"Es ist nötig, dass mehr Christen bereit sind, politische Verantwortung zu übernehmen", sagte Stephan Holthaus, Dekan der Freien Theologischen Hochschule (FTH) und Leiter des Instituts für Ethik und Werte in Gießen. "Wer keine übernatürliche Macht kennt, kann Menschen nicht dienen", erklärte der Theologe zur Eröffnung des fünften Treffens "Christen in der Politik" in den Räumen der FTH.
Über die Alltagserfahrungen eines politisch aktiven Christen gab der hessische Landtagsabgeordnete Tobias Utter (CDU) Auskunft. Auf seine Initiative hin formierte sich ein Gebetskreis von etwa 20 "bunt gemischten" Personen, die sich in den Sitzungswochen des Landtages zu einer Andacht versammeln. "Bei denen, die da zusammenkommen, verändert sich die Perspektive: Sie nehmen den Abgeordneten einer anderen Partei mit einem Mal auch als Christ wahr." Das mache die Teilnehmer "noch nicht zu besseren oder lieberen Politikern", räumte Utter ein. "Die Debatten werden nicht sofort sanftmütiger, aber es verändert die Einstellung. Man sieht im anderen nicht allein den Politiker, sondern auch stärker den Menschen, den Mitchristen."
"Der Glaube trägt auch dann, wenn die Politik vorbei ist"
In der Auseinandersetzung über Sachfragen dürfe es für Christen niemals infrage kommen, andere zu diffamieren oder ihnen ihren guten Willen abzusprechen, sagte Utter. Im Übrigen müsse man sich als Christ in der Politik nicht nur vor seinen Kollegen für seinen Glauben, sondern auch vor der Kirche für seine Entscheidungen rechtfertigen. So habe er es beispielsweise bedauert, dass sich beide Amtskirchen in Hessen gegen die "Schuldenbremse" ausgesprochen hätten: "Manchmal fühlt man sich auch von der Kirche allein gelassen." Den Slogan "Was würde Jesus tun?" findet Tobias Utter anmaßend. "Passender wäre die Frage: Was will Jesus, dass wir jetzt tun, mit unseren bescheidenen Mitteln?"
"Open Doors": Brücke für verfolgte Christen
Markus Rode, Geschäftsführer der Hilfsorganisation "Open Doors", gab einen Überblick über die Situation verfolgter Christen. Am schlimmsten sei die Lage der Gläubigen in Nordkorea: Etwa 70.000 Christen seien dort lebenslänglich in Arbeitslagern inhaftiert – auch Greise und Kinder. "Wird jemand Christ, wird seine komplette Familie abgeholt – die ganze Generation soll ausgelöscht werden", berichtete Rode. "Open Doors" sei es gelungen, die Untergrundkirchen in dem stalinistischen Land zu vernetzen und viele Gläubige mit einem Radio zum Empfang von Gottesdiensten auszustatten.
Auch in der islamischen Welt sei viel in Bewegung: "Immer mehr Muslime werden Christen. Die ‚traditionelle‘ Kirche im Iran etwa umfasst 100.000 Personen, nach konservativen Schätzungen gibt es aber mindestens 350.000 ehemalige Muslime, die sich für Jesus entschieden haben." Diese Christen seien massiven Bedrohungen ausgesetzt: "Der Staat droht, ihnen ihre Kinder wegzunehmen. Islamisten bedrohen Christen sogar mit dem Tod oder der Vergewaltigung ihrer Töchter." Die Mehrheit der Muslime würde solche Drohungen jedoch ablehnen: "Wir dürfen diese Menschen nicht als Feind sehen", sagte Rode. Ein Anliegen von "Open Doors" sei es, eine "Brücke" zwischen den verfolgten Christen und der freien Welt zu schlagen, "damit eine Bewegung entsteht, die sich für die Verfolgten einsetzt. Sie sind schließlich unsere Familienmitglieder."
Baake: Christenverfolgung muss auf die Agenda
Wolfgang Baake, Geschäftsführer des Christlichen Medienverbundes KEP und Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, dankte Markus Rode für die "wertvolle Arbeit" von "Open Doors". "Das Thema Christenverfolgung steht seit einigen Wochen ganz oben auf der politischen Agenda – und in den Medien", sagte Baake. Er lobte in diesem Zusammenhang besonders die Arbeit von Unionsfraktionschef Volker Kauder. Dieser hatte durch Redebeiträge im Bundestag und Reisen in die Türkei und nach Ägypten das Leid vieler Christen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Baake begrüßte es, dass der Bundestag mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und Grünen im Dezember eine Resolution gegen Menschenrechtsverletzungen und die Verfolgung von Christen verabschiedete.
Appell an den Einzelnen: Briefe an Politiker und Medien
Jeder Einzelne könne entschieden dazu beitragen, verfolgten Christen zu helfen: "Wir müssen unsere Parlamentarier mit Briefen auf das Thema aufmerksam machen", erklärte Baake. Es sei ein gutes Zeichen, dass große Tageszeitungen wie "Die Welt" inzwischen ausführlich über das Thema Christenverfolgung berichteten. Baake appellierte an die Zuhörer: "Bedanken Sie sich dafür in Leserbriefen. Wenn die Medien merken, dass diese Themen positiv registriert werden, werden sie weiter berichten!"
Das Treffen "Christen in der Politik" fand 2011 bereits zum fünften Mal statt. Organisiert wird es von der Freien Theologischen Hochschule und dem Institut für Ethik und Werte in Gießen. Die nächste Veranstaltung ist für den 17. Februar 2012 geplant, Schwerpunktthema wird der Islam sein. (pro)