Ausgerechnet er? Unsinn! Über Kai Diekmanns „Der große Selbst-Betrug“

Der Chefredakteur der "Bild"-Zeitung veröffentlichte jetzt das Werte-Buch des Jahres. "Ausgerechnet Kai Diekmann", mögen nun einige denken (und andere schreiben). Doch von diesem Vorwurf sollten sich auch Christen schnell verabschieden – und stattdessen das Buch lesen. Denn Kai Diekmann nimmt Stellung zu Themen wie Patriotismus, Politikverdrossenheit, Familienpolitik oder dem Glaubensabfall der Deutschen. Immer provozierend, aber wenigstens eindeutig.
Von PRO

„Ausgerechnet er“, so tönt es sicher unter den Gerechten, „ausgerechnet Kai Diekmann!“ Ausgerechnet der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung schreibt ein Buch über Werte. Ja, immer dieses „ausgerechnet“. Gerade hier scheint es angebrachter denn je, ist Diekmann doch Chef und Herausgeber von Europas größter Boulevardzeitung, die sich nicht ausschließlich Themen oberhalb der Gürtellinie widmet. Seit 2001 leitet er „Bild“, die täglich von 12 Millionen Menschen gelesen wird. Und jetzt legt Kai Diekmann sein Buch „Der große Selbst-Betrug“ vor, in dem der Journalist seine Meinung äußert zu Christentum, Kirchen und Islamisten, auch zur Politikverdrossenheit der Bürger und der Heuchelei so mancher Regenten.

Das „ausgerechnet“ greift nicht, hier nicht, weder bei Diekmann noch bei einem anderen Journalisten einer Zeitung oder eines x-beliebigen Fernsehsenders, der ein Buch über Werte schreibt. Sendet doch auch (selbst) das Öffentlich-Rechtliche so manchen kritikwürdigen Beitrag, der nicht immer die hohen Moralmaßstäbe der „ausgerechnet“-Rufer erfüllt. Beim besten Willen also soll ein christlich orientierter Mensch bei einer säkularen Redaktion arbeiten und die Chancen nutzen, die ihm für ein Einbringen seiner Meinung und seines Glaubens gegeben werden.

Kai Diekmann hat mit seinem Buch die Chance genutzt, die ihm sein Name und die Bekanntheit gibt. In zahlreichen Interviews hat sich der „Bild“-Chef über seinen Glauben geäußert, auch darüber, dass es ihm wichtig sei, in „Bild“ christliche Themen zu veröffentlichen. Sei es die Rubrik „Prominente und ihre liebste Bibelstelle“ zum „Jahr der Bibel“, Beiträge, in denen Vertreter der Kirchen mit ihren Positionen zu Wort kommen oder auch die Herausgabe der „Volksbibel“, „Goldbibel“ und so weiter –  all das sind Beispiele dafür, dass ein einflussreicher Blattmacher sein Blatt in Teilen nutzen kann, um den Glauben nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen. Dass übrigens die „Bibel“-Ausgaben der „Bild“ auch ein kommerzieller Erfolg für den Verlag sind, taugt doch nicht als Vorwurf gegen die Projekte. Oder gibt es einen Autor oder Verleger, der kein Geld mit seinen Produkten verdienen will? Hätte er nicht auch dieses Ziel, würde er nach seinem ersten Buch kein zweites auf den Markt bringen.

Nun kann man über all das und die Beurteilung von „Bild“ auch ganz anderer Meinung sein, Fakt ist: Kai Diekmann hat mit „Der große Selbst-Betrug“ das Werte-Buch des Jahres vorgelegt. Der „Bild“-Chefredakteur widmet sich in seinem im Piper-Verlag erschienenen Buch einer Vielzahl von Themen und nimmt den Leser mit auf einen Streifzug durch links-liberale Denkmuster. Natürlich lässt er es nicht aus, all diese Schemata zu kommentieren und mit aus seiner Perspektive stichhaltigen Argumenten ad absurdum zu führen.

