„Anpacken“ für Kinder in Not

Am 21. September vor 70 Jahren empfahl die UNO ihren Mitgliedsstaaten die Einrichtung eines weltweiten Kindertages. Seitdem hat sich vieles zum Guten verändert. Doch noch immer gibt es Länder in denen Kinder es sehr schwer haben.
Von Sabine Langenbach

Das Königreich Eswatini, ehemals Swasiland, ist der zweitkleinste Staat auf dem afrikanischen Kontinent. Hier leben nach Schätzungen rund 100.000 Waisen oder Halbwaisen. Das entspricht ungefähr 20 Prozent aller Kinder des Landes. Aids und mittlerweile auch Corona sind die Ursachen. Dazu kommt, dass viele Kinder in zerrütteten Familienverhältnissen aufwachsen. Für sie gehören Gewalt, Missbrauch, zu wenig Essen und emotionale Vernachlässigung zum Alltag. Viele landen irgendwann auf der Straße. Wer Glück hat, wird von der Polizei aufgegriffen und bekommt einen Platz in einem guten Kinderheim und damit die Möglichkeit auf ein geregeltes Leben und Schulbildung. 

„Nqaba Yethu“, das bedeutet „Unsere Burg für Kinder“ ist eine dieser Einrichtungen. Das kleine Waisenhaus in Mahlabaneni wird vom Verein „Sebetsana“ in Altena/Westfalen finanziert und verwaltet. PRO hat mit dem Vorsitzenden Wolfgang Ossenberg-Möhling gesprochen.

PRO: Herr Ossenberg-Möhling, mit welchen Lebensgeschichten kommen Kinder zu Ihnen?
Wolfgang Ossenberg-Möhling: Im Moment leben bei uns fünfzehn Kinder im Alter zwischen acht und sechzehn Jahren. Jeder und jede hat schon viel erleiden müssen. Mayibongwe und Siphamandla sind seit Mai bei uns. Sie wuchsen bei ihrem drogenabhängigen Vater auf und waren dem psychischen Druck der Lebensgefährtin des Vaters ausgesetzt. Oft bekamen sie nichts zu essen. Mayibongwe hielt es nicht mehr aus und suchte alleine bei der Großmutter Zuflucht. Leider starb diese kurze Zeit später. Das Mädchen wollte auf keinen Fall zurück zum Vater. Also ging sie zur Polizei. Die verständigte das Jugendamt. So kam es zur Anfrage, ob wir sie und ihre Schwester aufnehmen könnten. Eigentlich hatten wir kein Geld für weitere Kinder. Aber wir haben in ähnlichen Situationen schon erlebt, dass Gott eingegriffen hat und wir finanzielle Mittel bekommen haben. Also konnten sie kommen. Unser Gottvertrauen wurde belohnt. Es hat auch dieses Mal alles geklappt. Es ist wunderbar, die Schwestern heute wieder lachen zu sehen! Oder Mbali. Sie ist mit dreizehn zu uns gekommen. Ihr Vater war Jahre zuvor durch einen Unfall ums Leben gekommen. Das hatte die Mutter komplett aus der Bahn geworfen. Sie schaffte es zwar eine Zeit lang, sich um Mbali und ihre zwei Geschwister zu kümmern, brach dann aber zusammen und verschwand über Nacht. Die Kinder blieben zunächst bei den Großeltern. Diese hatten kaum Geld, sodass die Tante sich erbarmte und die Geschwister aufnahm. Um sie ernähren zu können, schuftete die Tante bis zu zwölf Stunden auf einer Zuckerrohrplantage. Dem Onkel waren die Kinder lästig. Nach einer Zeit verlangte er von Mbali, dass sie ihm, als Ausgleich für Unterkunft und Verpflegung, sexuell zur Verfügung stehen musste. Als eine Sozialarbeiterin davon erfuhr, nahm sie sofort mit uns Kontakt auf und Mbali konnte bei uns einziehen. 

