „über Laubsägearbeiten und Taubenzüchter“ im Lokalteil der Zeitung. „Dann kam irgendwann die Wende. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung übernahm unser Blatt und dann begann der richtige Journalismus.“

Schuler beginnt neben dem Job noch ein Fernstudium der Kultur- und Literaturwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Der Niedergang der Zeitung ist aber nicht aufzuhalten. „Es gab eine Redaktionssitzung, in der verkündet wurde, dass das die letzte Ausgabe sei. Dann war Schluss.“ Von 1995 bis 1998 arbeitet er als Redakteur bei der Zeitung Die Welt, danach bis 2010 als Politikchef der Märkischen Allgemeinen in Potsdam. Sein Chef war der heutige AfD-Politiker Alexander Gauland.

Die Arbeit bei der Zeitung forderte ihn heraus, für eine DDR-affine Leserschaft zu schreiben. Also für die Menschen, die einen Staat wollten, mit dem er gar nichts zu tun haben wollte. „Eine Art Diaspora-Erfahrung, die hautnah miterleben ließ, wie stark die Entchristlichung in den neuen Ländern über 40 Jahre ihre Spuren hinterlassen hat.“ Er arbeitet in einer Redaktion, die „religiös völlig unmusikalisch war“ und musste über Kirchenthemen berichten, weil kein anderer da war, der überhaupt mit dem Thema etwas anfangen konnte. „Da war Weihnachten einfach Tannenbaum und Schneemann und nicht Christus, Krippe und Kirche.“

Seit 2011 betreut er in der Parlamentsredaktion der Bild-Zeitung die Unionsparteien nebst Kanzlerin. Die Zeit, die ihm neben dem Job, seiner Frau und den drei Kindern noch bleibt, nutzt der 52-Jährige zum Joggen, zum Holzhacken und für Musik. Über den Gottesdienstbesuch hinaus bleibt für Gemeinde relativ wenig Zeit. „Regelmäßige Termine in der Gemeinde freischlagen, das funktioniert fast nie.“ Seine Frau ist Pfarrerstochter. Die Familie ging bis vor wenigen Jahren in die Gemeinde des Schwiegervaters.

Heavy Metal auch mal im Kirchenschiff

Am besten abschalten kann er, wenn er Musik hört. Oder selber Musik macht. Im Keller hat er ein Studio, in dem er mit verschiedenen Instrumenten improvisiert. „Eine Form des autogenen Trainings. Gitarre umhängen und sich einen Beat einfallen lassen. Schlagzeug spielen.“ Begonnen hat es mit dem Schlagzeug. „DrumHead“ ist daher der Name seines Twitter-Accounts. Bei fast jeder Musik schwinge bei ihm eine Saite mit. „Wer Musik macht, der schießt nicht. Wer Musik macht, der hat Freude an Geräuschen.“ Schuler ist stolz auf seine CD- und Plattensammlung. Dank iTunes kann er auch auf Reisen aus seinem Repertoire schöpfen. Einige hundert Alben hat er auf dem Smartphone. Gerade bei Heavy Metal hät er nicht alle Texte für vereinbar mit seiner christlichen Ethik.

Ihn begeistern die Kraft und die schnellen Rhythmen, die in der Musik stecken. Aber genauso gerne hört er auch gregorianische Gesänge oder Orgelwerke von Bach. Wenn es die Zeit erlaubt, geht er auch auf ein Metallica-Konzert. Für Heavy Metal in der Kirchengemeinde könnte sich Schuler erwärmen. „Wenn ich im Weihnachtsgottesdienst getragen ‚Kommet ihr Hirten‘ höre …. Das ist eigentlich ein Metal-Song. Das ist ein Impuls, das drängt nach vorne. Das müsste schneller kommen.“ In anderen Belangen ist er wieder konservativ und gegen Modernismen im Gottesdienst. Der Sinnzusammenhang sollte dasein. „In Harlem ist ein Gospel-Gottesdienst angebracht. In einem niedersächsischen Landgottesdienst dagegen muss einem nicht zwingend das Toupet weggeblasen werden.“

Seine Sonntagsbrötchen backt er heute noch selbst. In seinem Kiez interessiert sich eigentlich niemand so richtig für seinen Job. „Man muss Menschen, wenn sie mit ihrem Bier und der guten Nachbarschaft zufrieden sind, nicht mit dem Regierungsalltag behelligen.“

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe 5/2017 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter Telefon 06441-915-151, per E-Mail an info@kep.de oder online.

Von: Norbert Schäfer

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