Kommentar

Aussprache im Bundestag: Es geht doch!

Scholz, Lindner, Baerbock und Merz: Am Mittwoch kamen im Bundestag all jene zusammen, die sich in den Tagen seit dem Ampel-Aus gegenseitig öffentlich in die Mangel genommen haben. Überraschend aber: Der Streit im Hohen Haus lief erstaunlich friedlich ab.
Von Anna Lutz

Da ist nicht viel Gutes zu finden an der derzeitigen politischen Lage: Regierung zerbrochen, Haushalt unklar, Wahlkampf im Advent, Populisten, wohin das Auge weltweit blickt. 

Doch es gibt diese seltenen Momente, in denen die Demokratie ausgerechnet dann zeigt, was sie kann, wenn es besonders laut knirscht. Am Mittwoch im Bundestag geschah genau das. Denn wirklich alles nur denkbar Schlimme war erwartbar bei und nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zum Aus der Ampel. 

Unheilverkündende Vorboten hatte bereits der vorangegangene Mittwochabend mit sich gebracht: Olaf Scholz, der Christian Lindner öffentlich und persönlich anging („Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“). Gleich danach Lindner, der sichtlich getroffen vor laufenden Kameras vermutete, Scholz habe seinen Rauswurf in Wirklichkeit von langer Hand geplant. Und im Hintergrund Unionschef Merz, der schnellstmöglich Neuwahlen eingeleitet sehen will – vor allem auch, weil dessen Umfragewerte derzeit respektabel sind. 

Zwei Streithähne also und einer, der aus der Unruhe Profit schlagen will, das hätte das Bild sein können, das sich Beobachtern am Mittwoch dieser Woche bei der Sondersitzung des Deutschen Bundestages nach dem Koalitionsende bietet. Hätte. Denn alles kam anders. Zumindest ein bisschen. 

Erstaunlich sachlich, erstaunlich selbstkritisch

Denn natürlich war da Scholz, betont selbstsicher, Erfolge seiner Regierung aufzählend, im Duktus eines Gewinners, sodass wohl nicht nur Friedrich Merz danach sagen musste „Sie leben in Ihrer eigenen Welt!“. Und natürlich war da Letzterer, der sich den ein oder anderen Tiefschlag gegen Scholz nicht verkneifen konnte („Sie spalten unser Land, Herr Bundeskanzler!“).

Doch jenseits dieser eher kleineren Eitelkeiten und Seitenhiebe blieb die Debatte erstaunlich unpersönlich, erstaunlich ruhig, erstaunlich sachlich und ja, auch erstaunlich selbstkritisch. Nicht nur, dass der geschasste Ex-FDP-Finanzminister Christian Lindner es sich verkniff, Scholz eine Retour für seinen persönlichen Angriff zu verpassen. Auch die SPD zeigte sich fast schon demütig: Merz hatte zuvor beklagt, aus der Fraktion heraus sei ein KI-generiertes Fake-Video von ihm verbreitet worden. Fraktionschef Rolf Mützenich begann seine Rede mit der Zusage, wenn dies stimme, dann werde er dafür sorgen, dass sich der entsprechende Kollege bei Merz entschuldigt. Das ist mittlerweile geschehen. 

Auch die Grünen, namentlich Annalena Baerbock, eingesprungen für den in Lissabon wegen Flugzeugpanne festsitzenden Vizekanzler Robert Habeck, übte zwar Kritik an den Versäumnissen der Union unter Angela Merkel, vermied es aber sichtlich, dem politischen Gegner an die Gurgel zu gehen. 

„Besser dran, wenn wir zusammenhalten“

Das alles mag man nun für das Präludium neuer Koalitionsverhandlungen halten. Fakt ist aber auch: Offensichtlich gelingt es den politischen Kräften in diesem Land auch in Zeiten des größten Frusts und harter Enttäuschung am Ende doch, sich auf Sitte und Anstand zu verständigen. Auf faire Wortgefechte. So, wie es sich im Hohen Haus gehört.   

„Wir sind besser dran, wenn wir zusammenhalten“, sagte Olaf Scholz in seiner Rede und meinte damit das deutsche Volk. Doch nach diesem Mittwoch kann man das in gewissem Sinne auch auf den Bundestag beziehen: Streit um politische Positionen muss bleiben. Aber das ewige Gängeln, Drängeln und Maulen über den Anderen muss seine Grenze da finden, wo es persönlich, beleidigend und respektlos wird. Das ist gelungen und man mag fast sagen: endlich!

Wie anders es hätte aussehen können, zeigte am Mittwoch einmal mehr die AfD-Fraktion. Keine Minuten verging ohne laute und teils feindselige Zwischenrufe aus dem Block der AfD, nachzulesen im Sitzungsprotokoll. Alice Weidel sprach von den „Umfallerhelden der FDP“, mit Blick auf Merz vom „Ersatz-Scholz“ und warf der Union vor, ihr Programm bei der AfD abzuschreiben – freilich nicht, ohne von den anderen Fraktionen mehr „Demut“ zu fordern.

Der Mittwoch hat zwei Dinge sehr deutlich gemacht: Zum einen den Unterschied zwischen reinen Populisten und ernsthaften Demokraten. Jenen, die nur laut brüllen und jenen, die um Positionen ringen, auch mit dem politischen Gegner. Zum anderen lässt er hoffen: auf fairen und ehrlichen politischen Streit. Und einen guten Wahlkampf – sogar im Advent. Oder vielleicht gerade deshalb.

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