Überall in der Republik tun sich Christen, Muslime und Juden zusammen, um religiösen Hass und Vorurteile zu überwinden. Doch nicht jeder ist ein Freund des Interreligiösen Dialogs. Erst recht nicht, wenn er Geld kosten soll.
Ilona Klemens ist Pfarrerin für Interreligiösen Dialog in Frankfurt/M. Der Dialog ist ihr ein Herzensanliegen
Der Petriplatz in Berlins Mitte wirkt so öde und verlassen wie die Sahara in der Mittagshitze. Bis auf 35 Grad ist das Thermometer an diesem Samstag geklettert. Bagger, Lattenzäune und aufgeschütteter Sand brutzeln in der Sonne. Baustellen sind in der Hauptstadt allgegenwärtig, doch hier, zwischen Hotels, alten DDR-Plattenbauten und dem über alles erhabenen Fernsehturm, soll in den kommenden Jahren etwas weltweit Einzigartiges entstehen: Ein gemeinsames Lehr- und Gebetshaus für Juden, Muslime und Christen, das „House of One“. Sogar Atheisten sollen dort willkommen sein. Aber noch ist es nicht so weit.
Der aufgeschüttete Sand und die Grabungen gehören zu anderen Bauprojekten. Erst 2015 sollen für den großen Traum von Rabbi Tovia Ben Chorin, Pfarrer Gregor Hohberg und Imam Kadir Sanci hier die Bagger rollen. Dann ist die Grundsteinlegung geplant. 44 Millionen Euro wollen die Initiatoren – die Jüdische Gemeinde zu Berlin, das Abraham Geiger Kolleg, das Forum für Interkulturellen Dialog und die Evangelische Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien – für den Bau ausgeben. Entstehen soll ein schlichtes, kastenförmiges Haus in Sandsteinfarbe ohne Prunk und Protz, in dem jede Religion ihren eigenen Gebetsraum hat. In der Mitte, dem Kuppelsaal, wollen die Gläubigen einen Begegnungsort einrichten. Hier soll über den Glauben gesprochen, diskutiert und informiert werden. „Jeder hat seinen eigenen Gebetsraum, getrennt voneinander, um zu zeigen, dass wir die Religionen nicht vermischen wollen. Zugleich gibt es den Willen zum Miteinander“, erklärt Pfarrer Hohberg die Idee, die der Architektur und dem Projekt zugrunde liegt. Getrennt und doch miteinander. So soll Interreligiöser Dialog in Berlin ein neues Gesicht bekommen.
Islam = Gewalt, Christentum = Wischiwaschi
Doch was genau ist Interreligiöser Dialog? Wer redet da mit wem worüber? „Der Dialog findet zwischen religiösen Menschen statt, nicht zwischen Religionen“, sagt Ilona Klemens. Sie ist in Frankfurt am Main evangelische Pfarrerin für Interreligiösen Dialog. Und sie betont immer wieder, wie wichtig es ist, Beziehungen zu Andersgläubigen zu pflegen, Vertrauen aufzubauen und sich kennenzulernen – um Vorurteile und Ängste abzubauen und sich bei allen Unterschieden akzeptieren zu können. Allzu oft würden pauschale Vorstellungen über eine Religion über einzelne ihrer Anhänger gestülpt. So neigten Christen dazu, im Islam eine Nähe zur Gewalt zu sehen, sie hielten ihn für rückschrittlich und frauenfeindlich, beobachtet Klemens. Muslime unterstellten Christen wiederum oft, dass diese sie nur missionieren wollten, dass sie an mehrere Götter glaubten und ihren Glauben nicht richtig ernst nähmen. Der Dialog soll helfen, solche Vorurteile aus dem Weg zu räumen und dazu beitragen, dass sich Menschen unterschiedlichen Glaubens in Frieden begegnen, miteinander ins Gespräch kommen und sich auch gemeinsam gesellschaftlich engagieren.
