Baldmöglichst Islamunterricht an deutschen Schulen?

"Es ist ein Thema, das niemanden kalt lässt." Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat am Montag bei einer Tagung der Deutschen Islam-Konferenz zu einer möglichst baldigen Einführung von Islamunterricht an deutschen Schulen gedrängt. Bislang haben die Bundesländer lediglich Modellversuche eingeführt, und nur ein Bruchteil der muslimischen Schüler in Deutschland erhält Islamunterricht.
Von PRO

Wenn es um den Islam ginge, sprächen manche von einer "Angstdebatte", und religiöse Themen wie Burkaverbot oder Kreuze in Klassenzimmern würden in diesem Land leidenschaftlicher diskutiert als viele andere. Seit den Kriegen in Europa um das Verhältnis von Staat und Religion sei das Thema in einen "Dornröschenschlaf" verfallen. "Doch heute ist es wieder auf Seite eins der Zeitungen."

"Die Religionsfreiheit und die Trennung von Religion und Staat gehören in modernen Demokratien zum Selbstverständnis", so Maizière. Der Staat sei weltanschaulich neutral, aber "religionsfreundlich". Der Minister fügte jedoch hinzu: "Wir sind vom Christentum geprägt". Dies zeige sich an Ausprägungen in der Öffentlichkeit, etwa am Glockenläuten und an Feiertagsregelungen. "Das darf auch so bleiben."

Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime stammten aus Ländern mit einer langen Tradition der Säkularität, betonte der Innenminister. Bei den Aufständen in Ägypten habe ihn besonders beeindruckt, dass Christen und Muslime nicht nur miteinander demonstrierten, sondern sich auch gegenseitig beim Gebet beschützt hätten, wie man auf dem Tahir-Platz gesehen habe. "Dies ist ein wunderbarer Nebenaspekt der Revolution in Ägypten."

Deutschland sei "religiös vielfältiger" geworden, so der Minister. Es lebten fünf Prozent Muslime in Deutschland, die Hälfte von ihnen seien deutsche Staatsbürger. "Deutschland ist ihnen eine Heimat geworden." Es stelle sich nicht mehr die Frage, ob der Islam anerkannt sei, sondern wie eine Religionsgemeinschaft organisiert sei. Dabei gelte immer, dass die Verfassungsprinzipien nicht gefährdet werden dürften. Auch dürfe der Einfluss von ausländischen Würdenträgern nicht zu Obrigkeitsverhalten führen.

"Auch das deutsche Staatskirchenrecht hat seine Zeit gebraucht."

Zum Islam-Unterricht an deutschen öffentlichen Schulen sagte de Maizière: "Es sollten dieses Jahr, spätestens aber nächstes Jahr entsprechende Vereinbarungen geschlossen werden." Bereits jetzt würden 700.000 Schüler Islam-Unterricht in deutschen Schulen genießen, stelle er fest. Dieser Unterricht sei ein "wertvoller Beitrag für die Integration" und "Immunisierung gegen extremistische Organisationen". De Maizière fügte hinzu: "Wir brauchen den Islamunterricht möglichst bald!" Es sei Wunsch der Politik, den Islamunterricht "raus aus den Hinterhöfen" zu holen. Andererseits dürfe nicht unser Verfassungsrecht zum Religionsunterricht verwässert werden, sagte de Maizière. "In unserem Land ist kein Platz für Fanatiker, erst recht nicht für religiöse Fanatiker."

Bis jetzt haben die Bundesländer lediglich Zwischenlösungen eingeführt. Das sei laut de Maizière auch gut so, da zum einen die Zahl der Muslime von Land zu Land stark schwanke, andererseits unterscheide sich der Grad der Organisiertheit der Muslime. Aber er sei optimistisch: "Auch das deutsche Staatskirchenrecht hat seine Zeit gebraucht." Gemäß Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes ist Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen ein "ordentliches Lehrfach". Weiter heißt es dort: "Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt."

"Kein schulpolitisches Thema so kontrovers"

Noch stehen einige Fragen zum Islam-Unterricht an deutschen öffentlichen Schulen offen. Allein der Name unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. In Nordrhein-Westfalen, wo es rund 320.000 muslimische Schüler gibt, wird im Modellversuch "Islamkunde in deutscher Sprache" an fast 200 Schulen unterrichtet. In Bayern gibt es "Islamischen Unterricht" an 256 Grund- und Hauptschulen sowie an 5 Realschulen und einem Gymnasium. In anderen Ländern wie Schleswig-Holstein gibt es den "Islamunterricht".

Am weitesten sei Niedersachsen fortgeschritten, wo es an 42 Grundschulen Islamischen Religionsunterricht gebe, erklärte der Islamwissenschaftler Michael Kiefer. Dort sei für 2014 eine endgültige Lösung zum Islamunterricht angekündigt worden. Im Hamburger Modell "Religionsunterricht für alle" habe die nordelbische Kirche den Religionsunterricht für alle Kinder geöffnet. Das sei jedoch nicht leicht auf andere Länder übertragbar. In Berlin und Bremen gebe es privaten Religionsunterricht in öffentlichen Schulen.

"Es gibt kein schulpolitisches Thema, das so kontrovers diskutiert wurde", sagte Kiefer. Seit fünf Jahrzehnten gebe es Zuwanderung von Muslimen nach Deutschland, und seit etwa vier Dekaden spreche man über Islamunterricht. Ein Problem sei bislang das Fehlen von Ansprechpartnern auf muslimischer Seite gewesen. Auch Heinrich de Wall, Dozent für Kirchenrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg, sagte, es sei aufgrund der Organisationsstruktur der Islamverbände und der Pluralität des Islam in Deutschland bisher nicht einfach gewesen, Islamunterricht einzuführen. Es gebe zwar auch keinen einheitlichen "christlichen Unterricht", sondern einen evangelischen und einen katholischen. Dennoch könne niemand eine Aufsplittung des islamischen Unterrichts wollen, so de Wall.

Die Experten der Tagung stellten fest, dass noch mehrere Fragen zum Islamunterricht geklärt werden müssten, etwa diejenige, ob Schiiten und Sunniten gemeinsam islamischen Unterricht genießen sollen. Ebenso die Frage, welche Lehrer zum Islamunterricht zugelassen werden, und nach welchen Kriterien das geschieht. Sollen sie "fromme Muslime" sein, und wer entscheidet darüber? Sollen Kinder zu frommen Moslems erzogen werden oder lediglich ihre Religion besser kennen lernen? Die islamische Organisation Milli Görüş etwa wünscht sich, dass Lehrer ihren Glauben mit den Kindern teilen. Anderen klingt das zu sehr nach ideologischer Verbreitung, und sie betonen, dass der Unterricht aus den Schülern mündige Bürger in einem staatskundlichen Kontext machen sollte.

Bestimmte Fragen, so Erol Pürlü, Dialogbeauftragter des Verbandes der Islamischen Kulturzentren, könnten nur in der muslimischen Gemeinde besprochen werden, und nicht im Schulunterricht, etwa wie man sich vor dem Gebet richtig wäscht, oder was man tue, wenn man eine Sure vergessen habe. Auch das Rezitieren von Suren würde im Schulunterricht zu viel Zeit in Anspruch nehmen, so die Experten.

Die christlichen Kirchen jedenfalls hätten sich bereits 1974 vom Konzept "Kirche in der Schule" verabschiedet, so der Islamwissenschaftler Michael Kiefer. Eine "katechetische Unterweisung" statt einem Religionsunterricht sei heute nicht mehr erstrebenswert, auch nicht auf muslimischer Seite. (pro)

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