Im April dieses Jahres erschien eine monumentale wissenschaftliche Studie von Mark Stoeckle und David Thaler (1) über den Vergleich von 100.000 Arten. Die kurzen DNS-Sequenzen, die untersucht wurden, stammen aus dem Erbgut der Mitochondrien, das sind die „Minikraftwerke“ der Zelle, die nur von der Mutter auf die Nachkommen vererbt werden. Wenn man dieses Gen aus verschiedenen Arten vergleicht, kann man z.B. eindeutig zwischen Mensch und Schimpanse, oder auch zwischen der Amsel und der Wanderdrossel (s.u.) unterscheiden. Das war das Hauptziel der Studie.
Die meisten Arten sind nun aber dermaßen verschieden voneinander, dass sie von den Autoren als kompakte Inseln im „Sequenzuniversum“ bezeichnet werden, die durch große Abgründe voneinander getrennt sind. Das war ein sehr überraschendes Ergebnis, welches gegen die Darwinsche gradualistische Evolutionsvorstellung und eher für einen Punktualismus (Evolution in scheinbaren Sprüngen) spricht.
Aus der Ähnlichkeit des untersuchten Gens zwischen den Individuen einer Art kann man abschätzen, wann der letzte gemeinsame weibliche Vorfahr („Urmutter“) aller heutigen Individuen einer Art gelebt haben könnte. Die beiden Autoren der Studie nehmen wie viele Wissenschaftler vor ihnen an, dass die Mitochondrien aller heute lebenden Menschen von einer sehr kleinen Bevölkerungsgruppe abstammen könnten, die möglicherweise vor etwa 100.000 bis 200.000 Jahren gelebt hat. Schon vor 30 Jahren wurde diese Annahme in der wissenschaftlichen Literatur als die „mitochondriale Mutter-Eva-Hypothese“ (2) bezeichnet.
Weltumspannende Katastrophen
Solche kleinen „Gründer-Populationen“ entstehen beispielsweise, wenn die meisten Individuen einer Art durch eine Katastrophe vernichtet wurden. Durch einen besonderen Evolutionsprozess kann es dazu kommen, dass nur die Mitochondrien einer einzigen Frau weitergegeben wurden, auch wenn sich unter den Überlebenden mehrere Frauen befanden.
Das rätselhafteste Ergebnis der neuen Studie war nun, dass die Ähnlichkeit der Individuen von 90 Prozent der untersuchten Arten dafür spricht, dass diese Arten genau wie der Mensch vor einigen 100.000 Jahren kleine Populationen bildeten. Warum das so war, ist unbekannt. Die Autoren spekulieren auf eine weltumspannende Katastrophe, die einen Großteil der Lebewesen ausgelöscht hat. Aus der geologischen Überlieferung weiß man zwar, dass es in der Erdvergangenheit immer wieder solche Katastrophen gegeben hat, doch was vor 100.000 bis 200.000 Jahren geschehen sein könnte, ist bisher unbekannt.
Die Ergebnisse der Studie waren also in verschiedener Hinsicht eine Überraschung für die Evolutionsbiologie und werfen einige spannende Fragen auf.
Wissenschaftliche Argumente gegen Evolution und für die Bibel?
In einigen amerikanischen Medien wurde behauptet, die Ergebnisse von Stoeckle und Thaler seien mit der Evolutionstheorie nicht vereinbar. Hier dürfte es sich um ein Missverständnis handeln. Ich sehe in den Ergebnissen derzeit nichts, was man nicht durch bekannte Mikro-Evolutionsfaktoren erklären könnte, falls es eine Katastrophe gab, welche zur gleichen Zeit die Populationen so vieler Arten derart massiv dezimiert hat.
Einige Christen glauben, Stöckle und Thaler meinen, dass 90 Prozent der Arten vor 100.000 bis 200.000 Jahren entstanden seien. Auch das ist ein Missverständnis. Im Gegenteil geht aus den Analysen der Wissenschaftler hervor, dass die meisten der untersuchten Arten sehr viel älter sein müssen.
Es wurde auch gesagt, dass diese Studie sozusagen ein „Beweis“ für die Existenz von Adam und Eva sei. Auch dies ist ein Missverständnis. Selbst wenn die Mitochondrien aller heute lebenden Menschen von einer Frau abstammen, die vor 100.000 bis 200.000 Jahren lebte, heißt dies weder, dass dies die einzige Frau war, die zu dieser Zeit lebte, noch bedeutet es, dass dies die erste Frau auf der Erde gewesen sein muss. Wenn man allerdings aus Glaubensgründen davon ausgeht, dass alle heute lebenden Menschen von Eva abstammen, dann stehen die wissenschaftlichen Ergebnisse hinsichtlich des Erbgutes von Mitochondrien nicht im Widerspruch zu diesem Glauben.