Dafür initiierte Klemens 2009 in Frankfurt den Rat der Religionen, dessen Geschäftsführerin sie ist. Als Pfarrerin gehört das zu ihrem Beruf, die Vertreter der Muslime, Juden, Sikh, Buddhisten, Hinduisten, Baha‘i und Mormonen bringen sich ehrenamtlich in den Rat ein. Das Gremium versteht sich als politische, nicht als religiöse Organisation. Ziel ist es, eine gemeinsame Stimme in der öffentlichen Diskussion zu erheben. So hat der Rat eine Stellungnahme zur Beschneidung abgegeben, auch wenn diese nicht einstimmig ausfiel. Derzeit arbeiten die Mitglieder an einer Positionierung zum Burkaverbot. Aber auch gesellschaftliche Themen wie Klinikseelsorge oder der Verkauf von ökologischen und fair gehandelten Produkten beschäftigen den Rat. „Dabei nehmen wir sehr ernst, dass wir verschieden sind“, sagt Klemens. Die Mitglieder und Gemeinden feiern zusammen und grüßen sich gegenseitig zu den jeweiligen religiösen Festen. Doch gemeinsame Gebete oder Gottesdienste gibt es nicht.
Dialog bei Tee und Koranversen
Unter der filigran verzierten Kuppel der Frankfurter Abubakr-Moschee hocken 75 Schüler einer zehnten Jahrgangsstufe im Kreis auf dem Boden – evangelische und katholische Religionsschüler sowie eine Ethikklasse, auch Muslime sind dabei. Der Teppich ist mit blau-gelb-orangen Ornamenten versehen, die Wände sind gekachelt. Stühle stehen im Gebetsraum nur an der hinteren Wand – für die Alten, die sich beim Gebet nicht mehr auf den Boden beugen können. In gut zwei Meter hohen Schuhregalen vor dem Raum dünstet die Fußbekleidung der Jugendlichen in der sommerlichen Hitze vor sich hin.
Ein Angehöriger der Gemeinde erklärt, wie die Moschee aufgebaut ist und was Muslime glauben. Der Imam rezitiert Koranverse, die in ihrer deutschen Übersetzung Psalmtexten ähneln. Die Schüler stellen viele Fragen zum Verhältnis von Männern und Frauen, zum Kopftuch, zum Fasten. Anschließend gibt es für die Gäste noch Gebäck und stark gesüßten heißen Tee mit frischer Minze. „Dass wir hier zu Essen und zu Trinken bekommen, obwohl gerade Ramadan ist, ist etwas Besonderes“, erklärt Klemens den Schülern. Sie hat den Kontakt zur Moscheegemeinde hergestellt und begleitet die Schüler und ihre Lehrer bei diesem Besuch. Zuvor waren sie in einer Synagoge und in einer evangelischen Kirche.
Vorurteile gegenüber anderen Religionen erlebt Klemens eher bei Erwachsenen als bei der jungen Generation. Die Jüngeren sind mit einer größeren kulturellen und religiösen Vielfalt aufgewachsen. Aber Klemens stellt fest, dass bei Schülern die Bindung an Religion immer weiter abnimmt. Sie wüssten oft so gut wie nichts, auch nicht über die eigene Religion. Oder sie seien Atheisten und hätten gegen jegliche Religion Vorbehalte. Regelmäßig geht sie mit einer muslimischen und einer jüdischen Partnerin in Schulen, um dort über ihren jeweiligen Glauben aufzuklären und respektvolles Miteinander vorzuleben. „Es kommt weniger darauf an, was wir sagen. Es ist viel wichtiger, wie wir als Team miteinander umgehen.“
Als Klemens 2003 die Pfarrstelle für Interreligiösen Dialog übernahm, bekam sie anfangs viel Kritik, anonyme Briefe und auch Hassmails mit persönlichen Beleidigungen. Sie sei naiv, nehme Probleme nicht ernst und mache sich zum Helfershelfer der Islamisierung. Auch ihre muslimischen Kollegen wurden von radikalen Muslimen wegen ihres Engagements bedroht. Mittlerweile haben sich die interreligiösen Netzwerke in Frankfurt etabliert. Ihre Arbeit werde nicht mehr infrage gestellt, sagt Klemens. Dabei seien die Früchte kaum messbar, weil vieles auf zwischenmenschlicher Ebene ablaufe.
