Kommentar

Abtreibungsparagraf: Das Schweigen der Hirten

Eine Kommission der Bundesregierung empfiehlt die Freigabe von Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft, sofort gibt es Reaktionen. Nur die Leitung der EKD schweigt. Warum?
Von Nicolai Franz
Schafe schauen in die Kamera

Fast drei Wochen ist es her, dass eine Kommission der Bundesregierung ihren Bericht zum Thema „Reproduktive Gesundheit“ vorgelegt hat. Sie fordert unter anderem den Wegfall von Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch, nach dem Abtreibung grundsätzlich verboten ist, aber unter bestimmten Umständen straffrei bleibt. Schwangerschaftsabbrüche sollen zumindest in der Frühphase erlaubt bleiben, wenn es nach der – natürlich sorgsam von der Ampel zusammengesetzten – Kommission geht. 

Ein Paukenschlag.

Der Text kursierte schon Tage vorher, der „Spiegel“ berichtete, auch PRO lag er vor. Wer darauf reagieren wollte, hatte genügend Zeit. Die Katholische Kirche meldete sich sofort „in großer Sorge“ über die drohende Liberalisierung zu Wort – schließlich geht es hier darum, dass der Schutz des ungeborenen Lebens aufgeweicht werden könnte.

Und die evangelische Kirche? Stiftet Verwirrung. Die „Evangelischen Frauen“ und die Diakonie begrüßten die mögliche Neuregelung. Vergangenen Sonntag sagte eine Sprecherin beim „Wort zum Sonntag“ vor laufenden Kameras, als Christin sei sie auch für eine Freigabe von Abtreibungen. Und begründete dies mit einer Aussage Jesu aus dem Johannesevangelium: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ 

Sie meinte damit wohlgemerkt nicht das ungeborene Leben, sondern Schwangere, die abtreiben wollen. Das ist harter Tobak. 

Der EKD-Rat schweigt – noch

Beim Medienkonsumenten zeigt sich der Eindruck: Die Evangelische Kirche ist für eine Liberalisierung von Abtreibung, schließlich sind kaum kritische Stimmen zu vernehmen. Denn der EKD-Rat, das Leitungsgremium der Kirche, hat sich offenbar ein Schweigegelübde auferlegt. In einer Stellungnahme vom vergangenen Herbst hatte sich der Rat tatsächlich für eine teilweise Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ausgesprochen – und war dafür auf der folgenden Synode von den Delegierten teils stark kritisiert worden, weil der Lebensschutz darin zu kurz komme.

Der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl plädierte schon im November zusammen mit seinem katholischen Kollegen Gebhard Fürst für eine Beibehaltung der aktuellen Regelung. Überschrift: „Gott ist ein Freund des Lebens.“

Nun arbeitet laut einer EKD-Sprecherin eine „interdisziplinäre Arbeitsgruppe“ des Rates an einem „orientierenden Beitrag“ in der Frage. Wann es ein Ergebnis gibt, steht noch nicht fest. Solange schweigen die Hirten wohl.

Die Kirche muss Orientierung geben

Wohlgemerkt: Die aktuelle Abtreibungsregelung ist mitnichten das Ergebnis konservativer Politik, das Frauen Abtreibung möglichst schwer machen soll. Es ist ein mühsam errungener Kompromiss, der die Vorgabe des Karlsruher Verfassungsrichter umsetzt: Das Selbstbestimmungsrecht der Frau und das Lebensrecht des Ungeborenen zu achten.

Das Vorhaben der Kommission bedeutet eine einseitige Fokussierung auf das Selbstbestimmungsrecht, das Lebensrecht des ungeborenen Menschen wird beschnitten. Bei allem Verständnis für unterschiedliche Meinungen innerhalb der evangelischen Kirche: Es wird Zeit, dass sie klarmacht, welche Orientierung sie dieser Gesellschaft in dieser Frage geben will. Und wenn sie es nicht schafft, eine gemeinsame Linie für den Lebensschutz zu finden – was leider zu erwarten ist – dann kann sie in ihrer Erklärung auch ein Minderheitenvotum zulassen.

Kontraproduktiv wäre es zu warten, bis das Thema durch ist. Denn dann hören die Schafe eben auf andere Hirten.

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