Er kenne die Insel Utøya noch aus seiner eigenen Jugendzeit, da sei es ein "Paradies" gewesen, sagte Norwegens Regierungschef Jens Stoltenberg nach der Untat. Der 32-jährige Attentäter habe den Ort zur Hölle gemacht, als er dort über 80 Jugendliche kaltblütig erschoss.
"Ein Land sucht Trost im Gebet", titelte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Montag online. Im Dom von Oslo hätten sich am Sonntag "die Königsfamilie, Mitglieder der Regierung, Parlamentsabgeordnete, Angehörige der Opfer und viele Bürger der Stadt" versammelt, die stundenlang angestanden hätten. Ministerpräsident Stoltenberg sagte in seiner Ansprache: "Wenn ein einziger Mann so viel Hass aufbringt, wie viel Liebe können wir dann gemeinsam zeigen?"
"Ich würde ihn in eine dunkle Zelle sperren"
Der Psychologe Christian Lüdke vermutet, dass Anders B., der mittlerweile ein Geständnis zu beiden Anschlägen von Oslo abgegeben hat, die Öffentlichkeit suche, um seine Ideen zu verbreiten. Lüdke ist Psychotherapeut in Essen und spezialisiert auf die Behandlung von Trauma-Patienten. "Er begründet seine Tat ideologisch. Aber vermutlich dient die Ideologie als Projektionsfläche für seinen inneren Hass", so Lüdke. "Das Töten muss für ihn höchste Befriedigung gewesen sein, weil er die Fantasien, die er über Jahre entwickelt hat, endlich ausleben konnte."
Anders B. hat am Sonntag darum gebeten, dass der Hafttermin am Montag öffentlich sei, damit er seine Tat begründen könne, und dies in einer Uniform. Lüdke dazu: "Schon die Vorstellung ist grauenvoll. Dann würde er ja genau das Forum erhalten, das er gesucht hat. Ich würde den Täter komplett von der Öffentlichkeit abschotten und in eine dunkle Zelle sperren. Wer eine solche kaltblütig geplante Tat begeht, hat für immer das Recht verwirkt, an dieser Gesellschaft teilzunehmen."
Aus den Äußerungen des Täters im Internet wisse man, dass er sich als Held sieht. "Er ist völlig davon überzeugt, richtig zu handeln." Teil seines Plans sei es, eine Botschaft loszuwerden, deshalb habe er sich nicht – wie viele andere Massenmörder – nach der Tat selbst erschossen. "Er will seine rechtsradikale Ideologie verbreiten. Eine Ideologie, die stark von ihm geprägt ist. Von entsprechenden Organisationen und Parteien hat er sich ja wieder distanziert, weil sie ihm nicht radikal genug waren. Ihn treibt offensichtlich die Vision, das Land und die ganze Welt befreien zu müssen. Das ist wahnhaft."
Auch dass er auf Jugendliche geschossen habe, die schon verletzt am Boden lagen, sei "nur mit einer psychischen Störung zu erklären", so Lüdke. "Es liegt nicht in der Natur des Menschen, Menschen zu töten." Schon die Planung müsse dem Täter ein Gefühl von Überlegenheit und Allmacht gegeben haben. "Die Ursachen gehen oft weit bis in die frühe Jugend und Kindheit zurück, etwa die Unfähigkeit, mit Enttäuschungen umzugehen."
Appell an die Medien
Auch Jens Hoffmann, Leiter des Instituts für Psychologie und Bedrohungsmanagement sagte laut dem Informationsdienst "Pressetext": "Dass er lebend gefasst wurde, sowie auch die Ankündigung, vor Gericht in Uniform zu erscheinen, deutet darauf, dass er berühmt werden will. Leider brachten die Medien bisher tatsächlich seinen Namen, das unverpixelte Gesicht und weitere Fotos des Täters.
