„Antizionisten“ bedrohen evangelischen Pfarrer

Ein evangelischer Pfarrer drückte im Oktober 2023 seine Trauer über den Hamas-Anschlag wenige Tage zuvor im Süden Israel aus. Ein Mann störte daraufhin den Gottesdienst. Seitdem kommt es immer wieder zu massivem Protest, der bis heute nicht abebbt.
Von Jörn Schumacher
Martinskirche Langenau, Pfarrer Ralf Alexander Sedlak

Eigentlich tat der evangelische Pfarrer Ralf Sedlak an jenem Sonntag im Oktober 2023 nichts anderes, als in seiner Predigt den Terrorakt der Hamas auf Bewohner im Süden Israels zu erwähnen. Bei ihrem Terrorangriff am 7. Oktober 2023 hatten Hamas-Terroristen etwa 1.200 Menschen getötet und etwa 240 weitere entführt.

Ein Störer unterbrach durch lautes Rufen den Gottesdienst; bis heute feindet eine Gruppierung den Pfarrer an und behauptet, er sei „Faschist“ und „Zionist“.

Sedlak, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Langenau bei Ulm, sagt gegenüber PRO: Eigentlich habe er in seiner Predigt an jenem 15. Oktober 2023 in seiner evangelischen Martinskirche über das Thema Gebetserhörung gesprochen. „Es ging um schwere Krankheiten, wie Betroffene und Angehörige damit umgehen, und wie sie damit vor Gott kommen.“ In einem zweiten Beispiel sei er dann auf den Anschlag in Israel zu sprechen gekommen, der wenige Tage zuvor die Schlagzeilen dominierte und die Gemüter bewegte. „Auch hier kommen wir an die Grenzen dessen, was wir uns überhaupt vorstellen möchten und wo wir fast sprachlos sind und das Leid vor Gott klagen“, so Sedlak.

Daraufhin sei ihm ein Mann lautstark ins Wort gefallen, der ihm bisher nicht im Gottesdienst aufgefallen sei, wie Sedlak im Gespräch mit PRO sagt. Der Mann habe gerufen: „Das ist falsch! Die Nachrichten sind Fake News!“ Er habe erst noch versucht, argumentativ dagegenzuhalten, sagt Sedlak, doch das sei aufgrund der Aggressivität des Mannes kaum möglich gewesen. Schließlich sei der Mann von mehreren Mitgliedern des Kirchengemeinderats nachdrücklich gebeten worden, die Kirche zu verlassen. „Das hat er dann nach einigen Einwänden getan“, so Sedlak. Doch damit ließ es der Mann keineswegs auf sich bewenden.

BDS-Gruppe hat es auf die Kirche abgesehen

In Langenau, einer 16.000-Einwohner-Gemeinde etwa 20 Kilometer von Ulm entfernt, sei es danach zu „unklaren“ Vorkommnissen gekommen, wie es Sedlak ausdrückt. Denn ein Zusammenhang zu den Protesten im Gottesdienst ist zwar denkbar, aber nicht gesichert. „In der Neujahrsnacht wurde mit einer Schreckschusspistole auf unser Haus geschossen“, berichtet der Pfarrer. „Es gab zudem einen Drohnenflug um unser Haus, den wir bis heute nicht einordnen können.“

Am 10. März 2024 klebten dann sowohl am Gemeindehaus als auch am Pfarrhaus Aufkleber mit der Aufschrift „Zionist = Faschist“. Ab Karfreitag gab es dann fast jeden Sonntag bis in die Adventszeit 2024 hinein Kundgebungen vor der Martinskirche. „Von der Symbolik orientierten sich diese an der Bewegung ‚Boycott Israel‘“, so Sedlak. Unter dem Namen „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) versuchen Israelfeinde seit fast 20 Jahren, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren.

Bei den so genannten „Mahnwachen“ vor der Kirche seien Slogans wie „Es ist Völkermord. Boycott Israel“, „Gaza. The Palestinian Holocaust“ und Israel sei ein „Kolonialer Siedler-Schurkenstaat“ präsentiert worden. Sedlak ergänzt: „Es wurde auch der Vorwurf erhoben, unsere Kirchengemeinde sei Komplizin des Völkermordes.“ Über Megafon sei das vor der Kirche, aber auch direkt an die Gottesdienstbesucher gerichtet ausgesprochen worden. „Da wurde dann auch behauptet, ich sei ein Nazi und ein Hassprediger“, so Sedlak. „Man solle aus der Kirche austreten und gegen sie vorgehen.“

Solidaritätsbekundungen aus mehreren Ländern

Ironischerweise habe er im besagten Gottesdienst eigentlich ein Kanzelwort des Landesbischofs vorlesen wollen, sagt Sedlak. „So weit bin ich aber gar nicht mehr gekommen“, so der Pfarrer. Das Kanzelwort habe den Anschlag der Hamas schärfer verurteilt als seine Predigt, sagt Sedlak. Für ihn war dann auch klar, dass der Störer eigentlich dieses Kanzelwort, das bereits zwei Tage zuvor im Internet zu lesen war, habe angreifen wollen. So sei auch zu erklären, dass seine Einwände semantisch teilweise gar nicht zu Sedlaks Predigt passten.

