"Es ist ein Wunder", sagt Chernoff gegenüber der "Jüdischen Allgemeinen". "Das messianische Judentum ist die am schnellsten wachsende jüdische Bewegung seit 1967", zitiert ihn die Wochenzeitung. Seinen Angaben zufolge gibt es über eine Million Juden in den Vereinigten Staaten, die an Jesus als den Messias glauben. Dabei stützt er sich auf eine Studie, die schon 22 Jahre alt ist. Die Zeitung konstatiert: "Man mag dies bezweifeln und, mangels verbindlicher Zahlen, vorsichtigeren Schätzungen den Vorzug geben. Doch lässt sich nicht leugnen, dass sich messianisch-jüdische Gemeinden in den USA großer Beliebtheit erfreuen."
Das wiederum mache Rabbinern und jüdischen Gemeindevorsitzenden Sorgen. Sie sähen Juden, die an Jesus glauben, nicht als Juden an. Der Rabbiner Eric Youffie etwa, vormaliger Präsident der "Union of Reform Judaism", halte sie "für Christen, die vorgeben, Juden zu sein". Der Rabbiner Stuart Federow, Betreiber der Website "whatjewsbelieve.org", bringt in dem Beitrag seine Abneigung zum Ausdruck: "Die messianischen Juden wollen uns weismachen, dass sie gleichzeitig Juden und Christen sein können. In Wirklichkeit dienen ihnen die jüdischen Rituale und Symbole nur dazu, Juden zum Christentum zu bekehren. Dafür werden Millionen Dollar ausgegeben." Auch der "Missbrauch" jüdischer Symbole und Rituale werde von den jüdischen Geistlichen kritisiert, so das Blatt, etwa wenn statt traditioneller Gebete Psalmen und Lieder auf Englisch gesungen würden, Kollekte eingesammelt und dazu aufgerufen werde, "jüdische Freunde mit in den Gottesdienst zu bringen". Das sei "gänzlich unjüdisch".
Der messianisch-jüdische Rabbiner Scott Sekulow aus Atlanta beispielsweise übertrage seinen Gottesdienst über Video im Internet und erreiche damit an Feiertagen über 2.500 Menschen. Jesusgläubige Juden beklagten sich oft über das Misstrauen und die Vorurteile, die ihnen entgegengebracht werden, berichtete die "Jüdische Allgemeine" weiter – "und zwar sowohl auf jüdischer als auch auf christlicher Seite". Einen Dialog zwischen traditionellen Rabbinern und messianischen Gemeindeleitern gebe es fast nicht, eher gingen sich die "Kollegen" aus dem Weg.
"Es bewegt sich gewaltig etwas"
In Deutschland sei die Zahl der messianischen Juden in den letzten Jahren sogar noch schneller gewachsen als in den USA, meint Vladimir Pikman im Gespräch mit pro. Er ist Rabbiner der messianisch-jüdischen Gemeinde in Berlin und leitet den "Evangeliumsdienst Beit Sar Shalom", der Juden mit Jesus als Messias bekannt machen möchte. Vor 20 Jahren habe es nur etwa 100 messianische Juden in Deutschland gegeben, heute seien es etwa 5.000, meist stammten sie aus Russland. Viele von ihnen besuchten christliche Gemeinden, etwa 1.200 gehörten zu einer der etwa 40 messianisch-jüdischen Gemeinden. "In den USA ist die Bewegung am stärksten, da es dort bereits die zweite und dritte Generation messianischer Juden gibt. Die Leiter sind theologisch gut ausgebildet und haben starke Allianzen", sagt Pikman gegenüber pro.
In Deutschland sei die Gruppe noch jung, erst 1995 entstand in Berlin die erste messianische Gemeinde. In Israel habe sich die Zahl jesusgläubiger Juden in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Hunderte Gemeinden gebe es in der ehemaligen Sowjetunion, auch bei den sefardischen Juden mit spanischen Wurzeln in Südamerika erhöhe sich der Anteil derjenigen, die an Jesus glauben, sagt Pikman. "Es bewegt sich gewaltig etwas bei den Juden."
Viele Juden in der westlichen säkularisierten Welt seien von der strikten Religion der Orthodoxen enttäuscht und suchten neue geistliche Erfahrungen. "Viele Juden erkennen, dass Jesus auch ein Jude war, und dass es deshalb relevant ist, an ihn zu glauben", erklärt Pikman. Nicht zuletzt sieht er in der Entwicklung auch ein Zeichen der Zeit: "Gottes Geist bereitet das Wiederkommen von Jesus vor."
Mehr Freiheit für messianische Juden
Im Verhältnis zu traditionellen jüdischen sowie zu christlichen Gemeinden gebe es "positive Tendenzen", die Ablehnung werde weniger. Den Vorwurf, messianische Juden seien keine richtigen Juden, höre er zwar auch. Aber das hält Pikman aus rabbinisch-talmudischer Sicht für falsch: Man werde als Jude geboren und sterbe auch als solcher, das sei nicht zu ändern. Christliche Gemeinden lernten mittlerweile, dass Jesus der Messias Israels sei. "Man zwingt uns messianische Juden nicht mehr dazu, von der Kultur her christlich zu werden. Es ist nicht mehr so, dass man nur ganz Jude oder ganz Christ sein kann. Messianische Juden haben viel Freiheit, ihre jüdische Kultur zu leben."
Der europäische Direktor von "Juden für Jesus", Avi Snyder, sagte dazu auf Anfrage von pro: "Wir sind sehr ermutigt davon, dass zunehmend mehr Christen in Deutschland, die unser jüdisches Volk wirklich lieben, diese Wahrheit verstehen – dass es das Liebevollste ist, was ein Christ tun kann, für die Errettung des jüdischen Volkes zu beten." (pro)