„Her mit einem gesunden Patriotismus!“

Um was geht es also? Um Grundfragen, die aktuelle Debatten bestimmen. Etwa die Frage nach dem Patriotismus der Deutschen. Diekmann schreibt: „Von uns Deutschen heißt es, wir hätten ein schwieriges Verhältnis zu unserer Nation. Irgendwie seien wir gehemmt, verklemmt und verkrampft, wenn es darum gehe, sich mit Freude zu unserem Vaterland zu bekennen. Das ist in anderen Ländern nicht so, zum Beispiel in den Vereinigten Staaten. In Washington gelandet, heißt der Flugkapitän die Passagiere mit bedeutungsschwerer Stimme in ‚the Nation’s Capital‘ (in der Hauptstadt der Nation) willkommen. In der Stadt dann eine nationale Erinnerungsstätte neben der anderen, ein Meer von Sternenbannern und überall ergriffene Amerikaner, die stolz sind auf ihr Land und auf ihre Geschichte.“

Mit Beispielen und Meinungen über die Patriotismus-Debatte in Deutschland geht es weiter, Diekmann erinnert an die Pläne des ehemaligen Bundesfinanzministers Hans Eichel, den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober als Feiertag abzuschaffen, um die Produktivität der Wirtschaft zu erhöhen. Oder an die Euphorie während der Fußball-WM 2006 in Deutschland und das schwarz-rot-goldene Meer der Fahnen. Doch salopp-leicht argumentiert Diekmann nicht, bis er zu seiner Forderung kommt: „Her mit einem gesunden Patriotismus!“ Er spricht gleichzeitig deutlich die deutsche Vergangenheit an, die Verbrechen der Nazis. „Aus den Verbrechen des Nationalsozialismus, zu denen wir uns bekennen, ergibt sich für uns Deutsche eine besondere Verantwortung, wie gegenüber dem Staat Israel. Wir tragen aber als Nachgeborene keine Schuld“, meint Diekmann. Er erwähnt den Aufbau Deutschlands aus Schutt und Asche, Wirtschaftswunder und Wiedervereinigung. „Warum sollten wir Deutschen 60 Jahre nach Kriegsende und fast zwei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit nicht auch ohne WM Patrioten sein dürfen? Es gibt doch allen Grund, stolz auf unser Land zu sein.“

Kai Diekmann wehrt sich gegen die Meinung linksgerichteter Politiker, die den Begriff „Patriot“ besser nicht in der Alltagssprache hören wollten. „Das darf aus Sicht dieser Leute nicht sein, weil sie zwanghaft glauben, wir Deutschen seien besonders anfällig für Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Natürlich haben wir Rechtsradikale und Ewiggestrige in unserem Land. … Natürlich müssen wir uns mit ihnen auseinandersetzen, gegen sie vorgehen und die Ursachen jeder Form des Radikalismus beseitigen. Aber Hysterie bringt uns nicht weiter.“ Wobei Diekmann auch selbstkritisch die Schlagzeilen seines eigenen Blattes anspricht, etwa im Fall Sebnitz und der tragischen Berichterstattung auch von „Bild“ über einen angeblichen Mord von Neonazis an einem sechsjährigen Jungen. „Eine unglaubliche Geschichte. Dennoch wurde sie von den Medien verbreitet. Auch in ‚Bild'“, schreibt Diekmann, und berichtet ausführlich davon, wie nicht nur andere Zeitungen die Falschmeldung brachten, sondern auch bei weiteren Meldungen über rechtsradikale Gewalttäter „Bild“ erneut „in Medienhysterie“ verfallen war.

