Meinung

Antisemitismus hätte das Thema sein müssen

Die Deutsche Islam Konferenz hat sich dem Thema des muslimischen Antisemitismus nur halbherzig gewidmet. Dabei wäre gerade sie der richtige Ort für einen ernsthaften Diskurs gewesen.
Von Anna Lutz

In dieser Woche tagte die Deutsche Islam Konferenz. Sie wurde in der Vergangenheit oft kritisiert. Muslime fühlten sich durch sie zum Fremdkörper im Deutschen Staat gemacht. Linke befanden, es würden zu konservative Gäste eingeladen. Progressive hielten die Teilnehmer für zu konservativ. Und manche, vor allem liberalen Muslime, sahen sich sowieso zu wenig beachtet. 

Sie alle mögen nicht ganz falsch liegen, aber eines ist nach 17 Jahren Islam Konferenz klar: Die jährliche Tagung ist nicht nur eine Institution geworden, sie ist zudem das vielleicht wichtigste Austauschforum von Muslimen unterschiedlicher Prägung untereinander und mit dem Innenministerium. Denn wo treffen sonst liberale und konservative überhaupt aufeinander? Und das auch noch im staatstragenden Rahmen? 

Islam Konferenz ist gut und wichtig

Also: Die Islam Konferenz ist gut und wichtig. Sie erreicht Muslime verschiedener Prägung, wenn auch nicht die Radikalen, aber wer tut das schon. Es ist wichtig, das zu betonen, um die nun folgende Kritik zu verstehen.

In dieser Woche ging es um zwei Themen: Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus. In politischem Kauderwelsch ausgedrückt: religionsbezogene Menschenfeindlichkeit. Und genau hier beginnt das Problem der diesjährigen Tagung. Menschenfeindlichkeit ist nicht gleich Menschenfeindlichkeit. Jede Ausprägung selbiger ist schlimm. Aber es ist nicht ratsam, völlig unterschiedliche Phänomene gleichzusetzen, nur, weil man allen gerecht werden will. 

Vor dem 7. Oktober war die Welt eine andere. Es gab die bestialischen Morde an Hunderten Israelis durch die Hamas noch nicht, die Geiselnahmen, den Krieg in Gaza. Und – für die Islam Konferenz noch relevanter – es gab noch nicht die antisemitischen Übergriffe in Deutschland. 

Häuser von Juden waren in jüngster Geschichte noch nicht mit Davidsternen gekennzeichnet worden. Juden in Berlin hatten noch nicht flächendeckend aufgehört, ihre Kippa öffentlich zu tragen, aus Angst, tätlich angegriffen zu werden. Starbucks-Filialen waren noch nicht von pro-palästinensischen Gruppen belagert worden, weil ihr Gründer offenbar Jude ist. Polizisten patrouillierten noch nicht großflächig durch die Straßen, um judenfeindliche Ausschreitungen zu verhindern. Menschen, die nach den Schrecken des Holocaust endlich wieder eine Heimat in Deutschland gefunden hatten, überlegten noch nicht, das Land wieder zu verlassen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. 

Menschenfeindlichkeit ist nicht gleich Menschenfeindlichkeit

Die Deutsche Islam Konferenz wurde vor dem 7. Oktober geplant und ihr Thema stand fest: Muslimfeindlichkeit. Dazu gibt es eine aktuelle große Untersuchung und ja, ihre Ergebnisse sind erschütternd. Doch spätestens seit der Antisemitismus in Deutschland öffentlich um sich greift wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und wegen des Gazakonflikts auch in besonderem Maße unter Muslimen, hätte klar sein müssen: Wir ändern den Schwerpunkt der zwei Sitzungstage. Wir sprechen über jüdisches Leben und wie wir es auch als Muslime und mithilfe der Politik sichern können. 

Doch um allen Seiten gerecht zu werden, nahm man stattdessen beide Phänomene in den Blick: Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit. So, als wären sie dasselbe. Als hätten sie dieselbe Wurzel, dieselben Auswirkungen und als könne man sie auf gleiche Weise bekämpfen. 

Diese Verkürzung ist zugegebenermaßen verführerisch. Aber sie ist zweifach problematisch. Erstens stellt sie eine Diskursverschiebung dar, wie Ahmad Mansour richtigerweise anmerkte. Muslime leiden derzeit in Deutschland nicht in gleicher Weise unter Angriffen und Verfolgung wie Juden. Bei allem Verständnis dafür, dass Muslimen unter Ressentiments und Pauschalurteilen leiden – tätliche Angriffe, feindliche Parolen, geschrien von Tausenden, und Molotowcocktails, die auf Synagogen fliegen, haben eine andere Qualität. 

Zweitens verhindert diese Gleichstellung zweier völlig unterschiedlicher Phänomene auch die Suche nach Lösungen. Was kann man tun gegen antisemitische Haltungen in muslimischen Communitys? Wie erreichen wir Jugendliche in Neukölln? Migranten aus Ländern des Nahen Ostens? Das hätte sich die Deutsche Islam Konferenz in diesem Jahr exklusiv fragen können. Denn ihre Teilnehmer sind es, die antisemitisch eingestellte Muslime erreichen können. Wer, wenn nicht sie? Stattdessen hat die Konferenz versucht, alles zu vermischen, um allen gerecht zu werden und am Ende ist man vermutlich keinem der beiden Probleme wesentlich näher gekommen. 

 „Ein jegliches hat seine Zeit“, sagt uns der Text des Predigers Salomo in der Bibel. Wer sich auf den Straßen Berlins und anderer großer deutscher Städte umsieht, der kann nicht anders, als festzustellen: Jetzt ist die Zeit, um über Antisemitismus zu sprechen. Und ihn zu bekämpfen. Nicht nur in manchen muslimisch geprägten Milieus. Aber eben auch in diesen. Ebenso, wie Christen, die sich auf das Erbe Luthers berufen, immer wieder über dessen Judenhass sprechen müssen. Das hat die Islam Konferenz leider nur halbherzig getan und dort, als vielleicht wichtigstes Gesprächsformat von Muslimen untereinander und zwischen Muslimen und dem Staat, versagt.

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