Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erinnerte daran, dass es weltweit kein Land gebe, das die Beschneidung generell unter Strafe stellt. Sie warb dafür, zur "Realität zurückkehren", die bisher als selbstverständlich galt, und die Beschneidung von Jungen zu erlauben. Ein moderner Staat brauche die Religionsgemeinschaften als gesellschaftliche Akteure. Darüber, wie sie ihre Religion ausübten, habe nicht der Gesetzgeber zu entscheiden. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) stellte fest: "Es gab in dieser Debatte glasklaren Antisemitismus und glasklare antimuslimische Ressentiments."
"Säkularismus als staatlich verordnete Weltanschauung"
"Eine Gemeinschaft kann nicht existieren ohne den Respekt vor den Unterschieden", sagte Wolfgang Thierse (SPD). Ein Staat dürfe die Änderung religiöser Traditionen nicht erzwingen. Wer der Argumentation des Kölner Urteils vom Juni dieses Jahres folge, befürworte "Säkularismus als staatlich verordnete Weltanschauung". Beschneidungsfreiheit bedeute Religionsfreiheit. Kerstin Griese (SPD) sprach von einer "beispiellosen Entwicklung", ausgelöst durch das Landgericht Köln. Juden und Muslime seien Bestandteil der deutschen Gesellschaft – "mit ihrer Religion". Eines der großen Missverständnisse dieser Debatte sei, dass man Religion von Kindern fern halten müssen, bis sie 14 Jahre alt seien. Stattdessen sollten Kinder ihrer Meinung nach schon in jüngerem Alter Religion kennenlernen, um sich später eigenständig entscheiden zu können.
"Wollt ihr uns Juden noch?", zitierte Jerzy Montag (Bündnis ’90/ die Grünen) die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, und fügte hinzu: "Wir müssen uns der Konsequenzen bewusst sein, die unser Handeln nach sich zieht." Ein Beschneidungsverbot mache die Tradition zur Körperverletzung und erkläre Beschneider zu Straftätern. "Das will ich nicht!", sagte er. Christine Buchholz (Die Linke) erklärte: "Ich halte es für unzulässig, den Juden und Muslimen die christlich geprägte Sichtweise eines Teils der medizinischen Zunft zum Maßstab zu machen." Eine Änderung der Religionspraxis müsse von innen, aus den Religionsgemeinschaften heraus kommen, nicht vom Gesetzgeber. Stephan Thomae (FDP) zeigte sich besorgt über Religionsfeindlichkeit, die er in der Debatte wahrgenommen habe und die sich hinter einer vorgetäuschten Sorge um Kinder verberge. "Ja, sie sind in Deutschland nicht nur geduldet, sie sind in Deutschland erwünscht", sagte er in Richtung von Muslimen und Juden.
Keine "Sonderrechte" im Namen der Religion
Zu den Befürwortern eines alternativen Gesetzesentwurfs gehört unter anderem Raju Sharma (Die Linke). "Ich bin kein Jude, ich bin kein Moslem und ich bin auch kein Christ, aber ich bin dankbar für jeden in Deutschland, der den Menschen nicht als Mittelpunkt des Universums begreift", sagte er, fügte aber hinzu: Obwohl er jüdisches Leben schätze, lehne er "Sonderrechte" im Namen der Religion ab. Marlene Rupprecht (SPD) argumentierte: "Jedes Kind hat ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit." Niemand wolle, dass Eltern kriminalisiert würden. Bei einer Abwägung des Leids der Eltern und des Leids der Kinder gebe sie dem des Kindes aber den Vorrang. Katja Dörner (Bündnis ’90/Die Grünen) stellte fest, die körperliche Unversehrtheit des Jungen dürfe nicht zur Disposition gestellt werden, auch nicht aus religiösen Gründen. Sie wies auf Schmerzen und mögliche Komplikationen bei einer Beschneidung hin. Die Legalität des Eingriffs stehe in keinem Verhältnis beispielsweise zum Verbot körperlicher Bestrafungen von Kindern in Deutschland. Die Lesung war die erste von dreien, die zu diesem Thema im Bundestag stattfinden. Danach stimmen die Parlamentarier über die Gesetzesentwürfe ab. (pro)
Ein Interview zum Thema Beschneidungsdebatte mit der religionspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Griese, lesen Sie in der kommenden Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro, die am 7. Dezember erscheint. Bestellen Sie die pro kostenlos unter 06441/915151 oder info@kep.de.