In einem Gastbeitrag für das Rechtsmagazin „Legal Tribune Online“ kritisiert der Jurist Patrick Heinemann den Vorschlag einer Expertenkommission der Ampelregierung, Abtreibungen in Deutschland zu legalisieren. Der Kommissionsbericht scheine „erkennbar von dem Bemühen getragen, für eine nicht näher definierte Frühphase der Schwangerschaft ein vorbehaltloses Recht auf den Schwangerschaftsabbruch verfassungsrechtlich herleiten zu wollen“.
Ein „abgestuftes Schutzmodell“, wie es die Kommission vorsieht, überzeugt den Juristen nicht. Er warnt vor einer Relativierung der Menschenwürde. „Grundrechte gelten oder sie gelten nicht“, konstatiert Heinemann, der Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer ist.
Dass der Kommissionsbericht Gründe anführt für „eine Entkoppelung von Menschenwürde- und Lebensschutz und die Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG erst für den Menschen ab Geburt“ bewertet Heinemann als „harten Tobak“. „Das Leben stellt nach der Verfassungsjudikatur die ‚vitale Basis‘ der Menschenwürdegarantie dar“, schreibt der Rechtswissenschaftler, und weiter: „Dieser Zusammenhang ist keine Einbahnstraße. Denn umgekehrt kann es unter dem Grundgesetz auch kein menschliches Leben ohne Würde geben. Ansonsten wäre der Menschenwürdegehalt des Lebensschutzes nicht bloß angetastet, sondern beseitigt.“ Das gelte „insbesondere für behindertes Leben, dessen Würde der Nationalsozialismus durch Tötungsaktionen auf extreme Weise negierte“, aber auch heute noch gelegentlich in Frage gestellt werde.
Kommission ohne theologische Expertise
Der Jurist kommt zu dem Schluss: „Ein vorbehaltloses Recht auf den Schwangerschaftsabbruch, das – sei es auch nur in der Frühphase der Schwangerschaft – auf jede Konfliktbewältigung im Einzelfall verzichtet, sondern stets einseitig zulasten des Nasciturus (Anm. d. Red.: Rechtsbegriff für das bereits gezeugte, aber noch ungeborene Kind) geht, dürfte mit dem Grundgesetz kaum zu machen sein.“
Darüber hinaus bemängelt Heinemann auch die Zusammensetzung der Kommission. Der habe es gänzlich an theologischer Expertise gemangelt. Heinemann erklärt das Fehlen von Kirchenvertretern in dem Gremium so: „Die Kirchen, die sich ehedem engagiert in Debatten der Sexualethik einbrachten, haben seit dem Zutagetreten zahlreicher Komplexe sexualisierten Machtmissbrauchs dermaßen an moralischem Kapital verspielt, dass sie in dieser öffentlichen Debatte abseits von ein paar extremen Lautsprechern kaum mehr wahrgenommen werden.“
In den öffentlichen Debatten seien „nachdenkliche, differenzierte christliche Stimmen“, die nicht durch „extreme Positionen und moralischen Rigorismus“ auffielen, kaum noch vertreten. „So allerdings verspricht der sich anbahnende Diskurs vor allem ein unangenehmes Polarisierungspotential zwischen rechtsextremen, selbsterklärten ‚Lebensschützern‘ und vermeintlich liberalen Stimmen, die etwa ‚Menschen ohne Uterus‘ jedes Recht absprechen wollen, sich in der Debatte auch nur zu Wort zu melden“, schreibt Heinemann.
Zum Konflikt zwischen dem Lebensschutz und der Selbstbestimmung beim Thema Abtreibung schreibt der Rechtswissenschaftler, dass das Grundgesetz eine „pauschale Hierarchie der Grundrechte“ nicht kenne und „religiöse Vorstellungen vom Wert des menschlichen Lebens, die als persönliche Handlungsmaxime durchaus ihre Berechtigung haben mögen“ für den säkularen Verfassungsstaat nicht bindend seien. „Radikale Lebensschützer müssen es daher aushalten, dass die Grenze des Zumutbaren […] nach dem Grundgesetz nicht notwendig deckungsgleich ist mit der des Katechismus.“