Wertschätzen, was Eltern leisten

Doch nicht nur ein gesunder Patriotismus liegt Diekmann am Herzen, es geht ihm um mehr. Etwa um die Förderung von Familien und die Unterstützung von Müttern, die ihre Kinder erziehen. Er kritisiert die Panikmache durch Zukunftsängste vor Waldsterben, Atomkrieg und Erderwärmung, die manchen Paaren jeglichen Willen nimmt, überhaupt noch Kinder in die Welt zu setzen. Überhaupt sei die Individualisierung so weit vorangeschritten, dass Nachwuchs und Familiengründung von zahlreichen Frauen und Männern erst gar nicht als eine Option in Betracht gezogen würden. Diekmann plädiert daher nicht nur dafür, statt auf Zukunftsängste auf „Gottvertrauen“ zu setzen, wobei er berechtigt fragt: „Woher soll es auch kommen, wenn man an keinen Gott mehr glaubt?“ Er fordert auch konkrete „praktische Zeichen dafür, dass Kinder in unserer Gesellschaft einen Stellenwert haben und dass wir wertschätzen, was Eltern leisten“. Unterstützung für Familien könne neben Steuererleichterungen und „Extra-Urlaub“ etwa darin bestehen, dass alle Kinderprodukte den ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent haben – „denn noch wird Hundefutter niedriger besteuert als Windeln“.

„Vor lauter Gottähnlichkeit brauchen wir wohl keinen Gott mehr“

Treffend widmet sich Kai Diekmann auch den Fragen des (Un-)Glaubens. „Wir sind Papst – oder doch nicht? Wie die Deutschen vom Glauben abfallen“ hat er ein Kapitel seines Buches überschrieben, in dem er die Glaubensmüdigkeit der Deutschen beschreibt – und die Konsequenzen aus dem Desinteresse an protestantischer und katholischer Kirche aufzeigt. Zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes, der 1995 die Kruzifixe aus bayerischen Unterrichtsräumen verbannt hat, schreibt Diekmann: „Begreift man das Kreuz ausschließlich als Symbol des Christentums, kann man zur Ansicht der Bundesverfassungsrichter kommen. Wer aber das Kreuz als Ausdruck der abendländischen Kultur, unseres Menschen- und Weltbildes ansieht, dürfte eher zu einer anderen Entscheidung kommen. … Das Christentum ist nicht nur Religion, es ist als Grundlage unserer Kultur auch Basis unserer Maßstäbe, vieler gesetzlicher Normen, von Anstand und Sitte.“

Genau dies jedoch finde in der Gesellschaft immer weniger Akzeptanz, stattdessen erntet „bestenfalls ein müdes Lächeln“, wer Themen wie Religion oder Christentum anspreche. Der „dramatische Mitgliederschwund der Kirchen“ werde betrachtet „wie der Niedergang von Faustball- oder Rhönradvereinen, als Angelegenheit ohne Bedeutung, als gesellschaftspolitische Marginalie“. Weder in der Politik noch in Medien habe der Glaube eine Heimat, auch nicht in Europa. „Wer Atombomben bauen, wer den Plan der Schöpfung genetisch entschlüsseln kann, braucht vor lauter Gottähnlichkeit wohl keinen Gott mehr“, konstatiert Diekmann. Unser Land aber „steht auf christlichen Fundamenten – Punkt. Wer das nicht will, sollte sich über die Verluste im Klaren sein.“

Der „Bild“-Chefredakteur spricht noch zahlreiche weitere Themen an, seine Kommentare sollen seiner Ansicht nach den Deutschen die Wirklichkeit vor Augen führen. „Dieses Buch ist mit heißem Herzen geschrieben, weniger mit kühlem Kopf“, so Diekmann über „Der große Selbst-Betrug“, „es erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auf Ausgewogenheit oder Objektivität.“ Seine Worte seien nicht mit der Goldwaage gewogen, seine Sätze nicht abgestimmt mit den politisch Korrekten im Land. Vielleicht ist es genau das, was Diekmanns Buch so lesenswert macht – und mit dem er jedes „ausgerechnet“ ad absurdum führt.

Kai Diekmann, Der große Selbstbetrug. Wie wir um unsere Zukunft gebracht werden, Piper Verlag, 256 Seiten, € 16,90 [D], € 17,40 [A], sFr 30,90, ISBN: 9783492051224

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