Rezension

Ben Becker spielt John Donne: Glaube, Liebe, Hoffnung, Tod

Mit seinem neuen Stück „Todesduell“ widmet sich Schauspieler Ben Becker einmal mehr dem biblischen Stoff – und predigt im Berliner Dom das Evangelium.
Von Anna Lutz

Da steht ein Schraubstock vor dem Altar. In ihn eingespannt: Ein riesiges Stück Metall, der Teil einer Eisenbahnschiene offenbar. Ansonsten ist im Berliner Dom alles fast wie immer: Jesus am Kreuz. Über ihm an der Decke die Evangelisten. Kerzen brennen, die Orgel erklingt zum Präludium und wer hier nun in der Kirchenbank sitzt, bereitet sich innerlich ganz unwillkürlich auf einen Gottesdienst vor, obwohl ein Theaterstück folgen soll.

Ben Becker spielt das „Todesduell“ von John Donne, an diesem Freitag war die Premiere. Und als Becker dann zum Auftakt durch den Mittelgang schreitet, wie ein Geistlicher, sich neben dem Schraubstock positioniert und ansetzt zum insgesamt anderthalbstündigen Monolog, da merkt der Zuschauer schnell: Das hier ist nicht einfach Theater. Es ist in der Tat eine Predigt. Es ist in der Tat ein Gottesdienst. Fürbitte, Klagelied, Gebet, Evangeliumspredigt, Gesang und Orgelklänge – alles hat seinen Platz. Dazu die altehrwürdigen Mauern, der Blick auf die prachtvollen Kuppeln, Kerzenlicht und quietschende Bänke.

Die Geschichte des Stücks ist rasch erzählt, denn eine Handlung im klassischen Sinne gibt es nicht: Der erste Teil ist das Transkript einer Predigt, die der Dichter John Donne kurz vor seinem Tod im Jahr 1631 in der St. Pauls Kathedrale in London hielt, und zwar im Beisein des damaligen Königs Charles I.. Darin lässt Donne das Leben Revue passieren, eine Geschichte voller Leid und Verdammnis, Tod und Plagen, wäre da nicht die christliche Hoffnung auf den Himmel. Die Welt ist ein Grab, doch in Gottes Haus sind Wohnungen für die, die ihn bekennen, lautet die Botschaft.

Die Welt ist ein Grab

Und für Donne, seine Zeit und die Rede im Angesicht des Königs vielleicht noch wichtiger: Vor Gott sind alle gleich. Alle zerfallen zu Staub, Könige und Bettler in gleicher Weise. Es ist eine in der westlichen wohlhabenden Welt oft vergessene Hoffnung des christlichen Glaubens, die bei Donne viel Raum einnimmt. Wer reich ist und wer nicht, wer ewiges Leben erhält und wer nicht, das liegt in der Hand eines gnädigen Gottes und nicht in jenen von Monarchen und Machthabern, Diktatoren und Oligarchen.

Am Ende des ersten Teils erlischt die Kerze auf der Bühne. Es ist Donnes Todesstunde. Becker schreitet im Totenkleid durch den Mittelgang hinaus. Um dann aber in einem zweiten Teil des Stücks zurückzukehren. Nun spricht und spielt er eine Hommage des Literaturnobelpreisträgers Joseph Brodsky auf Donne, ein Gedicht, das einerseits die Schönheit der Welt in Worte fasst. Eine schneebedeckte Nacht, die Ruhe des Schlafs über aller Welt. Doch dann, ein leises Weinen. Es ist Donnes Seele, die darüber klagt, dass die Welt fern ist von Gott. Dass sie sich abgekehrt hat. Dass sie dem Tode geweiht ist. Bis Donne schließlich abtritt in den Himmel, einen Sternenhimmel um genau zu sein, denn der Dom erstrahlt zum Schluss plötzlich in funkelnden Lichtern, ein fürwahr rührendes Finale.

Ein großes Wagnis

Ben Becker selbst nannte diese Inszenierung des „Todesduells“ am Samstag nach der zweiten Aufführung ein „großes Wagnis“. Er spielt es nicht nur, er hat auch Regie geführt. Seine Tochter Lilith schickt er als Engel auf die Bühne, mal tanzend, mal Cello spielend, mal trauernd. Man muss Becker zustimmen. Der Stoff ist sperrig, der Berliner Dom nicht auf den ersten Blick die perfekte Theaterbühne und überhaupt: Wie kommt man auf die Idee, eine Predigt über den Tod und die Auferstehung auf die Bühne zu bringen? Das Erstaunliche: Es funktioniert.

Ja, man muss sich einlassen auf die Wortgewalt eines John Donne und eines Joseph Brodsky, das geht weit weniger leicht runter als die Sonntagspredigt in den meisten Kirchen. Zumal Donne in seiner Predigt Bezug nimmt auf biblische Figuren wie Hiob, Daniel, Jakob oder die Evangelisten. Wer hier nicht bibelfest ist, kommt rasch ins Schwimmen – oder blendet jene Teile schlicht aus.

Ben Becker und Tochter Lilith Becker in „Todesduell“

Doch zum Glück ist das Stück trotz des gewaltigen Wortanteils und einem eher reduzierten Bühnenbild auch eine Augenweide. Nicht nur wegen des Sternenregens am Ende. Der Dom, so merkt der Zuschauer schnell, ist perfekt ausgenutzt, obwohl er eben keine perfekte Theaterbühne ist. Schraubstock – ein Symbol für die Zwänge der menschlichen Existenz – eine Kerze und eine Parkbank reichen, um das Gesagte zu untermalen. Eine Nische rechts des Altarraums dient mit einer Leinwand versehen als Projektionsfläche für Schädel, Jesus am Kreuz, Eisenbahnschienen in der Nacht und ein dem Tod trotzendes Axolotl.

Das klingt irritierend, ist es zuweilen auch, dennoch bleibt der Eindruck: Der Kirchenraum mit all seinen architektonischen Besonderheiten ist nicht einfach Theaterraum. Er ist ein wichtiger Teil des Stücks. Ebenso wie das fulminante Orgelspiel des Dom-Organisten Andreas Sieling, das nie zu viel will, sich fast schon bescheiden im Hintergrund hält und doch das ganze Stück trägt.

Ben Becker beseelt vom Bibelstoff

Und dann ist da Ben Becker. Einmal mehr scheint er geradezu beseelt vom biblischen Stoff, hat er doch schon Teile der Bibel vertont und aufgeführt sowie 2017 das Stück „Ich, Judas“ ebenfalls im Dom gespielt. Er sei nicht dafür zuständig, die Menschen zurück zur Kirche zu führen, sagte er in Interviews vor der Premiere. Dennoch seien Kirchen für ihn wichtige Orte der Auseinandersetzung mit dem Existenziellen.

Vielleicht ist es genau das, was ihn am Ende doch zu einer Art Missionar wider Willen macht: Becker spricht die christlich geprägten Monologe als formulierten sie seine eigene Hoffnung auf Rettung. Doch zugleich gibt er den menschlichen Abgründen Raum, dem Zweifel, dem Gefühl der Gottesferne, den Fragen nach dem richtigen Leben, der Lust an der Sünde. So glaubt man Becker jedes Wort, auch in der Sprache des Jahres 1631. Und wer danach auf die herbstlichen dunklen Straßen der Hauptstadt hinaustritt, in dessen Ohren hallen diese Worte, die Fragen und die Hoffnung nach. Selbst ein christlicher Prediger könnte sich kaum mehr wünschen.

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