Stichwort Schule. Das Waisenhaus liegt ziemlich abseits. Wie weit sind die Schulen entfernt?
Die Kleinen müssen zwei Kilometer zu Fuß zur Schule laufen und nachmittags zurück. Diejenigen, die in der weiterführenden Schule sind, können mit dem Bus fahren. Ihre Schule ist zehn Kilometer entfernt. Die Straßen sind natürlich nicht mit unseren zu vergleichen. In Eswatini ist übrigens Schulkleidung Pflicht. Immer in Januar werden alle komplett neu eingekleidet. Sie freuen sich sehr darüber, es ist etwas ganz besonderes. Zur Schuluniform gehören auch schwarze Schuhe. Die müssen jeden Morgen blitzsauber sein. Deshalb gibt es ein festes Putz-Ritual. Wechselnd putzt immer einer für alle. Bei fünfzehn Paar Schuhe Staub entfernen, Schuhcreme auftragen und auf Hochglanz polieren, ist das schon viel Arbeit. Bei meinem letzten Besuch war ich erstaunt, wie sorgfältig die Kinder ihre Kleidung behandeln. Sie wissen den Wert zu schätzen. Für uns als Träger ist die Schulkleidung auch ein hoher Kostenfaktor. Rund 2.200 Euro haben wir dieses Jahr dafür aufbringen müssen.

Welches Budget braucht das Kinderheim pro Monat? 
Wir gehen von 3.500 Euro aus. Davon finanzieren wir die Unterkunft, Essen, Schulgeld und die Gehälter für unsere sechs Angestellten. Da ist die Heimleiterin Khosi, die sich um das Wohl der Kinder kümmert und der administrative Leiter Mirage, der für Einkauf, kleine Reparaturen und vor allem die Buchhaltung zuständig ist. Außerdem haben wir vier Köchinnen angestellt. Auch die Instandhaltung und ein bereits begonnener Neubau müssen zusätzlich finanziert werden. Unser Verein hat derzeit zweihundert Unterstützer. Durch zwanzig Daueraufträge haben wir eine Summe, mit der wir monatlich rechnen können und die die Fixkosten trägt. Alles andere müssen wir über zusätzliche Einzelspenden zusammenbekommen. 

Ihr Verein ist vor zwei Jahren aus der Initiative „Aidshilfe Förderkreis südliches Afrika“ hervorgegangenen. Seit 2006 waren sie dort schon aktiv, haben auch den Bau des Waisenhauses, das vor zehn Jahren eingeweiht wurde, begleitet. 2020 wurden sie Vorsitzinder der Initiative und haben sich dafür eingesetzt, daraus einen Verein zu machen und mit einem neuen Namen an den Start zu gehen. Warum? 
„Aidshilfe“ spiegelte nicht wider, wofür wir uns immer schon eingesetzt haben. Um weiter die Unterstützung des Waisenhauses „Ngaba Yethu“ von Deutschland aus sichern zu können, mussten wir einen neuen Weg einschlagen. Deshalb haben wir uns für einen neuen Namen entschieden und der ist Programm. „Sebetsana“  bedeutet in der Sotho-Sprache: „Anpacken“. Wir wollen nicht nur reden, sondern handeln. So steht es ja schon in Bibel, im Jakobusbrief: „Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein.“ Wir wollen anpacken und Kindern helfen. Der Name Sebetsana passt auch deshalb so gut zu uns, weil das T in der Mitte des Wortes das Kreuz symbolisiert. Der christliche Glaube ist uns wichtig. Deshalb gibt es auch im Waisenhaus jeden Tag eine kurze Andacht, eine Art Bibelarbeit und sonntags einen Gottesdienst. 

Herr Ossenberg-Möhling, Sie sind mittlerweile Rentner, könnten das Nichtstun-müssen genießen. Was ist Ihr Antrieb?
Mein Herz schlägt für Afrika. Wir haben als Familie einige Jahre in Südafrika gelebt. Wir sehen einfach die Not in Eswatini. Wenn wir da nicht etwas tun, dann werden noch mehr Kinder straffällig, drogenabhängig und landen irgendwann in der Gosse. Fünfzehn Kinder sind nicht viel. Aber immerhin! Diesen fünfzehn können wir eine neue Perspektive für ihr Leben geben! Mein Motto bleibt auch jetzt: Anpacken! Sebetsana!

Vielen Dank für das Gespräch!

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