Ihr Beruf ist Klemens ein Herzensanliegen, eine Aufgabe, die sie als ganzen Menschen fordert. „Man muss den Dialog selber führen und leben“, sagt sie. Daraus sind auch Freundschaften entstanden. Ihre beste Freundin ist Muslima und Klemens ist „Patin“ von deren Tochter. Ihren eigenen Glauben versteht Klemens selbst als einen, von dem andere wissen sollen, der etwas bewirken will. Mit ihrem Leben möchte sie zeigen, was Gott für die Menschen möchte: Frieden, Würde, Gerechtigkeit. „Dafür gebe ich Zeugnis. Wenn andere davon ergriffen werden, freue ich mich natürlich. Aber ich muss auch akzeptieren, wenn jemand diesen Weg nicht mitgeht.“
Crowdfunding bisher erfolglos
Klemens‘ Kollegen in Berlin finden für ihr neues interreligiöses Projekt bislang nur wenige Unterstützer. Seit Anfang Juni versuchen Hohberg und seine Mitstreiter, das Geld für das „House of One“ per Crowdfunding zusammenzubekommen. Ende Juli hatten gerade einmal knapp 600 Menschen ihre Spende zugesagt. Aber nicht einmal ein Prozent der Baukosten wäre damit gedeckt. Und das, obwohl das Presseecho auf die Bekanntgabe des Bauvorhabens erstaunlich stark und positiv war. Rund um die Welt berichteten Medien über die einzigartige Idee aus Deutschland. Hohberg sagt: „Wir glauben, dass das auch etwas mit der aggressiven religiösen Stimmung, die derzeit weltweit herrscht, zu tun hat. Wir sind ein Gegenpol. Die Sehnsucht nach einem guten Miteinander der Religionen ist groß. Wir müssen nun noch einen Weg finden, dieses Interesse in Spendertätigkeit umzumünzen.“
Vielleicht hat die Zurückhaltung auch damit zu tun, dass nicht alle die Idee verstehen. Warum überhaupt ein gemeinsames Haus, wenn die Religionen doch getrennt voneinander bleiben? Kirchen, Moscheen und Synagogen in direkter Nachbarschaft findet man in Berlin an jeder Straßenecke. „Unser Haus ist für mich ein wenig wie eine WG. Wir leben zusammen. Jeder hat sein Zimmer, aber es gibt die Küche, in der man sich trifft und Gemeinschaft hat“, erklärt Imam Kadir Sanci. Doch was, wenn Konkurrenzdenken zwischen den Gläubigen aufkommt? Immerhin ist es doch göttlicher Auftrag von Christen und Muslimen, Menschen für ihre Religion zu begeistern.
Pfarrer und Imam machen sich an Erklärungsversuche: Ein allmächtiger Gott habe auch den Andersglaubenden geschaffen, sagt Sanci. Offenbar habe er also ein Interesse am Zusammenleben von Muslimen, Christen und Juden. „Dass die ganze Welt islamisch wird, gehört keineswegs zu meinen Zielen. Diese Intentionen verstehe ich als ein Einmischen in Gottes Angelegenheit“, führt er fort. Hohberg gibt sich ebenfalls entspannt: „Mission ist für mich das Werben für die Schönheit eines Lebenskonzeptes. Das tue ich, indem ich meinen Glauben lebe. Die Menschen, die auf der Suche sind, müssen ihren Weg finden, auch wenn sie drei unterschiedliche Antworten darauf vorfinden.“ Das mögen manche tolerant nennen. Vielen Gläubigen könnte es aber auch zu sorglos sein.