Frank Robertz vom Institut für Gewaltprävention und angewandte Kriminologie appellierte an die Medien: "Geben Sie dem Täter kein Forum, indem Sie seine Fotos und politischen Ansichten oder gar direkte Aussagen abdrucken." Marianne Leuzinger-Bohleber, Leiterin des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts, sagte: "Manche narzisstisch veranlagte Menschen, die sich von der Gesellschaft abkapseln, sehnen sich nach Gelegenheiten, ihre vermeintliche Grandiosität darzustellen. Um keine Größenphantasien zu stimulieren, sollten Medien besser neutral statt marktschreierisch berichten und sich um Verstehen bemühen."
Bernhard Witthaut, Chef der Gewerkschaft der Polizei, sagte gegenüber "Welt online": "Der Festgenommene sagt, er sei rechtsnationalistisch und christlich-fundamentalistisch geprägt. Ob darin tatsächlich die Motive für die Tat liegen, ist für mich noch gar nicht nachvollziehbar." In seinem 1.500 Seiten umfassenden Manifest habe er offenbar für sich persönlich eine Begründung für die Tat gefunden. "Wie der unbändige Hass entstanden ist, wissen wir noch nicht. Wir stehen mit unseren Erklärungen noch ganz am Anfang", so Witthaut.
"Täter ist kein christlicher Fundamentalist"
In dem Manifest, dass Anders B. im Internet veröffentlicht hatte, geht er auch auf Religion ein. Er sieht sich als "gerechten Ritter" und "Märtyrer für die Kirche". Ein Eintrag lautet: "Ich habe heute zum ersten Mal seit sehr langer Zeit gebetet. Ich machte Gott klar, dass er, wenn er keine marxistisch-islamische Allianz haben will und nicht will, dass der Islam ganz Europa übernimmt und im Laufe der nächsten hundert Jahre das europäische Christentum verschlingt, auch dafür sorgen muss, dass ein Krieger für das europäische Christentum Erfolg hat."
Weiter schreibt der 32-Jährige: "Ich will niemandem vormachen, dass ich sehr religiös bin, das wäre eine Lüge. Ich war immer sehr pragmatisch und wurde von meiner säkularen Umwelt beeinflusst. (…) Religion ist eine Krücke für schwache Menschen, und viele umarmen die Religion aus eigennützigen Gründen, weil sie dadurch geistig gestärkt werden." Das sei auch für ihn der einzige Grund, religiös zu sein. "Ich habe bisher Gott noch nicht um Kraft gebeten, aber ich bin sicher, ich werde beten, wenn ich durch die Stadt ziehe und die Gewehre feuern (…) Wenn es einen Gott gibt, dann wird er mich in den Himmel lassen wie alle Märtyrer für die Kirche in der Vergangenheit." Den Protestantismus nennt er abfällig den "Marxismus des Christentums". "Wir müssen zu unseren katholischen Wurzeln zurückkehren. Wir, die protestantischen Nationen Europas, sollten nicht vergessen, dass wir alle einmal Katholiken waren."
Die FAZ kommentierte das "Manifest" und die Motive des Täters mit den Worten: "Es ist zu früh, um diesen (…) Text wirklich analysieren zu können. Eines aber wird schon bei der ersten Sichtung klar: Jeder Versuch, Breivik als faschistoiden Rechtsextremen oder christlichen Fundamentalisten zu beschreiben, ist nicht mehr als ein hilfloser Reflex."
Die norwegische Zeitung "Aftenposten" sprach mit dem Akademiker Lars Gule, der Palästina in den siebziger Jahren mit einer Lieferung Sprengstoff helfen wollte. Gule hatte Breivik als Diskussionsteilnehmer in einem Internet-Forum zum Thema Islamismus erlebt. Er charakterisiert Breivik mit den Worten: "Er ist nationalkonservativ, nicht Nazi. Er hat eine konservative, christliche Ideologie, aber ich denke nicht, dass man ihn mit Recht einen christlichen Fundamentalisten nennen kann." (pro)