„In exklusiven Interviews sprach Birnstein mit Udo Lindenberg über Gott und die Welt“, heißt es in der Ankündigung zum Buch „Alles klar, Udo Lindenberg!“ von dem Theologen Uwe Birnstein. Das klingt so, als offenbare das Buch exklusive Statements des Sängers. „Wie der Panik-Rocker den Frieden besingt, Gott interviewte und hinter den Horizont blickt“, heißt der Titel weiter.
Birnstein sprach tatsächlich mit Udo Lindenberg. Das erste Mal war das 1976, als der 14-jährige Birnstein von dem Star von der Bühne gescheucht wurde, als er viel zu früh dort herumlungerte. Das zweite Mal 1986, da war Birnstein für ein NDR-Interview bei Lindenberg – und der habe damals „mehr über Gott als über die Welt“ gesprochen, erinnert sich der Autor. Aktuelle „exklusive“ Statements finden sich nicht im Buch.
Der evangelische Theologe Uwe Birnstein will in seiner Lindenberg-Biografie besonders den Glauben des bekannten Musikers erklären. Der Multimillionär Lindenberg, der bekanntermaßen im Hamburger Luxushotel Atlantic wohnt, steht seit über 50 Jahren auf der Bühne. In den „tiefsinnigen Texten“ des schnoddrige Liedermachers gehe es „um Selbstfindung und Liebe, um den Umgang mit Lebenskrisen und dem Tod“; immer wieder vergleicht Birnstein Lindenberg mit Luther, den Reformator. Eine These, die mindestens mutig ist. „Lindenberg schaut dem Volk aufs Maul wie einst Martin Luther – und er schaut in die Seele“, schreibt Birnstein. Dort der bedeutendste Reformator des 16. Jahrhunderts, der die Welt für immer veränderte, hier Lindenberg, Rocksänger aus Hamburg.
Lindenberg, 1946 in Gronau im Münsterland geboren, sei gerne in den evangelischen Kindergarten gegangen, stellt Birnstein fest. Später machte Lindenberg sogar bei den Gronauer christlichen Pfadfindern mit. Und die Oma: „Streng gläubig.“
Als er mit neun Jahren getauft wurde, fand Lindenberg: „Ich war mir nicht sicher, ob es den alten Mann mit dem weißen Bart, der alles sieht und alles hört und alles kann, nicht doch irgendwo auf Wolke sieben gab.“ Beim Konfirmandenunterricht aber verstand er nach eigener Aussage nicht, was der Pastor über die Bibel erzählte, und fand es „gähnend langweilig“.
Der Glaube, so fand der spätere Künstler Lindenberg, „müsse doch dazu führen, etwas zu tun – gegen Krieg und Umweltzerstörung, gegen Neonazis“. Sehr viel mehr Tiefgang in Sachen Glaube bekommen Lindenbergs Spiritualität und Birnsteins Buch dann nicht mehr. Birnstein betont indes Lindenbergs „spirituelle Ader“ und wähnt in den Zeilen von „Hinterm Horizont“ eine tiefgläubige Weltsicht: „Zu glauben, dass es hinter dem Horizont des Sichtbaren mehr gibt als das, was wir mit unseren Sinnen erfassen können.“ Konkreter wird es nicht.
Antworten bei Hermann Hesse
Der Leser erfährt, wie sehr der jugendliche Lindenberg dem Trott des Kleinstadtlebens entkommen und in Hamburg großer Star werden wollte. Einer seiner ersten Songs mit dem Titel „Du heißt jetzt Jeremias“ handelt eigentümlich von einer Engelserscheinung, die Lindenberg nicht nur auf den Namen Jeremias tauft, sondern ihm auch mitteilt, er sei nun der neue Messias. Was wir ein schlechter Drogentrip klingt, ist für Birnstein „Denkanstoß für Theologen“ und das Aufwerfen „ernsthafter theologischer Fragen“.
Lindenberg jedenfalls zweifelt: „Wenn Jesus Christus der verheißene Messias war, der Friedenskönig und Weltretter: Ja, warum befindet sich die Welt dann immer noch in so einem miserablen Zustand?“ Für den Theologen Birnstein ein Hinweis auf „eine Weisheit des christlichen Glaubens“, nämlich: „Den eigenen Weg findet man, wenn man sich an Jesus orientiert und aus dessen Wirken Hoffnung schöpft.“ Es macht aber theologisch immer noch einen bedeutenden Unterschied, ob man Jesus nachahmen oder ihm nachfolgen will.