Zweifel am Dialog
„Jesus sagt, er ist die Wahrheit. Das dürfen wir nicht komprimieren, den Standpunkt der Wahrheit dürfen wir nicht aufgeben“, meint zum Beispiel Horst Pietzsch, Referent des Arbeitskreises für Migration und Integration der Deutschen Evangelischen Allianz. Er ist kein Freund von institutionalisierten Formen des Interreligiösen Dialogs. Das Anliegen findet er „sehr edel“, aber „idealistisch“. An der Sinnhaftigkeit des Unterfangens hat er Zweifel – daran, ob das, „was sich die Religionsführer ausdenken“, auch „an der Basis“ ankommt. „Im Interreligiösen Dialog lernen sich Menschen kennen und sie verstehen sich, es wird viel Toleranz geübt. Aber was geschieht in den Koranschulen und im Religionsunterricht? Wie wird da das Christentum repräsentiert?“ Den Islam nimmt er nicht als dialogbereite und tolerante Religion wahr, während die Bibel Toleranz gegenüber anderen lehre. Der westliche Lebensstil widerspreche der Ethik des Islam. Außerdem seien in muslimisch geprägten Kulturen Staat und Religion eng miteinander verwoben, sodass man Politik und Religion zusammen diskutieren müsste, um dem Islam im Dialog gerecht zu werden.
Das sieht Pfarrerin Klemens anders: Gerade die Trennung von Religion und Staat sei eine ideale Rahmenbedingung für Interreligiösen Dialog. Eine säkulare Demokratie wie Deutschland biete dafür beste Voraussetzungen. Wenn Religionsfreiheit herrsche, könnten sich Angehörige verschiedener Religionen auch auf Augenhöhe begegnen.
Aber diese freiheitliche, westliche Gesellschaft sei für viele Migranten ungewohnt, sagt Pietzsch. Er stellt bei seinen Besuchen in Asylunterkünften immer wieder fest, dass gerade Flüchtlinge oft völlig unvorbereitet nach Deutschland kommen und hier einen Kulturschock erleben. Das führe dazu, dass sie sich weiter in ihre eigene Kultur zurückziehen. Pietzsch sagt: „Es würde mehr bringen, darüber zu reden, welchen Verhaltenskodex alle Menschen einhalten sollten, um religiöses Leben zu gestalten.“
Eine Frage des Vertrauens
Statt den Dialog zu formalisieren, sucht Pietzsch die Begegnung an der Basis. Er möchte durch seine Arbeit andere Christen dialogfähig machen, ihnen helfen, über ihren Glauben zu sprechen und Berührungsängste zu Andersgläubigen abzubauen. Diese dürften nicht nur als „religiöse Objekte“, sondern als ganze Menschen wahrgenommen werden. Damit steht er dem Anliegen Klemens‘ gar nicht so fern. Denn dass Interreligiöser Dialog ganz wesentlich auf Beziehungen basiert, gehört zum Selbstverständnis ihrer Arbeit. Je besser und vertrauensvoller das Verhältnis zueinander ist, desto offener und ehrlicher die Gespräche, sagt Klemens.
Vertrauen im Miteinander ist beim Berliner „House of One“ keine Selbstverständlichkeit. Es fällt auf, dass im Organisationsteam weder Katholiken noch eine Moscheegemeinde mit am Tisch sitzen. Stattdessen ist das der Gülen-Bewegung nahestehende Forum für Interreligiösen Dialog Partner auf muslimischer Seite. In Deutschland gebe es niemanden, der den Islam an sich repräsentieren könne, erklären Hohberg und Sanci. Zudem sei das Forum erfahren in Fragen des Interreligiösen Dialogs. Deshalb habe man sich für diesen Partner entschieden – obwohl auch der Verband Ditib Interesse bekundet habe, alleiniger muslimischer Partner zu sein.
Kritik an der Gülen-Bewegung, der manche Sektiererei vorwerfen, weisen die beiden Männer entschieden zurück: Man arbeite wunderbar zusammen und habe sich zuvor gut informiert. Wenn das Gespräch auf die katholischen Geschwister kommt, wird hingegen schnell klar, dass Interreligiöser Dialog bei weitem nicht die einzige Baustelle in Fragen des Miteinanders unterschiedlicher Gläubiger ist: „Wenn wir uns erst innerchristlich an einen Tisch gesetzt und versucht hätten, alle Konfessionen zusammenzubringen, dann hätte es das Projekt wahrscheinlich nie gegeben“, sagt Hohberg. Die Türen für Katholiken stünden aber offen, wenn sie mitarbeiten wollten. (pro)
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 4/2014 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter der Telefonnummer 06441/915 151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.
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