pro: Frau Kramp-Karrenbauer, bei der Bundestagswahl 2017 sind 980.000 CDU-Wähler zur AfD abgewandert, mehr als von allen anderen Parteien. Warum sind ausgerechnet Sie die Richtige, um diese Menschen zurückzuholen?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Es gibt AfD-Wähler, die ganz am rechten Rand stehen und radikale Positionen vertreten. Die haben nie zur CDU gehört und die gehören auch jetzt nicht zur CDU. Dann gibt es die Gruppe derer, die die AfD aus der Sorge heraus wählen, dass sie nicht gehört und ihre Ängste nicht ernst genommen werden. Die sind zurückgewinnbar, wenn wir ihnen das Vertrauen in die Politik und den Staat zurückgeben, etwa im Bereich Innere Sicherheit. Das macht man aber nicht mit schrillen Tönen, sondern indem man Dinge tatsächlich umsetzt. Damit habe ich als ehemalige Innenministerin und Ministerpräsidentin im Saarland viel Erfahrung. Ich traue mir zu, das in der CDU und mit den Kollegen aus Bund und Ländern voranzutreiben.
Offenbar gruselt sich Herr Gauland eher vor Ihrem Konkurrenten – wie Medien berichten, gibt es bei der AfD ein „Strategie-Dossier Friedrich Merz“.
Mir ist egal, vor wem oder was Herr Gauland Angst hat. Wir laufen der AfD nicht hinterher oder versuchen, sie verbal zu überholen. Wir machen unser eigenes Programm und je überzeugter wir von unserer eigenen Politik sind, desto mehr strahlt das nach außen und desto attraktiver werden wir auch wieder für die Wähler.
Friedrich Merz spricht von einer Sozialdemokratisierung der Union. Hätte die CDU unter Merkel mehr tun müssen, um die AfD am Erstarken zu hindern?
Die Gründe für den Aufstieg der AfD liegen nicht nur in der Migrationspolitik, sondern tiefer: Es gibt in unserer heutigen Welt eine Spaltung zwischen denjenigen, die den Weg der Globalisierung und Digitalisierung und all diesen raschen Veränderungen mitgehen wollen, und denen, die sich wünschen, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Weil so viele Menschen unsicher sind, ist es notwendig, dass die Union deutlich macht, welche Werte sie tragen und in welchen Rahmen die konkrete Tagespolitik eingebettet ist. Dieses Erklären, Kommunizieren und Einbetten ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen.
Die „Merkel muss weg“-Rufe bei vielen Veranstaltungen zeugen aber doch von einer viel konkreteren Unzufriedenheit mit politischen Inhalten.
Jeder Bundeskanzler, der in den letzten Jahren Verantwortung getragen hätte, sähe sich heute mit solchen Rufen konfrontiert. Es ist immer leicht, Enttäuschungen an einzelnen Personen festzumachen. Sie dienen als Projektionsfläche. Das erleben wir im Moment. Machen wir es am Thema Migration konkret: Die Entscheidung der Bundesregierung, die Grenzen im Jahr 2015 nicht zu schließen, halte ich nach wie vor für richtig. Doch seitdem haben wir viel verändert, auch viele Regeln verschärft. Was dabei fehlt, ist die Gesamteinordnung. Wir müssen den Menschen erklären, was unser Ziel ist, wo wir stehen und wie der weitere Weg aussehen soll. Ein weiteres Problem ist sicher, dass wir vieles beschlossen haben, was in der Praxis nicht konsequent umgesetzt wird. Deshalb möchte ich Anfang 2019 Praktiker von allen Ebenen der CDU zusammenholen, um Wege zu finden, wie wir Verfahren beschleunigen, Zugangskontrollen sicherer gestalten und auch konsequenter damit umgehen können, wenn jemand nicht in Deutschland bleiben darf.
Tests auf Down-Syndrom sollen Kassenleistung sein
Sie sind Gegnerin der Ehe für Alle und einer Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Lebensschutz und traditionelles Eheverständnis – das sind urkonservative Werte. Ärgert es Sie, dass Merz und Spahn Ihnen das Label gestohlen haben?
Ich bin in all meine bisherigen politischen Ämter gewählt worden, weil ich authentisch bin. Ich gebe nichts auf Etiketten. Die Partei kennt mich und weiß, mit welchen Werten ich antrete. Ich werde das nicht künstlich verändern, um dann beim Parteitag den ein oder anderen Delegierten eher zu überzeugen. Eine Kandidatur ist eine Haltungs- und eine Charakterfrage. Sie stellt einen selbst auf die Probe, ob man in einem solchen Wettbewerb die Kraft hat, an seinen Überzeugungen festzuhalten, oder ob man sie verändert, weil man sich davon bessere Wahlaussichten verspricht. Meine Erfahrung ist: Die Leute bemerken solche Veränderungen und goutieren sie nicht.
Bildungsministerin Anja Karliczek hat jüngst eine Studie gefordert, die prüfen soll, wie sich Kinder in homosexuellen Ehen entwickeln. Halten Sie das auch für notwendig?
