Bierlaune und Bekehrung

Heute ist es wieder so weit. Michael Schwantge holt die riesigen 50 Liter-Töpfe von seinem Dachboden. Er stellt die Töpfe auf den Herd in der Küche und bereitet die nächsten Schritte vor. Der Theologe braut Bier und ist seit kurzem auch Biersommelier.
Von Johannes Blöcher-Weil
Michael Schwantge ist Pastor mit einem ungewöhnlichen Hobby: er braut in seiner Freizeit Bier

Schwantge ist Pastor der Evangelischen Stadtmission im rheinland-pfälzischen Oppenheim. Die Region ist eigentlich bekannt für ihre guten Weine. Doch die größere Leidenschaft hat der 41-jährige Familienvater für den Gerstensaft. „Auch hier in Rheinhessen gibt es historisch wie aktuell manches zum Bier zu entdecken.“ Schwantge ist durch einen Freund, der ihn zum Brauen eingeladen hat, auf den Geschmack gekommen. Danach hat er sich immer intensiver mit dem Getränk und seiner Herstellung beschäftigt: „Die Prozesse sind vielfältig und spannend. Erst als ich selbst meine ersten Biere gebraut habe, habe ich das Getränk wirklich ‚verstanden‘.“

Er bedauert, dass Bier viel zu schnell mit „saufen“ in Verbindung gebracht wird. Dem Ruf eines Billiggetränks tritt der junge Sommelier entschieden entgegen: „Brauen ist ein altes und komplexes Kunsthandwerk, das über die Jahrtausende entstanden ist. Wer das verstanden hat, der ist oft fasziniert davon und genießt das Bier Schluck für Schluck.“

„Es geht um den bewussten Konsum“

Der Vater von vier Kindern ist sich bewusst, dass diese Leidenschaft nicht jeder teilt. Schließlich denkt nicht jeder beim Thema Alkohol sofort an Genuss, sondern auch an Abhängigkeiten. Hier ist er offen für Gespräche, um sein Anliegen zu erklären. Falls nötig, vermittelt er auch gerne Kontakt zu fachlich geschulten Personen der Suchtberatung.

Er selbst hat noch keine abfälligen Rückmeldungen bekommen. Trotzdem beschleicht ihn manchmal das Gefühl, dass Wein in Gesellschaft und christlichen Gemeinde eher akzeptiert sei als Bier: „Ich glaube, meine veröffentlichten Blog-Beiträge zeigen, dass es mir um den bewussten Konsum geht“, betont Schwantge.

Er ist seit 2019 als Hobbybrauer registriert. Seit 2021 bewertet und rezensiert er Biere in einer Beertasting-App. Schwantge staunt regelmäßig über die beachtliche Biervielfalt, sowohl hier in Deutschland als auch international. Er ist fasziniert davon, wie aus den vier Zutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe ein so hochwertiges Naturprodukt entsteht. Dem Experimentieren mit diesen vier Bestandteilen sind kaum Grenzen gesetzt.

„Mit jedem Brauprozess lerne ich dazu“

Allein der Zeitpunkt einer Hopfengabe bringe einem Bier seine eigene Note, erklärt Schwantge. Es sind aber auch die chemischen Prozesse, die ihn begeistern: „Im Brau- und Gärungsprozess kann ich so viel aus dem Produkt herauskitzeln. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr staune ich.“ Mit jedem Brauprozess, jedem Sud, lerne er mehr über Hopfen- und Malzsorten, die Brauschritte und die Gärführung.

Im Oktober hat er eine Ausbildung zum Biersommelier an der renommierten Doemens-Akademie in Gräfelfing erfolgreich beendet. In 100 Unterrichtseinheiten paukte Schwantge über zwei Wochen zum Thema Bier: von Rohstoffkunde über Brautechnologie und Fehlaromen bis hin zur Gläserkunde und der Bierbeschreibung. Nach fünf bestandenen Prüfungen in Theorie und Praxis darf er sich nun mit 16 anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern Biersommelier bzw. Biersommelière nennen, ein Feinschmecker für Bier also.

Michael Schwantge öffnet mit seinen Fingern eine Hopfendolde. Der gelbe Staub ist das Lupulin, das für den bitteren Geschmack sorgt. (Foto: privat)

Als solcher ist es seine Aufgabe, seinen Gästen den jeweiligen Bierstil samt Geschmack zu beschreiben und ihnen Hintergrundinformationen zum Stil oder der Geschichte des Bieres zu geben: „Wir vermitteln dem Besucher unsere Leidenschaft für das Getränk.“

Immer wieder Verknüpfungen ins Leben finden

Schwantge ist aber nicht nur Bier-Enthusiast, sondern auch leidenschaftlicher Christ. Am heutigen Abend ist Schwantge bei Männern der Evangelischen Stadtmission Grünberg in Mittelhessen zu Gast, um beides zu kombinieren. Der Kellerraum des Gemeindehauses ist in Blau und Weiß geschmückt. Passend dazu gibt es Weißwurst. Schwantge stellt im Laufe des Abends vier verschiedene Bierstile vor und gibt interessante Informationen über sein Lieblingsgetränk weiter.

Er erzählt vom deutschen Reinheitsgebot, das als internationales Qualitätsmerkmal gilt. Und schon hat der Pastor einen Anknüpfungspunkt gefunden, um über den Glauben zu sprechen. Er fragt die Männer, ob es in ihrem Leben auch ein Reinheitsgebot gebe und an welchen Werten sie sich orientierten: am Arbeitsplatz, bei den Nachbarn oder in der Gemeinde.