Birnstein jedenfalls geht die Geschichte von der Berufung zum Messias Lindenberg, halb ironisch, halb ernst, gerne mit, und zieht Vergleiche zu biblischen Propheten. Denn die hätten ja auch oft eine skurrile „Berufungsgeschichte“ erlebt und seien ja alle irgendwie aus der Provinz gekommen.
In den Romanen Hermann Hesses fand Lindenberg dann für den Rest des Lebens eine Quelle der Antworten auf spirituelle Fragen. Die Romanfiguren seien, wie er, immer auf der Suche, und hätten Angst vor einem bürgerlichen Leben in Unfreiheit.
Bei „Demian“ lernte Lindenberg laut Birnstein sein inneres göttliches Selbst kennen. In „Siddharta“ erfuhr er, dass es egal ist, ob man an Gott glaubt oder nicht, man solle „nichts für verboten halten, was die Seele in uns wünscht.“ Und: „Die Gottheit ist in dir. Gott ist in allem.“ In Hesses Buch begegnete Lindenberg erstmals auch der Gedanke der Reinkarnation. „Hinterm Horizont geht’s weiter“, eines der bekanntesten Lieder Lindenbergs, lässt sich so gut deuten. Irgendwie im Widerspruch zur Lehre Buddhas von Bescheidenheit und Kontemplation allerdings wollte Lindenberg weiterhin nichts lieber als ein großer Star werden.
Singt Lindenberg von den Gestalten des Hamburger Nachtlebens, sieht Birnstein „Menschen mit liebenswürdigen Ticks“, die auch in der Bibel vorkommen könnten. Er listet auf: „David, der königliche Fremdgeher und Mörder. Elisa, der Depressive. Jona, die Bangebüx, die vor Gott davonlief. Petrus, der seinen Herrn Jesus verleugnete. Die Jünger, die, statt auf Jesus aufzupassen, einschliefen. Maria Magdalena, die Besessene. Die Ehebrecherin aus Samarien. Das biblische und das Universum des Udo Lindenberg sind nicht weit voneinander entfernt.“
Doch all diese Bibelfiguren stehen ja immer in irgendeinem Zusammenhang mit einer Heilsgeschichte Gottes. Wo steht die Verherrlichung Gottes bei den bierseligen Gestalten aus der Hamburger Kneipe „Onkel Pö“?
Bibel-Bezug bei Lindenberg selten ohne Sex
Auch Bibeltexte habe Lindenberg verarbeitet, merkt Birnstein an. Nur handelt es sich dabei dann ausgerechnet um die erotische Poesie des Hoheliedes Salomos. Birnstein stellt fest: „Die Wörter ‚Gott’, ‚Gebet’ oder ‚Glaube‘ kommen hier nirgends vor. Stattdessen werden körperliche Lust und seelische Ekstase des jungen Liebespaares in überbordenden Versen vor den Leserinnen und Lesern ausgebreitet.“
Im Song „Benedictum – Benedactum“ ätzt Lindenberg gegen die katholische Auffassung zu Sexualität, die nur dem Zwecke der Zeugung eines Kindes dienen soll. In einer Bühnen-Show dazu ließ der Künstler Nonnen und Mönche auf der Bühne ihre Kutten lüften. Priester und Bischöfe trugen Strapse und gaben sich Lustorgien hin. Billige Provokation? Für Birnstein eine vorbildliche Kritik an der Kirche.
Im Lied „Bis ans Ende der Welt“ singt Lindenberg davon, wie ein Man mit seiner Frau Sex im Petersdom hat. In „Göttin sei Dank“ singt Lindenberg von seiner Geliebten als „vom Himmel gesandter Komplizenbraut“, die ihn, den Atheisten „gläubig geküsst“ habe. „Du bist meine Göttin“, singt er dann entzückt, „ich spreche deinen Namen aus wie ein Gebet.“
„Unzählige Bezüge zu biblischen Weisheiten lassen sich in Lindenbergs Songs finden“, behauptet Birnstein – landet bei Beispielen aber wieder nur bei „der Liebe“, gemeint ist die Liebe zwischen Mann und Frau. Im Song „Frau Lindi“ stellt sich Lindenberg vor, wie ein Arzt ihm eine Ehefrau verschreibt. Er bestellt sich eine Frau in einem Ehe-Institut, sie soll „wie eine sizilianische Madonna“ sein, ihn zwei Mal am Tag verführen, aber ihm treu sein, denn er dulde „keine anderen Götter“ neben sich. Birnstein findet das „charmant“.