Es gibt zu dieser Frage bereits Studien. Wenn das Wissenschaftsministerium aber findet, dass da noch Punkte offen sind, dann ist es auch keine dramatische Sache, das zu untersuchen. Ich weiß, dass die Jugendämter gleichgeschlechtliche Paare auch heute schon sehr oft darum bitten, Kinder in Pflege zu nehmen. Offenbar haben sie also nicht den Eindruck, dass es den Kindern in diesen Familien schlecht geht. Am Ende des Tages kommt es immer auf die ganz konkrete Situation an. Man findet auf beiden Seiten Eltern, denen ein Kind nicht anzuvertrauen ist und umgekehrt. Ich stehe dazu, dass Diskriminierungen homosexueller Paare im Familienrecht abgebaut worden sind, etwa durch das Lebenspartnerschaftsgesetz. Aber ich habe ein traditionelles Verständnis der Ehe als Vereinigung von Mann und Frau. Das vertrete ich, auch wenn es mehrheitlich anders gesehen wird.
Sie sind für eine Beibehaltung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Sind Sie eine Lebensschützerin?
Jeder Christdemokrat und jede Christdemokratin sollte sich per se als Lebensschützer verstehen. Wobei das für mich auch die Bewahrung der Schöpfung umfasst. Bei der Debatte um den Paragrafen 219a geht es nicht darum, Frauen in existenziellen Notsituationen Informationen vorzuenthalten. Man kann es sicherlich gut organisieren, dass Frauen die notwendigen Informationen erhalten. Ich fürchte aber, dass wir, wenn das Werbeverbot abgeschafft wird, einen weiteren Schritt auf dem Weg gehen, aus einem Schwangerschaftsabbruch einen ganz normalen medizinischen Eingriff zu machen. Wir dürfen nie vergessen, dass er Leben beendet. Und deshalb immer etwas anderes ist als zum Beispiel eine Blinddarmoperation. Mich treibt auch um, dass wir es in einem der reichsten Länder der Welt nicht schaffen, ein Klima zu schaffen, in dem werdende Eltern, die etwa die Frühdiagnose Down-Syndrom erhalten, sich in der Lage sehen, ihr Kind auf die Welt zu bringen und großzuziehen. Da versagen wir alle, auch die CDU.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich gerade dafür ausgesprochen, die vorgeburtliche Untersuchung auf das Down-Syndrom, die sogenannten Pränatests, zur Kassenleistung zu machen. Ist das unchristlich?
Wir haben in Deutschland die Pränataldiagnostik zugelassen. Medizinischer Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Ich selbst hatte bei meinem jüngsten Sohn eine Fruchtwasseruntersuchung, ich weiß also, wovon ich spreche. Nun ist doch die Frage, nach welcher Methode wir dabei vorgehen und auch die Frage danach, ob die Kasse es zahlt oder nicht, für mich nicht die entscheidende. Viel wichtiger ist es, wie nach der Untersuchung und einer entsprechenden Diagnose mit den Eltern umgegangen wird. Erhalten sie Unterstützung, Beratung, werden sie begleitet und ermutigt? Ich weiß, dass Vertreter der Evangelischen Kirche da ebenso aktiv sind wie Vertreter der katholischen Seite.
Kritiker befürchten einen Anstieg der Abtreibungszahlen.
Dagegen müssen wir etwas tun, indem wir besser beraten und ein gesellschaftliches Klima schaffen, das ermutigt. Wenn wir die Möglichkeit der Pränatests in Deutschland einräumen, dann darf es keine Frage des Geldes sein, ob man sie wahrnehmen kann.
Sie haben angekündigt, sich aus der hauptamtlichen Arbeit für die Union zurückzuziehen, wenn Sie die Wahl zur Parteivorsitzenden verlieren. Was käme danach?
Es gibt in der CDU nur eine hauptamtliche Funktion und das ist die des Generalsekretärs. Ich habe gesagt, ich stehe als Generalsekretärin nicht mehr zur Verfügung, weil es auch ein Gebot der Fairness gegenüber einem neuen Parteichef ist, der ja sein Team selbst aufstellen können muss. Ansonsten habe ich deutlich gesagt: Ich werde dieser Partei nicht den Rücken kehren. Wo immer mich die Partei hinstellt, werde ich mich auch in die Pflicht nehmen lassen.
Frau Kramp-Karrenbauer, vielen Dank für das Gespräch!
Sie sind Gegnerin der Ehe für Alle und einer Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Lebensschutz und traditionelles Eheverständnis – das sind urkonservative Werte. Ärgert es Sie, dass Merz und Spahn Ihnen das Label gestohlen haben?
Ich bin in all meine bisherigen politischen Ämter gewählt worden, weil ich authentisch bin. Ich gebe nichts auf Etiketten. Die Partei kennt mich und weiß, mit welchen Werten ich antrete. Ich werde das nicht künstlich verändern, um dann beim Parteitag den ein oder anderen Delegierten eher zu überzeugen. Eine Kandidatur ist eine Haltungs- und eine Charakterfrage. Sie stellt einen selbst auf die Probe, ob man in einem solchen Wettbewerb die Kraft hat, an seinen Überzeugungen festzuhalten, oder ob man sie verändert, weil man sich davon bessere Wahlaussichten verspricht. Meine Erfahrung ist: Die Leute bemerken solche Veränderungen und goutieren sie nicht.
