Beschneidungen verbieten oder nicht? In Island wird derzeit heftig über einen überparteilichen Gesetzesentwurf gestritten, der ein generelles Verbot der sogenannten Zirkumzision, der Entfernung der männlichen Vorhaut, vorsieht, wenn dies aus religiösen Gründen geschieht. Bei Muslimen, vor allem aber bei Juden sind Beschneidungen religiöse Praxis.
Island wäre das erste Land Euopas, das die Beschneidung generell verbietet. Denn während die Beschneidung bei Mädchen länderübergreifend als Verstümmelung geächtet ist, hat es bisher noch kein europäisches Land gewagt, die Religionsfreiheit durch ein Verbot auch der männlichen Beschneidung einzuschränken.
Der Zeit-Ableger Christ & Welt hat die Debatte nun aufgegriffen und zwei Autoren dazu Stellung nehmen lassen. Die Texte spiegeln das Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit wider.
„Falsche Abwägung im Strafrecht“
Für den promovierten Juristen Jochen Bittner ist klar: Es ist Zeit, neu über ein Verbot der Beschneidung zu debattieren. Die geltende Beschneidungsgesetzgebung in Paragraf 1631d des Bürgerlichen Gesetzbuches, die die medizinisch nicht notwendige Beschneidung ausdrücklich erlaubt, basiere auf einer falschen Abwägung. „Sie räumt religiösen Überzeugungen einen zu hohen Rang gegenüber staatlich garantierten Freiheiten ein.“ Wenn es erlaubt sei, ein hochsensibles Körperteil einfach abzuschneiden, „mit welchem Recht will der Staat dann (…) muslimische Eltern zwingen, ihre Töchter am Sportunterricht teilnehmen zu lassen?“
Bittner meint: Die Grundrechte schützen die Kinder nicht nur davor, „auf unwiderrufliche Weise markiert“ zu werden, sondern gestehe ihnen auch das Recht zu, frei über den eigenen Glauben zu entscheiden.
Doch der Journalist führt auch biologisch-praktische Argumente an, um seine Thesen zu untermauen. So habe der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) schon 2012 darauf hingewiesen, „dass die Vorhaut zum Erlebnen sexueller Empfindungen eine wichtige Rolle spielt“. Sie diene außerdem dazu, die Eichel feucht und sensibel zu halten.
„Bewusstsein für Folgen der Beschneidung schärfen“
Und selbst einige reformistische Juden in den USA ließen ihre Kinder inzwischen nicht mehr beschneiden. Zudem sei es nicht zu vermitteln, warum die Mädchenbeschneidung geächtet sei, die der Jungen jedoch nicht.
Eine „isländische Radikallösung“, das komplette Verbot der Beschneidungspraxis, lehnt Bittner jedoch ab. Es würde den Religionsfrieden stören und religiöse Eltern am Ende dazu veranlassen, ihre Kinder in die Hände von Pfuschern zu geben. Stattdessen brauche es ein schärferes Bewusstsein über die Folgen von Beschneidungen. Aus diesem Grund will Bittner eine Beratungspflicht in den Paragrafen 1631d eingabaut sehen und Beschneidungen ab dem ersten Lebensjahr verbieten.
„Kindeswohl gewährleistet“
Der Zeit-Redakteur Mohamed Amjahid sieht das anders. Er ist beschnitten und sagt: Die Praxis ist „völlig okay und sollte erlaubt bleiben“. Dem Argument der Einschränkung der Sexualität tritt er mit einer represäntativen Studie entgegen, derzufolge 98,4 Prozent der beschnittenen Männer zufrieden seien mit ihrer Sexualität.
Zu unsachgemäßen Ausführungen der Beschneidung dürfe es aber nicht kommen. Das werde in der Regel jedoch schon durch die Liebe der religiösen Eltern zu ihren Kindern, sowie durch klare Gesetze verhindert. „In den heiligen Texten der Juden und der Muslime wird das Kindeswohl betont“, erklärt Amjahid. Die meisten muslimischen Eltern ließen den Eingriff im Krankenhaus dürchführen. Juden hielten „strikte hygienische und medizinische Standards“ ein.
„Beschneidungen keine verzichtbare Kleinigkeit“
Für unangebracht hält Amjahid indes, einen Vergleich zur Mädchenbeschneidung zu ziehen. Die sei eine „brutale Praxis“, die in keiner religiösen Schrift Rechtfertigung finde.
Amjahid glaubt, dass hinter der Beschneidungsdebatte auch eine gute Portion Antisemitismus steckt. Gerade mit Blick auf die deutsche und europäische Geschichte müsse klar sein: Die Rechte religiöser Minderheiten dürfen nicht einmal „auch nur im Ansatz“ eingeschränkt werden. „Das Ritual (der Beschneidung, Anm. d. Red.) ist für die Betroffenen keine verzichtbare Kleinigkeit.“
Von: Sandro Serafin