Einige wenige Christen sind der Überzeugung, dass alle Lebewesen vor 6.000 bis 10.000 Jahren geschaffen wurden, der so genannte „Junge Erde Kreationismus“. Ich kann nicht erkennen, wie die Daten von Stoeckle und Thaler und viele andere naturwissenschaftliche Daten im Rahmen eines solchen Glaubens befriedigend eingeordnet werden könnten. „Junge Erde Kreationisten“ postulieren aufgrund ihres Bibelverständnisses, dass Gott vor sehr kurzer Zeit Vorfahren von Grundtypen (z.B. Vogelfamilien wie die Familie der Drosselvögel) erschuf, aus denen beispielsweise die rund 90 Arten der Drosselgattung Turdus durch Mikroevolution entstanden sind. Die Arten wurden demnach gerade nicht als die Arten erschaffen, die wir heute beobachten.
Was die Evolutionsbiologie bisher nicht erklären kann
Alle Lebewesen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Erbsubstanz eine atemberaubende Fülle an biologischer Information enthält. Die Komplexität dieser biologischen Information, die Genialität der dadurch codierten molekularen Maschinen und die verblüffenden Konstruktionen der Lebewesen sowie ihre Schönheit übersteigen jedes menschliche Vorstellungsvermögen. Bis heute ist jede Variante der Evolutionsbiologie daran gescheitert, diese fundamentalen Kennzeichen des Lebens durch irgendeinen makroevolutiven, natürlichen Prozess zu erklären (3). Allerdings ist das immer deutlicher offenbar werdende „Nicht-Wissen“ der Evolutionsbiologie kein Beweis für Schöpfung und schon gar kein Beweis für die Richtigkeit der Bibel.
Viele meiner Kollegen haben sich – anders als ich – für eine materialistische Weltanschauung entschieden und glauben deshalb, dass eine materialistische Evolutionsbiologie alle noch offenen Probleme der Evolutionsbiologie in Zukunft lösen wird. Diese Position kann man nicht widerlegen. Ich sehe allerdings keine naturwissenschaftlichen Argumente, die diesen Glauben meiner Kollegen derzeit stützen würden.
Als Wissenschaftler bin ich mit dem atheistischen Philosophen Thomas Nagel (4) der Überzeugung, dass biologische Information sich grundsätzlich nicht auf Materie reduzieren lässt (5) und ihre Entstehung durch materialistisch verstandene Evolutionstheorien deshalb nicht erklärt werden kann. Als Christ glaube ich, dass die Entstehung biologischer Information auf die Schöpfungskraft des Gottes zurückzuführen ist, der sich in der Bibel offenbart hat. Ich sehe keine naturwissenschaftlichen Gründe, die gegen meinen Glauben an die Existenz eines Schöpfers sprechen.
Prof. Dr. Siegfried Scherer ist Ordinarius am Department für Grundlagen der Biowissenschaften der Technischen Universität München und forscht über Ökologie und Evolution von Krankheitserregern (http://micbio.wzw.tum.de/forschung.php). Die TU München unterstützt die in diesem Beitrag wiedergegebene Meinung des Autors nicht. Weitere Informationen unter www.siegfriedscherer.de
(1) Stoeckle MY, Thaler DS (2018) Why should mitochondria define species? Human Evolution 33,1-30. DOI: 10.14673/HE2018121037 (2) Mitochondrial Eve. https://en.wikipedia.org/wiki/Mitochondrial_Eve . Dies ist ein informativer, vergleichsweise populär verfasster Text, welcher das Standardmodell der heutigen Evolutionsbiologie darstellt. (3) Junker R, Scherer S, Hrsg (2013) Evolution – ein kritisches Lehrbuch. Weyel-Verlag. (4) Nagel T (2016) Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. Suhrkamp Taschenbuch. (5) Scherer S (2017) Denkvoraussetzungen und weltanschauliche Überzeugungen in der Biologie. In: Lüke U, Souvignier G (Hrsg) Wie objektiv ist Wissenschaft? WBG Darmstadt, S. 45-80.
Von: Siegfried Scherer