Bildungsministerin Anja Karliczek hat jüngst eine Studie gefordert, die prüfen soll, wie sich Kinder in homosexuellen Ehen entwickeln. Halten Sie das auch für notwendig?
Es gibt zu dieser Frage bereits Studien. Wenn das Wissenschaftsministerium aber findet, dass da noch Punkte offen sind, dann ist es auch keine dramatische Sache, das zu untersuchen. Ich weiß, dass die Jugendämter gleichgeschlechtliche Paare auch heute schon sehr oft darum bitten, Kinder in Pflege zu nehmen. Offenbar haben sie also nicht den Eindruck, dass es den Kindern in diesen Familien schlecht geht. Am Ende des Tages kommt es immer auf die ganz konkrete Situation an. Man findet auf beiden Seiten Eltern, denen ein Kind nicht anzuvertrauen ist und umgekehrt. Ich stehe dazu, dass Diskriminierungen homosexueller Paare im Familienrecht abgebaut worden sind, etwa durch das Lebenspartnerschaftsgesetz. Aber ich habe ein traditionelles Verständnis der Ehe als Vereinigung von Mann und Frau. Das vertrete ich, auch wenn es mehrheitlich anders gesehen wird.
Sie sind für eine Beibehaltung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Sind Sie eine Lebensschützerin?
Jeder Christdemokrat und jede Christdemokratin sollte sich per se als Lebensschützer verstehen. Wobei das für mich auch die Bewahrung der Schöpfung umfasst. Bei der Debatte um den Paragrafen 219a geht es nicht darum, Frauen in existenziellen Notsituationen Informationen vorzuenthalten. Man kann es sicherlich gut organisieren, dass Frauen die notwendigen Informationen erhalten. Ich fürchte aber, dass wir, wenn das Werbeverbot abgeschafft wird, einen weiteren Schritt auf dem Weg gehen, aus einem Schwangerschaftsabbruch einen ganz normalen medizinischen Eingriff zu machen. Wir dürfen nie vergessen, dass er Leben beendet. Und deshalb immer etwas anderes ist als zum Beispiel eine Blinddarmoperation. Mich treibt auch um, dass wir es in einem der reichsten Länder der Welt nicht schaffen, ein Klima zu schaffen, in dem werdende Eltern, die etwa die Frühdiagnose Down-Syndrom erhalten, sich in der Lage sehen, ihr Kind auf die Welt zu bringen und großzuziehen. Da versagen wir alle, auch die CDU.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich gerade dafür ausgesprochen, die vorgeburtliche Untersuchung auf das Down-Syndrom, die sogenannten Pränatests, zur Kassenleistung zu machen. Ist das unchristlich?
Wir haben in Deutschland die Pränataldiagnostik zugelassen. Medizinischer Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Ich selbst hatte bei meinem jüngsten Sohn eine Fruchtwasseruntersuchung, ich weiß also, wovon ich spreche. Nun ist doch die Frage, nach welcher Methode wir dabei vorgehen und auch die Frage danach, ob die Kasse es zahlt oder nicht, für mich nicht die entscheidende. Viel wichtiger ist es, wie nach der Untersuchung und einer entsprechenden Diagnose mit den Eltern umgegangen wird. Erhalten sie Unterstützung, Beratung, werden sie begleitet und ermutigt? Ich weiß, dass Vertreter der Evangelischen Kirche da ebenso aktiv sind wie Vertreter der katholischen Seite.
Kritiker befürchten einen Anstieg der Abtreibungszahlen.
Dagegen müssen wir etwas tun, indem wir besser beraten und ein gesellschaftliches Klima schaffen, das ermutigt. Wenn wir die Möglichkeit der Pränatests in Deutschland einräumen, dann darf es keine Frage des Geldes sein, ob man sie wahrnehmen kann.
Sie haben angekündigt, sich aus der hauptamtlichen Arbeit für die Union zurückzuziehen, wenn Sie die Wahl zur Parteivorsitzenden verlieren. Was käme danach?
Es gibt in der CDU nur eine hauptamtliche Funktion und das ist die des Generalsekretärs. Ich habe gesagt, ich stehe als Generalsekretärin nicht mehr zur Verfügung, weil es auch ein Gebot der Fairness gegenüber einem neuen Parteichef ist, der ja sein Team selbst aufstellen können muss. Ansonsten habe ich deutlich gesagt: Ich werde dieser Partei nicht den Rücken kehren. Wo immer mich die Partei hinstellt, werde ich mich auch in die Pflicht nehmen lassen.
Frau Kramp-Karrenbauer, vielen Dank für das Gespräch!
pro hat mit Annegret Kramp-Karrenbauer auch über ihren katholischen Glauben gesprochen und darüber, was sie an ihrer Kirche ärgert. Lesen Sie das vollständige Interview in der ersten Ausgabe 2019 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie pro jetzt hier und erhalten Sie das Heft im neuen Jahr.
Die Fragen stellte Anna Lutz.