Mitte Januar 2015 saß ich im Flugzeug von Berlin nach Stuttgart und war unterwegs zu meinem besten Freund Maik. Ich saß neben zwei Jugendlichen und wir kamen ins Gespräch. Die beiden wollten in Stuttgart ein Konzert besuchen, irgendetwas mit „holy“. Der junge Mann erzählte, er wolle Prediger werden. Ich war neugierig, weil die beiden so jung waren und so fest verwurzelt und begeistert. Ich dachte: Das glaub ich dir sogar, dass du Pastor wirst, cool! Ich selbst war atheistisch, lesbisch und voller Vorurteile gegen Kirche und Glauben. Aber ich dachte mir: Wenn die so offen erzählen, dann ist das jetzt eine Chance, neugierig zu sein. Wir waren uns sympathisch, tauschten Handynummern aus und blieben in Kontakt.
Dann kriselte es auf meiner Arbeit. Kurz darauf verließ mich die Lebensgefährtin, mit der ich glaubte, eine Zukunft aufzubauen. In dem ganzen Hickhack dachte ich an Leon aus dem Flugzeug und fragte ihn per SMS: „Sag mal, wie geht ihr Christen mit Lebenskrisen um?“ Er antwortete mit einem Bibelvers: „Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“ (Römer 10,13).
Ich bekam den Vers am 23. April 2015 mitten in der Nacht und verstand ihn nicht. Am nächsten Morgen saß ich in der S-Bahn, las den Vers wieder und fing wie aus dem Nichts an zu heulen. Ich hatte keine Ahnung, wieso. Als ich Leon davon erzählte, lud er mich für den Abend in seine Gemeinde zum Jugendgottesdienst ein.
Als ob Ketten gesprengt würden
Nun hatte ich keine nette Woche gehabt. Nach der Arbeit war ich todmüde und wollte nach Hause. Ich hätte die Ringbahn nach Norden nehmen müssen, erwischte aber die falsche Bahn und merkte zu spät: Ich bin im Süden. Da dachte ich: Gut, dann kann ich auch gleich in die Gemeinde gehen. Dann war ich da. In einer Kirche. Als Atheistin, lesbisch und mit regenbogenfarbenen Haaren. Komischerweise haben die Leute mich herzlich aufgenommen.
Dann ging es los mit der Andacht, und ich saß anderthalb Stunden in diesem Jugendgottesdienst und weinte – und das, obwohl ich keine Heulsuse bin! Das Andachtsthema packte mich: Es ging darum, dass Jesus unser Leben anführt. Wenn wir ihm hinterhergehen, können wir auch eine tiefe Schlucht überqueren. So fühlte sich mein Leben gerade an: Als ob ich vor einem tiefen Abgrund stehe und nicht weiter kann. Das war für mich genug Input, und ich fuhr relativ zeitig nach Hause.
Als ich im Bett lag, dachte ich: Jetzt will ich wissen, was ein richtiger Gottesdienst ist! Von meiner Wohnung zur Gemeinde dauerte es eine Stunde, so saß ich am Sonntag um neun Uhr in der Bahn und fuhr zum Gottesdienst. Und wieder heulte ich anderthalb Stunden durch. Ich hatte das Gefühl, als ob ganze Gebirgsketten von meinem Herzen fallen. Es war so erleichternd und befreiend, als ob Ketten gesprengt würden.
Nach dem Gottesdienst kam einer der Jugendleiter auf mich zu und fragte, wie ich mich fühlte. Ich erzählte ihm von diesem befreienden Gefühl und auch, dass ich nicht viel vom Glauben wusste. „Willst du mehr darüber wissen?“, fragte er. „Ja“, meinte ich. Dann standen wir vor dem Regal in der Bücherstube und ich durfte mir eine Bibel aussuchen.
Über Schluchten hinweg
In sechs Wochen hatte ich das Neue Testament von vorne bis hinten durchgelesen. Ich war dermaßen gepackt! Jedes Wochenende ging ich in den Gottesdienst. Ich wusste: Da bin ich richtig, danach habe ich gesucht. Ich erlebte Gott als Vater und Jesus, der sagte: „In dir schwachem Wesen zeige ich meine Stärke und trage dich über deine Schluchten hinweg.“ Ich wusste nicht, wie Beten geht. Aber ich habe Jesu Gegenwart gespürt, er war da.
Irgendwann las ich in der Bibel davon, dass man eine Öllampe nicht abdeckt, weil sie den Raum erhellen soll. In der Nacht lag ich wach im Bett und hatte immer wieder die Wörter „Licht“ und „Lampe“ im Kopf. Auf einmal hatte ich das Gefühl, mein Inneres wie eine beleuchtete Höhle zu sehen. Ich sah alle schattigen Stellen. Aller Unrat, aller Schmutz, den ich in meinem Leben angesammelt hatte, wurde mir gezeigt.
Ich verstand zum ersten Mal: Es gab viele Gründe in meiner Vergangenheit, warum ich lesbisch geworden war. Mir wurde klar, dass ich Männer nicht in meiner Nähe mochte, weil ich sie immer mit Alkohol in Verbindung gebracht hatte. Wer will schon was mit aggressiven Schlägertypen anfangen – also habe ich mich nach dem Weiblichen gesehnt. Ich dachte: Okay, wenn ich das jetzt verstanden habe, dann muss ich das so nicht weiter haben! Ich fragte Gott: „Was willst du von mir? Soll ich auf Männersuche gehen?“ Da kam mir Maik, mein bester Freund, in den Sinn. Ich sagte: „Vergiss es, Gott! Maik ist ein noch schlimmerer Atheist, als ich es war. Ich nehme ihn nur, wenn er Christ wird.“ Allerdings hielt ich das für unmöglich.
