Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Schild in die Kamera hält, auf dem „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ steht?
Wie wahrscheinlich ist es, dass die „Verfassungsministerin“ ein Grundrecht „hasst“? Und falls sie dieses Grundrecht hasst, dass sie ihren Hass auf eines der höchsten Verfassungsgüter auch noch öffentlichkeitswirksam vor der Kamera zelebriert?
Genau. Das ist extrem unwahrscheinlich.
Ich finde: Man kann von mündigen Bürgern erwarten, dass sie Satire verstehen. In diesem Fall war es der Journalist David Bendels des politisch rechts stehenden „Deutschland Kurier“, der ein manipuliertes Foto von Faeser geteilt hatte, auf dem sie ein Schild mit der Aufschrift „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ in die Kamera hielt. In Wahrheit stand darauf „We remember“. Faeser hielt es anlässlich eines Gedenktages für den Holocaust in die Kamera.
Für den „Deutschland Kurier“ hege ich keinerlei Sympathien. Und natürlich ist es unanständig, ausgerechnet solch ein Foto für die eigene politische Agenda zu instrumentalisieren und zu verfremden, wie es der Journalist getan hat. Das ist eine Frage der Ethik.
Im Zweifel für die Meinungsfreiheit
Aber durfte Bendels dieses Meme teilen? Das ist eine Frage des Rechts. Ich finde: Ja, das durfte er. Denn die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sind sehr hohe Güter. Man darf sie nicht beschneiden, nur weil einem die dazugehörige Meinung nicht passt. Sonst ist sie keine Meinungsfreiheit mehr. Natürlich gibt es Menschen, die satirisch verfremdete Fotos für bare Münze halten. Doch die Mehrheit dürfte erkannt haben, dass es sich hier nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt.
Doch das Amtsgericht Bamberg sah das am Montag anders: Für das Meme bekommt Bendels sieben Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung. Außerdem muss er sich bei Frau Faeser entschuldigen. Das Gericht ist der Meinung, dass für den Mediennutzer nicht erkennbar war, dass es sich hier um eine Bildmanipulation handelte.
Dieses Urteil ist so peinlich, dass man es glatt selbst für Satire halten könnte. Und es ist in seiner Härte vollkommen abwegig.
Man stelle sich die Situation in einem anderen Kontext vor, zum Beispiel in Russland oder in der Türkei. Ein oppositioneller Journalist hätte ein Foto von Erdogan verfremdet, auf dem steht: „Ich hasse die Meinungsfreiheit“. Ein Gericht in Ankara hätte eine siebenmonatige Freiheitsstrafe verhängt, außerdem müsste sich der Journalist bei Erdogan entschuldigen.
Alle Beobachter würden dies mit Recht als Bestätigung dafür sehen, dass in Erdogans Türkei die Meinungsfreiheit tatsächlich kaum etwas zählt.
In Deutschland muss es anders sein, auch wenn solche Entscheidungen immer Grenzfälle gibt. Da muss es heißen: im Zweifel für die Meinungsfreiheit.