Antisemitismus dringt weiter in die Mitte der Gesellschaft vor

In der Corona-Pandemie hat sich Antisemitismus weiter in der Gesellschaft verbreitet. Experten warnen vor einer „erschreckenden“ Entwicklung.
Von Johannes Schwarz
Corona-Demo-Leipzig

Während der Corona-Pandemie hat sich der Antisemitismus in Deutschland deutlich verstärkt. Das geht aus dem Lagebild Antisemitismus des Verfassungsschutzes hervor. Im Berichtszeitraum 2020/21 haben sich demnach vermehrt Verschwörungserzählungen, Holocaust-Verharmlosung und Israelkritik verbreitet. Laut der Sicherheitsbehörde dringen antisemitische Denkweisen immer weiter in die Mitte der Gesellschaft vor und sind nicht ausschließlich an den politischen Rändern zu finden.

Corona-Proteste befeuern Verschwörungserzählungen

Auf Demonstrationen, etwa gegen Corona-Maßnahmen, gab es laut dem Bericht beispielsweise vermehrt Parolen, Symbole und Äußerungen, die den Holocaust verharmlosten. Durch die Demonstrationen würden immer mehr antisemitische Äußerungen und Gedanken in die Öffentlichkeit getragen. Bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch nannte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), diese Entwicklung „beschämend“.

Der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, erklärte, dass Antisemitismus als „Bindeglied zwischen gesellschaftlichen Diskursen und extremistischen Ideologien“ diene. Diese Entwicklung könne zunehmend bei den Corona-Protesten beobachtet werden. „Teil jahrhundertealte antisemitische Verschwörungsvorstellungen erfahren durch die Pandemie einen neuerlichen Verbreitungsschub, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht“, heißt es im Bericht. Haldenwang bewertete dies als „erschreckend“.

Seit 2001 erfassen deutsche Behörden politisch motivierte Kriminalität. Dem Bundeskriminalamt zufolge wurden 2020 die meisten antisemitischen Straftaten seit Beginn der Erfassung verzeichnet. Insgesamt sind mehr als 2.300 Straftaten gezählt worden – 15 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Der Verfassungsschutz geht von einer hohen Dunkelziffer bei Straftaten aus, denn viele Vorfälle würden vermutlich nicht zur Anzeige gebracht. Der Lagebericht analysiert und differenziert den Antisemitismus nach seinem Ursprung. So wird dieser etwa im Rechtsextremismus, im Islamismus oder im Linksextremismus näher betrachtet. Gleichwohl sei eine genaue Zuordnung immer schwieriger, da Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft immer anschlussfähiger werde.

Mehr Antisemitismus im digitalen Raum

Während der Pandemie finde antisemitisches und verschwörungstheoretisches Denken kontinuierlich über die sozialen Medien Verbreitung. Laut dem Lagebild des Verfassungsschutzes werde dabei die Pandemie in erster Linie in „bereits bestehende antisemitische Verschwörungstheorien eingebettet“.

Besonders die Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen weiterer Freiheiten seien genutzt worden, um Menschen mit Erzählungen in die Irre zu führen. Laut dem Bericht biete das Internet „eine Vielzahl von Möglichkeiten, rechtsextremistisches und antisemitisches Gedankengut bis hin zu terroristischen Gewaltfantasien und Planungen vergleichsweise ungestört auszutauschen und zu verbreiten“.

Haldenwang erklärte, „das Internet dient als Nährboden und stellt einen wesentlichen Dynamisierungsfaktor im aktuellen Antisemitismus dar“. Immer auffälliger seien Messengerdienste, wie etwa „Telegram“. Dort würden in diversen digitalen Räumen antisemitische Weltbilder verfestigt und verbreitet.

Das Lagebild Antisemitismus wurde erstmals im Juli 2020 vorgestellt. Er soll den Antisemitismus grundlegend beleuchten und den politischen Akteuren dienen, Politik anders zu gestalten. Die SPD-Politikerin Faeser sieht im wachsenden Antisemitismus eine „Schande für unser Land“. Sie wolle sich für mehr politische Bildung einsetzten und „Extremismusprävention massiv stärken“.

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Eine Antwort

  1. Schade, dass oft alles unter einen Kamm geschert wird.

    Immer wieder geht es gegen Telegram und das „freie Internet“. Was ist aber, wenn das Internet nicht mehr frei ist, wenn Zensur (auch in Deutschland) geschieht? Wenn Beiträge auf YouTube, Facebook etc. gelöscht (obwohl sachlicher, kritischer Corona-Natur) werden, ist das Internet sowieso nicht mehr frei…
    Wollen wir Zustände wie in Diktaturen?

    Dürfen Vergleiche mit dem Beginn!! der Nazi-Zeit nicht gezogen werden? Ist das gleich Rechtsextremismus? Ist das gleich Antisemitismus? Selbst Juden, Überlebende vom Holocaust (bzw. dessen Nachfolger) haben auf Anti-Corona-Demos solche Vergleiche gezogen. Sind diese Antisemiten?

    Schön, dass in diesen Beitrag auch betont wurde, dass nicht jeder, der kritisch gegenüber der Corona-Maßnahmen ist und auf Demos geht, Antisemit ist.
    Die Maßnahmen werden von vielen Menschen unterschiedlicher Auffassung hinterfragt.

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