„Jeder, der mir vorwirft, sich zu einseitig für Israel zu positionieren – was im Übrigen nicht stimmt – der trifft in mir den falschen Adressaten, eigentlich habe ich wahrscheinlich noch zurückhaltender formuliert als viele meiner Kolleginnen und Kollegen in Württemberg an jenem Sonntag.“ Sedlak fügt hinzu: „Was mich getroffen hat, hätte also jeden anderen Kollegen meiner Kirche treffen können.“

Am 7. Dezember 2024 führte dann eine israelfeindliche Demonstration durch Langenau: Etwa 150 Aktivisten, die größtenteils von außerhalb gekommen waren, riefen Sprüche wie „Zionismus ist Terrorismus“ und „Zionismus ist Faschismus“. Sedlak sagt: „Es wurde auch gerufen: ‚Vom Fluss bis zum Meer…‘ Die Polizei schritt nicht ein.“

Vor der Kirche riefen Demonstranten: „Blut, Blut, Blut an euren Händen! Shame on you.“ Dann wurden die Namen Sedlaks und seiner Kollegin Rebekka Herminghaus, Pfarrerin Leonhardskirche mit Wettingen, ausgerufen. Mitte Dezember tauchten an der Martinskirche sowie am Rathaus in Langenau antisemitische Schmiereien auf, darunter die Slogans „Boycott Israel“ und „Juden vergasen“. Jetzt ermittelt der Staatsschutz des Landes Baden-Württemberg, wie das Polizeipräsidium Ulm mitteilte.

Es gebe aber auch viele Unterstützer, sagt Sedlak. „Mehrere Landtagsabgeordnete haben mir ihre Solidarität ausgesprochen. Im November kam der Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl zu einem Gottesdienst nach Langenau, um seine Solidarität mit der Gemeinde zu bekunden. Von jüdischer Seite bekomme ich Unterstützung, dazu Zuschriften aus Europa, zum Beispiel aus Polen, aus Frankreich, aber auch aus Israel.“

Wie der Evangelische Pressedienst (epd) berichtet, stellte sich auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) inzwischen hinter Pfarrer Sedlak. Anfang Dezember schrieb er in einer Antwort auf eine Anfrage der CDU-Landtagsfraktion: „Der Pfarrer und seine Familie können sich des Rückhalts der Landesregierung gewiss sein.“ Die Sicherheitsbehörden würden „alle erforderlichen Maßnahmen treffen, damit weitere Störungen und Anfeindungen unterbunden werden“. Als polizeiliche Maßnahmen kämen punktuelle Überwachungsmaßnahmen in Betracht, eine Gefährderansprache, ein Platzverweis oder ein Aufenthaltsverbot.

Am Zweiten Weihnachtsfeiertag 2024 feierte die Martinskirche gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde aus Ulm Chanukka auf dem Marktplatz in Langenau. Vor rund 250 Besuchern sprachen die Bürgermeisterin, der Rabbiner und der evangelische Dekan. „Das war ein starkes Zeichen: Wir stehen zusammen gegen Antisemitismus“, sagt Sedlak.

Am 12. Dezember 2024 hatten zudem über einhundert Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Kirchengemeinderäte öffentlich ihre Solidarität mit der Langenauer Kirchengemeinde ausgedrückt. In einer Unterschriftenaktion hieß es: „Langenau ist kein Einzelfall.“ Daran beteiligten sich unter anderem der württembergische Landesbischof Gohl sowie die Ulmer Prälatin Gabriele Wulz. Man sehe überall eine Zunahme antisemitischer Straftaten und Übergriffe gegen Juden und Jüdinnen, heißt es in der Erklärung. „Wir stehen an der Seite von Juden und Jüdinnen und setzen uns gegen Antisemitismus und gegen jede Form und Spielart gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zur Wehr.“

Auch der Ulmer Münsterdekan Torsten Krannich solidarisierte sich mit seinen Kollegen in Langenau. Gegenüber dem SWR sagte er: „Wir stehen an der Seite unserer jüdischen Mitbürger, denen wie im finstersten NS-Jargon Auslöschung angedroht wird.“ Wenn von „Juden vergasen“ die Rede sei, gehe es nicht mehr um die Politik Israels, „sondern um die Jüdinnen und Juden, die in Langenau und Ulm leben“.  Er fügte hinzu: „Wir können überhaupt nicht verstehen, wieso Pfarrerin Herminghaus und Pfarrer Sedlak in so übelster Weise diffamiert werden. Sie sind weder Faschisten, noch unterstützen sie die Politik des Staates Israel. Zu behaupten, sie hätten Blut an ihren Händen, das ist infam.“

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