Andreas Malessa: Irrtümer über Luther

Martin Luther hat der Nachwelt Werke mit insgesamt 80.000 Seiten hinterlassen. Seine 95 Thesen haben die Reformation ins Rollen gebracht. Der Theologe und Journalist Andreas Malessa räumt mit seinem Buch „Hier stehe ich, es war ganz anders“ mit den häufigsten Irrtümern über Martin Luther auf. Eine Rezension von Johannes Weil
Von PRO
Andreas Malessa hat sich in seinem neuesten Buch mit dem Reformator Martin Luther und den häufigsten Irrtümern über den Theologen beschäftigt
Malessa möchte mit seinem Buch „Hier stehe ich, es war ganz anders“ die Neugier wecken, welche „Lebens- und Gotteserfahrungen Luthers“ den Menschen heute nahekommen. Über jedem der 24 Kapitel steht eine These, mit der sich Malessa auf maximal zehn Seiten beschäftigt. Vor allem für geschichtsinteressierte Leser sind die historischen Hintergrundinformationen wertvoll.

Luther abergläubisch?

Malessa erklärt dem Leser etwa, in welchen Situationen Luther – mit schlechtem Gewissen – abergläubisch war, und wann bei ihm wiederum das kritisch-rationale Denken überwog, das er dem Wort Gottes entgegensetzte. Einen großen Irrtum sieht Malessa darin, dass Luther sich über den Sünden-Ablass aufgeregt habe. Der Reformator habe selbst Ablässe ausgesprochen, lediglich über den Handel damit habe er sich aufgeregt. Der Ablassprediger Tetzel habe die gesamte Erlösungslehre ausgehöhlt. Luther habe zwar gerne gebechert, aber Besäufnisse immer verurteilt und gegen Exzesse gewettert. Auch habe der Theologieprofessor keineswegs als Erster die Bibel ins Deutsche übersetzt. Bereits zu Luthers Lebzeiten habe es 72 deutschsprachige Teilübersetzungen gegeben, allerdings meistens in „verquaster und verscherbelter Sprache“, wie Malessa schreibt. Die einfache Familie auf der Gasse sollte jene Worte lesen, die ihn begeistert haben.

Missionar und Provokateur

Neben dem wissenschaftlichen Interesse sei auch der Missionar häufig in Luther durchgekommen. Die Liebe zum Wort Gottes gepaart mit Aufmüpfigkeit und Provokation habe ihn veranlasst, die Bibel zu übersetzen. Seine derben Beispiele und lebensklugen Sprüche habe Luther keineswegs immer bei Tisch gehalten. Sie seien das Ergebnis nachträglicher redaktioneller Bearbeitung. Auch keine der aktuell existierenden Freikirchen sei direkt von ihm herzuleiten oder gegen Luther entstanden. Dass Luther eine Freikirche habe gründen wollen, wie viele es aus seiner „Vorrede zur Deutschen Messe“ herauslesen, ist für Malessa nicht stichhaltig. Luther habe vor „schwärmerisch“ radikaler Sozial-Romatik, politischer Naivität und frommer Anarchie in Staat und Kirche gewarnt. Auch theologische Debatten wie die Tauffrage oder inwiefern Luther die Katholische Kirche noch immer reformieren wollte, nimmt der Autor in den Blick.

Vernunft und Bibel

Für die Historiker ist klar, dass der Satz „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ nicht aus Luthers Mund stammt. Erst in der Rückschau Jahrhunderte später sei deutlich geworden, welch geistige und spirituelle Lawine Luther losgetreten habe. Luther wollte sich nur durch die Bibel und die menschliche Vernunft widerlegen lassen, In weiteren Kapiteln erörtert Malessa, warum Luther seine wertvollsten Erkenntnisse nicht auf dem Klo hatte, er das Alte Testament nicht übersetzte und Thomas Müntzer der erste Lutheraner war. Aus Malessas Sicht wollte Luther gerade nicht sich selbst, sondern Gottes Namen groß machen. Deshalb sollte die Bewegung auch nicht „lutherisch“ genannt werden, sondern die Anhänger sollten Christen genannt werden. Auch ob Luther seine Thesen wirklich an die Schlosskirche gehämmert hat, erläutert der Autor mit allen Pro- und Contra-Argumenten. Das kurzweilige 180 Seiten starke Buch zeichnet eine solide historische Recherche aus. Wenn man sich an Malessas Wortwahl gewöhnt hat, ist es eine unterhaltsame Lektüre, die sogar Reformations-Experten die eine oder andere Neuigkeit vermitteln dürfte. Auf jeden Fall zeigt sie die Figur Martin Luthers außerhalb der historischen Standardwerke. (pro) Andreas Malessa, „Hier stehe ich, es war ganz anders: Irrtümer über Luther“, SCM Hänssler, 14,95 Euro, 9-783773-156103
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/musik/detailansicht/aktuell/interview-malessa-amazing-grace-88211/
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