Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hat in einem Interview mit dem Nachrichtenportal des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) gefordert, dass Ärzte, die Abtreibungen durchführen, vor Übergriffen von Abtreibungsgegnern geschützt werden. Im März soll nach dem Willen der Bundesregierung eine Kommission ihre Empfehlungen zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vorlegen.
Reinhardt möchte, dass „diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wirksam vor Drangsalierungen, Bedrohungen und Angriffen geschützt werden“. Seinen Angaben vom Dienstag zufolge hätten es Mediziner „mit teilweise radikal auftretenden Aktivisten zu tun, die in der Nähe von Praxen teilweise wochenlang demonstrieren“. Ärzte, die in ihren Praxen Abtreibungen durchführten, würden in E-Mails beleidigt und erhielten „explizite Bedrohungen“. Reinhardt fordert, dass dies strafrechtlich geahndet wird.
Gehsteigbelästigungen soll Einhalt geboten werden
Im Interview des RND fordert der Ärztepräsident auch, dass die „sogenannten Gehsteigbelästigungen vor Arztpraxen klar von politischen Demonstrationen“ abgegrenzt werden. „Denn das, was einige Kolleginnen und Kollegen erleben, geht über das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung weit hinaus“, erklärte Reinhardt.
Welche Gruppen oder Einzelpersonen für solche „Gehsteigbelästigungen“ verantwortlich seien und wo sie konkret auftreten, erwähnte Reinhardt nicht. Auf PRO-Anfrage erklärte die Pressestelle der BÄK, dass das eigene Haus keine Statistik über die sogenannten Gehsteigbelästigungen führe.
Reinhardt habe sich in dem Interview auf Fälle bezogen, in denen Ärzte und Praxispersonal vor Ort oder über das Internet mit radikalen Abtreibungsgegnern konfrontiert wurden. Außerdem habe er sich auf Ärzte bezogen, die „aus Sorge vor Belästigungen“ auf einen freiwilligen Eintrag in der von der Bundesärztekammer geführten Liste verzichtet hätten, in der Ärzte, Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen gesammelt werden, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Cornelia Kaminski, Bundesvorsitzende der „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA), erklärte zu den Aussagen von Reinhardt: „Die Bundesärztekammer wird von der Bundesregierung für die Erstellung der Liste an Ärzten, die Abtreibungen vornehmen, bezahlt. Er weiß also sehr genau, vor wie vielen Praxen es tatsächlich zu Aktionen kommt, und er wird auch wissen, dass es keine strafbaren Belästigungen gibt.“
Es gebe kein Recht darauf, nicht mit einer Meinung konfrontiert zu werden, die einem nicht passe, erklärte Kaminski – das gehöre zu den fundamentalen Selbstverständlichkeiten einer Demokratie.
BÄK-Äußerung „irreführend“
ALfA als mitgliederstärkster Lebensrechtsverband in Deutschland organisiert eigenen Angaben zufolge weder Mahnwachen noch Demonstrationen vor Abtreibungseinrichtungen. „Dennoch fühlen wir uns angesprochen“, erklärte die Bundesvorsitzende auf Anfrage, und weiter: „Wer heute Mahnwachen als Belästigungen in bestimmten Zonen verbieten möchte, wird diese Zonen in Zukunft ausweiten: Warum sollte man sie im Internet erlauben, wenn sie in einem Radius von 100 Metern um Abtreibungseinrichtungen herum verboten sind?“ Kaminski erkennt hier „einen ersten Schritt auf einer sehr schiefen Ebene“.
Die ALfA sei strikt gegen die Belästigung und Beleidigung anderer Personen und respektiere ausdrücklich die Meinungs- und Berufsfreiheit anderer Menschen, auch die von Abtreibungsärzten und -befürwortern. Die Äußerung Reinhardts, die „sogenannten Gehsteigbelästigungen“ seien klar von politischen Demonstrationen abzugrenzen, wertet Kaminski als irreführend. „Jede Form von Belästigung, egal ob auf dem Gehsteig oder anderswo, ist bereits verboten und keine politische Demonstration.“
Vor Weihnachten hatte die Bundesärztekammer (BÄK) in einer Stellungnahme ausdrücklich die von der Bundesregierung geplante Einführung von Belästigungsverboten im näheren Umkreis von Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, unterstützt. Laut Referentenentwurf soll das Schwangerschaftskonfliktgesetz ergänzt werden und es untersagen, dass Schwangere „in einem Bereich von 100 Metern“ um Beratungsstellen und Abtreibungspraxen in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden.