Der Musiker Andi Weiss veröffentlicht am 30. August seine neue Platte „Gib alles, nur nicht auf“. Neben seiner Künstlertätigkeit berät er als Logotherapeut Privatpersonen, Unternehmen und Institutionen. pro hat ihn zum Gespräch getroffen und etwas über die Vielseitigkeit seiner Arbeit erfahren – und was seine Basis dafür ist. Er sagt: „Ich könnte mir diesen Mut, ja diese Frechheit nicht erlauben, zu sagen, ich biete mich an, mit dir ein Stück Lebensweg zu gehen, wenn ich meinen Glauben als Fundament nicht hätte.“
pro: Ihr neues Album heißt „Gib alles, nur nicht auf“. Einige der Titel klingen wie Postkartensprüche, etwa: „Alles kann passieren, wenn du dich traust“, „Es kommt der Tag, da bist du frei“ oder „Fang einfach an zu schwimmen“. Haben Sie nicht Sorge, dass das wie eine Plattitüde rüberkommt?
Andi Weiss: Ich würde mir manchmal wünschen, dass die Menschen meine Musik auch einmal als Plattitüde wahrnehmen. (lacht) Manche Leute sagen mir, es sei ihnen emotional zu schwer oder zu intellektuell, was ich mache. Manchmal kann es helfen, etwas Plakatives zu haben, einen Satz, an dem ich mich festhalten kann. Unserem Gehirn fällt es leichter, Konkretes oder Greifbares zu verarbeiten. Ein Song stellt einen emotionalen Weg dar, den ich vielleicht gar nicht direkt speichern kann. Manchmal braucht es da einen solchen Satz. Auch hirnphysiologisch ist es effektiver, einen Satz zu haben, den ich mir mit in den Tag nehmen kann. Übrigens habe ich „Gib alles, nur nicht auf“ tatsächlich auf einem Postkartenständer gefunden – die anderen Titel habe ich mir selbst ausgedacht.
Entgegen Ihres Albumtitels: Wo gab es in Ihrem Leben eine Situation, in der Sie dennoch einmal aufgegeben haben?
Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie aufgegeben. Ich habe etwas aufgegeben: 2017 habe ich mich von meiner Landeskirche als Diakon beurlauben lassen und meinen Grundberuf, den ich seit 17 Jahren ausgeübt hatte, erst einmal aufgegeben oder zumindest pausieren lassen. Das habe ich getan, um ganz Musik und die begleitende Arbeit mit den Menschen zu machen und um meiner Berufung nachzugehen. Das war aber keine Kapitulation. Ich bin ein zwanghafter „Zu-Ende-Macher“. Wenn ich anfange ein Buch zu lesen, muss ich es zu Ende lesen – es kann noch so bescheuert sein. Das ärgert mich, das kostet Zeit. Spontan fällt mir aber nicht ein, wo ich gesagt habe: Ich gebe auf und kapituliere.
Die Aussage „Gib alles, nur nicht auf“ soll ermutigen. Wie wollen Sie den Zuhörern konkret Mut zusprechen?
Meine Programme, meine Lieder, meine Bücher sind zuerst immer Predigten an mich selbst. Das sind meine Themen, ich setze mich mit ihnen auseinander, ich kämpfe oder arbeite mit ihnen, kratze an ihnen. Es ist wichtig, sich auch in der Gemeindearbeit mit Themen auseinander zu setzen, die man nicht versteht oder auf die man nicht direkt eine Antwort hat – und dann über ein Lied einen Weg zu finden, dieser Frage Ausdruck zu verleihen.
Am Anfang meiner Arbeit in der Kirche schienen mir viele schwierige Fragen klar zu sein. Eine meiner ersten Aufgaben war die Begleitung einer wunderbaren Frau, die nach einem langen Weg der Hoffnung, des Gebets und des Kämpfens dann doch starb. Da ist für mich in den ersten zwei Jahren der Gemeindearbeit echt viel zerbrochen. Ich dachte: Hier gehen viele Sätze, die sich toll anhören, flöten. Dann fand ich einen Text von Dietrich Bonhoeffer mit den Worten: „Gott lässt sich aus der Welt heraus drängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns.“ Wir glauben also als Christen an einen ohnmächtigen Gott, weil er sich freiwillig ohnmächtig macht, der mitleidet am Kreuz. Das war für mich plötzlich greifbar.
Das fließt auch in Ihre Musik ein?
Das ist die Grundlage aller meiner Lieder, dass ich merke: Ich werde verstanden. Jemand hört mir zu. Das begreift jemand. Jesus sagt nicht direkt: Komm, steh wieder auf, es ist alles nicht so schlimm. Sondern: Ich nehme erst einmal eine Situation ernst. Und dann erst überlegen wir, wie es weitergehen könnte. So sind viele meiner Lieder aufgebaut. Alles andere wäre mir zu schnell, zu oberflächlich und zu billig.
„Ich versuche immer meine Liebe zu Grönemeyer zu verbergen“
Manche Ihrer Lieder auf der Platte erinnern an Herbert Grönemeyer, etwa an „Der Weg“. Welche Musiker inspirieren Sie musikalisch?
Ich liebe Grönemeyer. Ich finde, es gibt keinen Songwriter, der es schafft, in einem Lied 15 weiße Leinwände aufzustellen und jeder kann – salopp gesagt – daran vorbeigehen und sein eigenes Herz an diese weiße Leinwand klatschen, sprich kann sich damit identifizieren. Ich habe einen starken Bezug dazu. Mir gefällt dieser gehende Duktus in seiner Musik. Das beschreibt das Leben so treffend, wir flutschen nicht irgendwo hin. Sondern es ist ein marschierender Gang. Ich habe meine Liebe zu Grönemeyer bei der „Mensch“-Platte gefunden. Er erlebte große Lebensschicksale und hat es auf eine unbeschreibliche Art und Weise geschafft, diesen Schmerz so zu benennen, dass es für ihn wahrscheinlich eine Lebenshilfe war. In der Zeit bin ich bei seiner Musik angedockt, weil ich das so greifbar finde. Ich versuche immer, meine Liebe zu verbergen zu Grönemeyer. Manchmal gelingt es, manchmal gelingt es nicht. Viele Menschen, die mich und meine Musik seit Beginn begleiten, sagen, auf dieser Platte wäre am wenigsten Grönemeyer zu hören.
Manche Musiker inspirieren mich auch nicht mit ihrer Musik, sondern mit ihren Inhalten. Reinhard Mey liebe ich, weil er es schafft, den Fokus auf eine Mini-Geschichte zu legen und daraus einen super Song zu machen. Alles, was deutsch ist, gefällt mir. In deutsche Musik kann ich eintauchen und mit dem Herzen rangehen – Muttersprache ist Muttersprache, bei Englisch ist immer auch das Hirn mit dabei.
Sie arbeiten zudem als Logotherapeut – nicht zu verwechseln mit dem Logopäden. Was ist das und was machen Sie da genau?
Es gibt die Ansichten der drei berühmten Wiener Psychologen. Sigmund Freud hat den Menschen mit dem Willen zur Lust definiert. Alfred Adler hat den Menschen mit dem Willen zur Macht definiert. Viktor Frankl wiederum sagte, es muss etwas geben, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Er hat sich auf die Suche gemacht und herausgefunden, dass der Mensch den Willen zum Sinn hat. Das ist die Logotherapie.
Frankl sagt: Immer, wenn der Wille zum Sinn bei einem Menschen frustriert ist, fällt er zurück in den Willen zur Macht und den Willen zur Lust. Egal, ob es Krisensituationen, Gemeindesituationen oder in der Partnerschaft sind, das ist ein Schlüsselsatz für alles, wo wir Menschen versuchen, sinnvoll zu gestalten und teilweise massiv aneinander scheitern.
Und da setzen Sie an?
Ich gehe mit Menschen auf die Reise und suche, wo ihr „Sinnanruf“ – wie Frankl das bezeichnen würde – ist, der Moment im Leben, Sinn zu finden. Frankl sagt, ein Mensch kann Sinn entdecken, indem er feststellt: er kann selber etwas schaffen, indem er etwas erlebt – etwa indem er lernt, einen Menschen zu lieben. Sinn entdeckt ein Mensch, indem er lernt, seine Einstellung zu Dingen zumindest zu verändern, die er nicht ändern kann. Bei diesen Entwicklungen begleite und wertschätze ich Menschen.
Wer kommt zu Ihnen?
Es kommen Leute, die eine Krise haben, Verlust, Trauer erleben auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite kommen Menschen, die sich über ihre Ziele bewusst werden oder sich neu aufstellen wollen im Leben. Ich habe eine Frau bei mir, die durchbuchstabiert, wie sie aus ihrem Hartz-IV-Dasein ins Gestalten kommt – das zahlt ihr jemand anders –, genauso wie den millionenschweren Unternehmenschef, mit dem ich manchmal Ganztagscoachings mache. Letztendlich besprechen wir am Ende des Tages immer die gleichen Themen: die Frage der Wertschätzung; wie lerne ich, meine Geschichte wertzuschätzen, wie lerne ich meine Motive kennen.
Welchen Gottesansatz hat die Logotherapie?
Das Spannende ist, dass Frankl auf der einen Seite Wissenschaftler war. Er hat auf der anderen Seite immer auch den Gottesansatz mit in die Therapie eingebracht. Er spricht von einer Selbsttranszendenz. Das hört sich esoterisch an, aber es geht um das „Über-sich-selbst-hinauswachsen“. Er spricht immer von einer Verantwortung, die einem höheren Wesen, also Gott, geschuldet ist. Er selbst war ein frommer Jude.
Der schönste Satz von Frankl ist für mich: „Gott ist der Gesprächspartner meiner intimsten Selbstgespräche.“ Das finde ich wie eine Praline, die man sich einen Monat lang auf der Zunge zergehen lassen kann, auch im Gemeindekontext: Was machen wir für eine fromm aufgeladene Show in unseren Gottesdiensten und posen auf Bühnen, Kanzeln vor Gott und anderen Menschen. Und Jesus sagt: Wenn ihr betet, plappert nicht wie die Heiden. Sondern Gott weiß doch schon, was euch bewegt. So entsteht auch eine andere Dimension des Betens.
Welche Rolle spielt Ihr Glaube in der Beratungsarbeit?
Ich könnte mir diesen Mut, ja diese Frechheit nicht erlauben, zu sagen, ich biete mich an, mit dir ein Stück Lebensweg zu gehen, wenn ich meinen Glauben als Fundament nicht hätte. Da spielt mein Gottesbild und daraus resultierend auch mein Menschenbild mit rein. Ich glaube, dass es keinen Menschen auf der Welt gibt, den Gott nicht liebt, in den Gott nicht große Schätze gelegt hat. Ich glaube, dass es für jeden Menschen auf der Welt eine zweite Chance gibt. Das könnte ich nicht glauben, hätte ich nicht einen sehr fundierten, theologischen Ansatz dahinter und wäre das nicht mein Herzensanliegen. Ich fände es massiv übergriffig, wenn ich nicht Gott auf meiner Seite und auf der meines Gegenübers sähe. Ich sehe diese Begleitung und Beratung immer im Stil der Emmaus-Jünger – Jesus begleitet einen. Alles andere würde ich mich gar nicht trauen.
Welche Erfahrungen machen Sie im Bezug darauf?
Manche Menschen kommen, weil sie einen christlichen Bezug haben. Dann ist der Glaube ganz offensichtlich mit dabei. Andere Menschen kommen nicht, weil sie eine Glaubensunterstützung haben wollen. Witzigerweise kommt es aber immer wieder zu den Themen.
Neulich war ein Firmenchef bei mir, der mit Glauben überhaupt nichts am Hut hat. Nach dem vierten, fünften Coaching-Gespräch sagte er: Ich habe Sie gegoogelt. Sie sind auch Diakon. Wie kamen Sie dazu? Dann sagte ich ihm, dass er nicht dafür zahlt, dass ich von meinen Glauben erzähle. Und er sagte sinngemäß: Doch, schießen Sie mal los! So habe ich eine Stunde von mir erzählt, was der Glaube für mich bedeutet und so weiter. Er war sehr bewegt und angetan. Ich glaube auch deswegen, weil er gemerkt hat, dass ich ihm nichts aufzwingen oder ihn überreden will, sondern weil er der Fragende war und ich nur auf seine Frage geantwortet hatte.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martina Blatt.