Er spüre viel Neugier bei den Menschen, wenn er bei einem guten Bier erzähle, dass er an Gott glaube. In Grünberg, wo überwiegend Christen da sind, stellt er die Verbindungen zwischen Bier und Glauben oft her: authentisch, aber nicht aufdringlich. Der Theologe spricht über trübes Bier und trübe Tage – und wie er auch da das Beste für Gott geben möchte.

Hofabende am Lagerfeuer

Es geht aber auch darum, warum die Flaschenfarbe eine Frage der Vermarktung ist und was die perfekte Temperatur für ein gutes Bier sein kann. „Das Bier ist ein Getränk mitten im Alltag und der Glaube auch. Ich staune, wie über solche Verknüpfungen der Glaube manchmal noch praktischer in mein Leben hinein rückt.“

Wenn Schwantge wieder zu Hause gebraut hat, lädt er auch mal gerne Nachbarn, Freunde oder Menschen aus der Gemeinde ein: zu einem gemütlichen Abend mit Lagerfeuer und Bockbier zum Beispiel. Das kommt gut an. An Geburtstagen verschenkt er gerne selbst gebrautes Bier. Auf das Etikett hat er einen Spruch von Martin Luther gedruckt: „Ein Stück Brot vertreibt den Hunger, Bier oder Wasser vertreibt den Durst. Christus vertreibt den Tod.“ Und schon gibt es wieder einen Ansatzpunkt für Gespräche.

Er freut sich über Anfragen wie die aus Grünberg: von Privatpersonen, Vereinen, Firmen oder Gemeinden. „Christliche Gemeinden wünschen sich natürlich, dass ich ganz direkt auch geistliche Inhalte bringe.“ Wertvolle Gedanken vom Bier ins Leben hinein gehören für ihn aber auch bei den anderen Anlässen wie selbstverständlich dazu. Dann vielleicht anders verpackt. Schwantge selbst wirbt für seine Abende mit dem Spruch „Biertastings mit Mehr“.

„Für viele christliche Gemeinden ist es ein niederschwelliges Angebot“, erklärt er. Manche ließen sich zu einem Biertasting sicher einfacher einladen als in den Gottesdienst: „Vielleicht fällt es auch manchen Menschen leichter, ihre Nachbarin oder den Kollegen einzuladen.“ Schwantge weiß aus eigener Erfahrung, wie einfach und unaufdringlich das möglich sein kann: ob auf dem Sportplatz beim Spiel seiner Kinder oder auf einer Geburtstagsfeier.

Man redet „über Gott und die Welt“. Auch bei seiner Ausbildung zum Biersommelier war er als Pastor so etwas wie der „Exot“ der Runde. Doch die Themen „Kirche“ und „Glaube“ kamen auf ganz natürliche Art und Weise immer wieder auf und man kam ins Gespräch: „Das war klasse“, erinnert er sich.

Jubiläumsbier für Männerzeitschrift

Das Bierbrauen lehre einen auch, die vorhandenen Rohstoffe zu nutzen und zu bewahren. Genau wie die Brauer vom Wissen ihrer Vorfahren profitieren, stünden auch Christen auf den Schultern ihrer geistlichen Vorfahren. Apropos Brauen: Für das zehnjährige Jubiläum der Männerzeitschrift „MOVO“ wurde er gebeten, ein Jubiläumsbier zu kreieren. Den Auftrag hat er dankend angenommen.

Ansonsten versucht er etwa einmal pro Woche, einen Beitrag auf seinem Blog www.michelsbierreise.de zu schreiben. Natürlich ist er auch auf Facebook und Instagram zu finden. Seine Follower sind bunt gemischt: Familie, Freunde, Gemeindemitglieder, Bierliebhaber, Sommelier-Kollegen und sogar Brauereien: „Selbst Menschen, die gar kein Bier trinken, folgen mir.“

Mit dem Wissen ist auch die Ausstattung gewachsen. Seit 2021 besitzt Schwantge einen Kühlschrank mit einer eingebauten Zapfanlage. Seitdem füllt er in Flaschen und im Fass ab. Zwei Jahre später baute er sich einen temperaturgesteuerten Kühlschrank für die Gärung. Im Keller seines Hauses befindet sich ein kleines Malzlager.

Und welches Bier trinkt Schwantge am liebsten nach einer anstrengenden Arbeitswoche? „Ich entscheide das spontan, ob es warm oder kalt draußen ist oder ob ich ein vom Aroma her eher ein komplexeres oder ein bewusst einfach gehaltenes Bier möchte. Vom Pils oder Weizen bis zum Pale Ale oder Stout ist alles möglich.“

Brauen ist aktuell ein Hobby

Schwantge kennt bisher nicht so viele Pastoren, die Bier brauen und keinen, der Biersommelier ist. Für ihn ist es im Moment ein Hobby. Vier bis fünf Mal im Jahr holt er die großen Töpfe vom Dachboden und braut. Diesen Aufwand hält er für vertretbar und um Bier gewerblich zu brauen, müsste er sehr viele Auflagen erfüllen. Biertastings und ähnliches sind da schon einfacher umsetzbar. Sein Umfeld ermutigt ihn immer mal wieder, sein Hobby auszuweiten. „Michael, denk nicht so klein“, habe ihm letztens ein Freund gesagt. Schwantge ist offen, um zu sehen, was alles noch passiert. Aktuell sei es ein Hobby. Aber eines mit Mission.

Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 6/2024 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Das Heft können Sie hier kostenlos bestellen.

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