„Jesus, nimm mein Leben und mach was draus!“
Ende Mai war ich wieder in Stuttgart. Maik und ich planten eine nebenberufliche Tätigkeit, dazu gab es ein Firmen-Event. Dort lernte Maik Freunde von mir kennen, die Christen waren. Gott hatte sie als Ehepaar zueinander geführt. Maik war von ihrer Geschichte beeindruckt. Er wusste, was bei mir passiert war – aber nichts von meinem Gebet, das ihn betraf. Aber dann geschah etwas Merkwürdiges. Wir saßen in einer Weiterbildung, und auf einmal kriegte ich das Heulen. Dann hing ich Maik um den Hals und sagte: „Du wirst mein Mann und der Vater meiner Kinder!“ Er antwortete: „Ja.“
Danach erzählte er mir, dass er sich nach dem Gespräch mit meinen Freunden auf Gott eingelassen und gesagt habe: „Wenn es dich gibt, dann schenk mir doch eine Frau an meine Seite!“ Zwei Tage später suchten wir Verlobungsringe aus. Im November heirateten wir standesamtlich und Maik zog zu mir. Beide ließen wir uns 2015 taufen, und im Mai 2016 haben wir kirchlich geheiratet.
Die Regenbogenfarben haben für mich nun eine neue Bedeutung: Gott besiegelt seinen Bund mit uns Menschen. Als Maik und ich unseren Ehebund schlossen, prägten deshalb auch die bunten Farben das Bild.
Mein Leben lang musste ich schnelle, gut fundierte Entscheidungen treffen. An dem Tag, an dem ich erkannte, es gibt Gott, den Vater, Jesus und den Heiligen Geist, da habe ich gesagt: „Jesus, nimm mein Leben und mach was draus! Egal, was du mir sagst, ich werde es tun.“ So habe ich Jesus mein Wort gegeben. Ich dachte: Wenn du Gott bist, dann gebe ich dir alles, was ich habe. Er hat so eindrucksvoll zu mir gesprochen, klar und deutlich. Er hat mir alles gezeigt und erklärt, ich habe es verstanden, und deshalb konnte ich folgen. Nur darum konnte ich das alles in dieser Geschwindigkeit machen.
Hitzige Diskussionen
Mit meiner Familie und in meinem Freundeskreis hatte ich richtig heftige Diskussionen, aber ich konnte ganz ruhig darüber reden und sagen: „Es fühlt sich richtig an. Nein, ich bin nicht verrückt und ich habe keine Drogen genommen. Ich weiß, was ich tue.“
Ich war der Inbegriff einer Lesbe gewesen. Maskulines Erscheinungsbild, bunt gefärbte Haare, maskuline Verhaltensweisen, maskuliner Wortschatz. Und auf einmal stehe ich da und sage: „Das ist mein Mann, den ich heiraten werde!“
Mein lesbischer Freundeskreis reagierte mit völligem Unverständnis. Aber der Abschlusssatz war immer: „Na ja, wenn du glücklich bist …“ Komischerweise bin ich mit all diesen Menschen immer noch in Kontakt. Sie fragen gelegentlich nach: „Bist du immer noch mit diesem Mann zusammen?“ Sie bleiben dran und sind neugierig.
Die Christen in meiner Gemeinde sind sehr anteilnehmend und freundlich und haben aus meiner Geschichte Hoffnung geschöpft. Viele von ihnen haben homosexuelle Bekannte und baten mich, für diese Freunde zu beten. Mir ist aber klar: Nur weil ich das so erlebt habe, heißt das nicht, dass jeder andere das auch so erleben muss. Jesus geht ganz individuell mit jedem um. Bei dem einen dauert Veränderung einen Monat, bei dem Nächsten zehn Jahre. Ich werde immer für andere beten, aber immer sagen: „Jesus, nimm du dich dieses Lebens an, sei du der Wegweiser.“
Ich freue mich riesig über das, was mir geschehen ist. Es ist so, als ob der Filter, mit dem ich fühle, sauber gemacht wurde. Ich merke, wenn ich das Bibellesen schleifen lasse, ist der Tag so lala. Wenn ich meine Morgenandacht mache, ist der Tag wunderbar. Wenn ich Jesus um Hilfe bitte, hilft er gern. Natürlich sieht er meine Nöte, aber er ist ein Gentleman. Er kommt erst, wenn ich ihn einlade. Also will ich ihm sagen, wo ich Hilfe brauche. Wenn ich Tiefen hatte und Jesus eingeladen habe, mir in meiner Schwäche zu helfen, dann kam er sofort und hat mir geholfen.
Christina Bachmann hat die Geschichte von Janin Abendroth aufgeschrieben. Der Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe 3/2016 der christlichen Frauenzeitschrift Lydia.
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Eine Antwort
Danke für diesen großartigen Artikel! Und einen Dank natürlich erst recht an Jesus.