Ärztekammer kritisiert Sterbehilfe-Politik 

Kurz vor der Abstimmung über ein neues Sterbehilfegesetz im Bundestag haben Fachverbände die Entwürfe scharf kritisiert. Allen voran die Bundesärztekammer.
Von Anna Lutz
Klaus Reinhardt

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, ist am Mittwoch hart mit der Politik ins Gericht gegangen. Ziel seiner Kritik war die noch vor der Sommerpause angesetzte Abstimmung über ein neues Gesetz zur Sterbehilfe in Deutschland: „Wir halten eine solche Befassung mit einem Thema bei einer Tragweite dieser Art für völlig unangemessen und nicht erforderlich.“

„Überhaupt keine Eilbedürftigkeit“

Reinhardt betonte, es gehe hier um die weitreichende Frage, „ob wir den Suizid gesellschaftlich etablieren“. Darüber rasch zu entscheiden, offenbare zu wenig Ernsthaftigkeit vonseiten der Politik. Das Thema habe „überhaupt keine Eilbedürftigkeit“. Eine gründliche Befassung im Parlament sowie ein gesellschaftlicher Diskurs über die jeweiligen Entwürfe sei in der Kürze der Zeit nicht möglich. 

Zuletzt war Bewegung in den Gesetzgebungsprozess gekommen. Allein innerhalb der letzten Wochen wurden zwei liberale Gesetzesentwürfe zusammengelegt. Auch der konservative Antrag ist nochmals überarbeitet und leicht geöffnet worden und verzichtet nun etwa auf ein strafrechtliches Werbeverbot für Suizidbeihilfe. Der Deutsche Bundestag will am kommenden Donnerstag, am vorletzten Sitzungstag, über die Gesetzesentwürfe zur Suizidhilfe abstimmen.

Hilfe bei Suizidgedanken

Denken Sie darüber nach, sich das Leben zu nehmen? Holen Sie sich Hilfe, zum Beispiel bei der Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

Ein konservativer Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci (SPD) will ein erneutes Verbot der organisierten, sogenannten geschäftsmäßigen Suizidassistenz etablieren, lässt aber in eng definierten Grenzen Ausnahmen zu.

Ein weiterer Entwurf einer Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) sieht das Recht für jeden vor, sein Leben aus freiem Willen heraus, auch mit Hilfe Dritter, zu beenden. Der Sterbewillige unterliegt einer Beratungspflicht durch eine staatlich anerkannte Stelle. Doch das Gesetz bietet auch eine Ausnahmeregelung an. In Härtefällen soll es möglich sein, die Beratungspflicht zu umgehen.

Bundesärztekammerchef Reinhardt betonte: „Wir sind der festen Auffassung, dass allen Maßnahmen ein nationales Suizidpräventionsprogramm vorangestellt werden muss.“ Die weit überwiegende Zahl der Suizide in Deutschland sei depressionsbedingt.

Psychisch Kranke gefährdet

Der Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg kritisierte den Helling-Plahr-Entwurf scharf. Der Direktor für das „Zentralinstitut für Seelische Gesundheit“ sieht darin eine „gravierende Gefährdung für Menschen mit psychischen Erkrankungen“. Die Beurteilung eines Suizidwunschs etwa bei Suchtkranken oder Depressiven sei zu komplex für eine einfache Beratung. Suizidalität lasse bei Medikamentierung teilweise „sehr rasch nach, schon innerhalb von Minuten“. Eine reine ärztliche Approbation reiche zur Beurteilung nicht aus, es sei Expertise mit psychisch Kranken notwendig.

Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Heiner Melching, zeigte sich von beiden Entwürfen enttäuscht. Er sehe die Gefahr, „dass die Suizidhilfevereine durch eine solche Struktur gefördert werden“, indem sie aus der sogenannten Schmuddelecke geholt und ihre Tätigkeit durch die Erfüllung der genannten Kriterien legal würde. „Kein Gesetz zu haben, wäre besser als eines der beiden jetzigen“, sagte er.

Die Bundesärztekammer hingegen befürwortet nach heutigem Stand den Castellucci-Entwurf. Ein neues Gesetz sei notwendig, um ein Schutzkonzept zu etablieren. Ohne Gesetz gebe es auch das nicht, wohl aber schon heute assistierten Suizid in Deutschland. 

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