Regisseur Aram Garriga nutzt für seine Dokumentation ein ur-amerikanisches Stilmittel. Den Roadmovie. Doch anstatt eine Hand voll Helden die Route 66 entlang fahren zu lassen, erkundet Garriga mit der Kamera die christliche Szene der USA. Das ist zunächst unterhaltsam, wird im Laufe des Films aber zur Kritik an der religiösen Rechten, die laut Film nach wie vor die USA dominiert und ihre Motive aus dem religiösen Fanatismus bestimmter christlicher Gemeinschaften zieht.
Cowboys, Surfer, Kickboxer
Doch beginnen wir mit dem unterhaltsamen Teil. Garriga besucht eine Cowboy-Kirche in Texas, christliche Surfer in Santa Cruz, die „Motorradfahrer für Jesus“ im Staat New York oder auch eine Gruppe gläubiger Bodybuilder, die auf der Bühne Eisblöcke zerschlagen, um damit auf Gott aufmerksam zu machen. Weiter geht es zur San Diego Rock Church, einer Megakirche mit über 100 Angestellten, angegliederter Schule, einer eigenen Rockband und tausenden Gottesdienstbesuchern.
Das gehört ebenso zur christlichen Szene der USA wie die ein oder andere Verrücktheit. Reverend Billy Talen etwa ruft gemeinsam mit einem Gospelchor in Einkaufszentren zum Verzicht auf. In Houston treffen die Filmemacher auf einen Kickboxer, der T-Shirts mit der Aufschrift „Jesus didn’t tap“ herausbringt, was auf Deutsch so viel heißt wie: Jesus hat nicht abgeklopft. Im Boxerjargon bedeutet das aufgegeben. Ebenfalls im mittleren Süden filmt das Team einen Gottesdienst, bei dem Christen mit Giftschlangen tanzen und sich verbrennen – in der Hoffnung, durch Jesus geschützt zu sein. Makabererweise kam der Pastor der Gemeinde nach den Dreharbeiten durch einen Schlangenbiss um.
Christliche Musik, die nicht klingt wie Metallica
Der Journalist Andrew Beaujon erklärt, Christen seien gut darin, die Popkultur für ihre Zwecke zu nutzen. Und das, obwohl sie sich lange Zeit als Gegenbewegung dazu verstanden hätten. Als Beleg dafür berichtet der Buchautor Shane Claiborne davon, wie er als Teenager seine säkularen Musik-CDs verbrennen musste und sie gegen christliche Alternativen austauschte, „die so gar nicht klangen wie Metallica“. Claiborne, der Gründer einer auf Nächstenliebe angelegten Art christlicher Hippie-Bewegung in Philadelphia, und auch der „Pornopastor“ Craig Gross, der auf Sex-Messen missioniert, gehören zu einer Bewegung, die die Politikwissenschaftlerin Marcia Pally die „Neuen Evangelikalen“ taufte. Darunter versteht sie eine Gruppe von Christen, die sich von der konservativen Politik ihrer Eltern abwendet. Beaujon räumt dieser Gruppe aber nicht viel Schlagkraft ein. Im Film erklärt er, der Großteil der frommen Amerikaner gehöre nach wie vor zur politischen Rechten.
Hier wird Garrigas Werk zu einer Gesellschaftsanalyse, die vor bestimmten evangelikalen Gruppen warnen will und deren Einfluss auf die Politik deutlich macht. Als Reaktion auf die 68er Bewegung, freie Liebe und die Abtreibungsdebatte, sei in den USA in den 70er Jahren ein Kulturkrieg ausgebrochen, erklärt Frank Schaeffer, der gemeinsam mit seinem Vater einst zu den bekanntesten Abtreibungsgegnern der USA zählte. Heute hat er sich vom Protestantismus abgewandt. „Es gibt keinen Platz, der weniger gastfreundlich zu Künstlern ist, wie die religiöse Rechte“, sagt der Maler. Zwar habe ihm sein Engagement in der christlichen Szene Macht und Geld gebracht. Gut heißen will er es aber nicht, dass dort Kinder wie er in einem „alternativen Universum“ aufwachsen, etwa wenn sie zu Hause unterrichtet werden und die Eltern versuchten, alles vermeintlich Böse von ihnen fernzuhalten.
Die Bibel – ein monströses Buch
So ist er es auch, der davon berichtet, dass bestimmte christliche Gruppen in den USA einen dritten Weltkrieg herbeisehnten, weil dies bedeute, dass Jesus wiederkomme – und die Gläubigen in den Himmel. Regisseur Garriga lässt allerhand George W. Bush-Kritik einfließen, die an sich keine neuen Erkenntnisse bietet, um Schaeffer mit der Erklärung schließen zu lassen, die Bibel sei ein monströses Buch. Einen Evangelisten und Ex-Drogendealer hört der Zuschauer am Schluss noch sagen, er habe bei der letzten Präsidentschaftswahl für den Kandidaten gestimmt, von dem er annehme, dass er zuerst „den roten Knopf drückt und alles hochjagt“. Schließlich könne er es nicht erwarten, in den Himmel zu kommen.
Auch wenn Garriga sich in den letzten Minuten seines Film in eine Theorie verrennt, die das evangelikale Amerika bedrohlicher wirken lässt als es wahrscheinlich ist: Es ist gut, dass er sie aufzeigt. Denn fanatische und fundamentalistische Gruppen gibt es in christlichen Kirchen – gerade jenseits des Atlantiks. Dennoch geben die Macher dem Ex-Abtreibungsgegner Schaeffer sehr viel Raum zum Ausbreiten seiner Thesen. Wünschenswert wäre im Gegensatz dazu die Betonung der positiven Entwicklungen innerhalb der amerikanischen christlichen Szene gewesen. Denn auch die gibt es – etwa in Form der Neuen Evangelikalen und anderer sich der politischen Breite öffnender Bewegungen. Man darf sich also fragen, wieso Garriga nicht etwa Marcia Pally zu Wort kommen lässt, die hinlänglich am Phänomen geforscht hat, gleichzeitig aber völlig unverdächtig ist, sich mit der christlichen Szene eins zu machen, gehört sie ihr doch nicht an.
Wer sich ein eigenes Bild von „American Jesus“ machen will, muss möglicherweise noch eine ganze Weile warten. Die Dokumentation ist bisher nur auf Englisch und in ausgewählten Kinos zu sehen, etwa beim Woodstock Film Festival in den USA oder beim Sitges Film Festival in Spanien. (pro)