Foto: Neue Stadt Foto: Neue Stadt
Uwe Birnstein: „Alles klar, Udo Lindenberg! Wie der Panik-Rocker den Frieden besingt, Gott interviewte und hinter den Horizont blickt“, Neue Stadt, 136 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3734612930
Wenn Lindenberg in „Die Kinder deiner Kinder“ von der Vergänglichkeit des Lebens singt, ist für Birnstein bei Zeilen wie „Du denkst, du bist der Größte, und besser geht es nicht, da schlägt dir der Knochenmann die Sense ins Gesicht“ klar: Das Lied könnte gut im Buch der Psalmen stehen.
Selbst in Lindenbergs erfolgreichen „Sonderzug nach Pankow“, musikalisch geklaut von Glenn Miller, findet Birnstein einen Bezug zum Glauben. Denn: „Die hoffnungsvolle Hartnäckigkeit und Courage, die Lindenberg an den Tag legt, erinnert in vielen an den Reformator Martin Luther.“
Der Theologe geht noch weiter: Luthers Ausspruch „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ sei ja im Grunde dasselbe wie Lindenbergs „Ich mach mein Ding!“. Birnstein weiter: „Hätte es Lindenbergs Song ‚Mein Ding‘ schon damals gegeben, dann hätte Luther ihn vermutlich auf dem Rückweg von Worms gepfiffen.“ Nur dass der eine sein Leben riskierte, und der andere Platten verkaufen will.
Birnstein begibt sich unter dem Titel „Luther und Lindenberg – zwei Deutsche für ein Halleluja“ selbst musikalisch auf Bühnentour. Wenn Udo Lindenberg findet: „Es gibt keine Alternative zum Optimismus“, sieht Birnstein: Luther. Der habe ja bekanntermaßen geschrieben: „Selbst wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Luther war Optimist, Lindenberg war Optimist. Sie sind fast gleich.
Kein „Religionsstress“
Aber war Lindenberg denn auch so gläubig wie Luther? In seinem Song „Gott wenn es dich gibt“ singt der nuschelnde Rocker davon, dass es eigentlich egal ist, an wen man glaubt, er richtet seine Frage an „Allah, Jesus, Buddha – und alle, die vor und nach dir kamen“. Lindenberg betet: „Gib mir die Power, ich will dafür steh‘n, die Welt zu ändern – das muss doch geh‘n.“ Ebenso unklar, zu wem er eigentlich betet, ist auch, wie genau er die Welt ändern will und womit oder wofür. An jenes göttliche Wesen gerichtet fragt er in der Art eines Xavier Naidoo: „Die Kriege toben. Warum änderst du‘s nicht?“
Auch Bilder malte Lindenberg, die meisten mit Likör, so genannte „Likörelle“, und zwar hauptsächlich: sich selbst. Als er auch einmal Motive zu den Zehn Geboten malte, stellte Lindenberg öffentlich fest, dass der Glaube an Gott nicht wirklich etwas bringe. Birnstein erklärt: „Der ‚Religionsstress‘ um die Frage, ‚welcher Gott denn nun der wahre ist‘, ist Lindenberg zufolge sinnlos.“ Mit Hermann Hesse ist Lindenberg überzeugt: „Die Gottheit ist in Dir.“
Das widerspricht nun dann doch komplett der Bibel. Doch Birnstein findet trotzdem auch hier einen Bezug zur Heiligen Schrift, denn Jesus habe ja gesagt „Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht (Johannes 3,21). Auf einem seiner Bilder verhöhnt Lindenberg ein Gebet: „Lieber Gott, sei unser Gast, wir saufen, was du uns bescheret hast“ steht über zwei Personen, die in einem Bett liegen.
Birnstein findet nichts dabei. Und wenn Lindenberg wie tausende Musiker vor ihm dichtet, man solle auf sein Herz hören, ist Birnstein überzeugt, dieser Text könne genau so im biblischen Buch Sirach stehen. Man mag in Udo Lindenbergs genuschelten Songtexten große Weltliteratur oder Weisheiten auf Bibel-Niveau sehen; bei den Texten des Panik-Rockers, der unbedingt ein Star werden wollte, aber einen Glauben zu sehen, der etwas mit der Bibel zu tun hat, ist mehr als gewagt.
2 Antworten
Hallo, so ein Quatsch. Ihr glaubt doch nicht das ihr etwas ändert. Ihr bringt schlichtweg nicht auf die Reihe.
Wie man sehen kann – es interessiert keinen Menschen.