Die geschrumpfte Bundesregierung hat im Parlament keine Mehrheit, wichtige Anliegen sollen nun trotzdem in der verbleibenden Zeit bis zur Auflösung des Bundestages im Frühjahr noch durchgesetzt werden. Dazu zählt – für manche überraschend – auch die Abschaffung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch. Er stellt Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe, nennt aber auch Ausnahmen, unter denen ein Abbruch straffrei bleibt.
Normalerweise werden solch heikle medizinethische Themen mit viel Zeit und vor allem Feingefühl im Bundestag behandelt. Man erinnere sich an die Debatten über Sterbehilfe, Organspende oder Präimplantationsdiagnostik. Doch für diejenigen, die eine Gesetzesänderung anstreben und diese schon seit Beginn der Legislatur anstreben, gibt es ein Problem: Nach der Neuwahl und einem potenziellen Sieg der Union wird es wohl keine Mehrheit mehr für dieses Anliegen im Parlament geben. Offenbar gilt deshalb jetzt für jene, die eine Liberalisierung wollen: Feuer frei, aus allen Rohren.
Gruppenantrag will Liberalisierung
Nur so ist zu erklären, dass Ende der vergangenen Woche ein überfraktioneller Gruppenantrag im Bundestag eingereicht wurde, der fordert: Schwangerschaftsabbrüche sollen in der Frühschwangerschaft grundsätzlich legal und vor allem nicht mehr strafbewehrt sein. Zwar soll es weiterhin eine Beratungspflicht geben, aber wer dagegen verstößt, der muss auch nicht mit Strafe rechnen. Es gäbe keinerlei Wartefristen mehr und die Kosten für Abbrüche würden dann von der Krankenkasse getragen.
Die derzeitige Regelung stellt Abbrüche in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft nur straffrei, wenn zuvor eine Beratung stattgefunden und eine Wartezeit bis zur tatsächlichen Abtreibung eingehalten wurde. Bedeutet: Schon jetzt sind Abtreibungen straffrei möglich, aber unter bestimmten Bedingungen. Eine Kostenübernahme erfolgt nur in bestimmten Fällen.
Der Gruppenantrag ist Ergebnis einer lang vorbereiteten Initiative von vor allem Grünen und SPD. Die Ampel, so forderten es zumindest die Fachpolitiker der Fraktionen, sollte noch vor Ende der Legislatur die Streichung des Paragrafen 218 beschließen. Nur dass die Wahlperiode nun früher endet. Ist das das Ende des Plans? Mitnichten. Nun soll das Vorhaben trotzdem zur Abstimmung gebracht werden. Doch wird es so weit kommen?
Nur wenig Zeit bis zu Abstimmung
Tatsächlich erscheint das derzeit mindestens fraglich. Denn Gesetzesvorhaben gehen einen weiten Weg. Neben zwei Debatten im Bundestag (also den drei sogenannten Lesungen, zusammengefasst in zwei Aussprachen) wird eine Gesetzesänderung in der Regel auch im dafür zuständigen Bundestagsausschuss besprochen. In diesem Fall wären das wohl Gesundheits-, Rechts- oder Frauenausschuss. Zwischen den Lesungen und Aussprachen liegen meist Wochen. Für die Aussprache im Ausschuss müssen Experten eingeladen und gehört werden, auch das geht nicht von heute auf morgen. Hielten viele eine Abstimmung über Paragraf 218 schon bis Herbst für schwer machbar, so ist es eine solche bis Februar umso mehr.
Und damit nicht genug. Nicht nur müssten jene, die den Gruppenantrag befürworten – unter ihnen übrigens Kanzler und Vizekanzler, Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne), eine schnelle Abstimmung herbeiführen. Das ganze muss erstmal auf der Tagesordnung des Bundestages landen. Und zwar im Dezember noch. Die ist derzeit noch nicht geschrieben, schon jetzt ist aber absehbar, dass sie aufgrund vieler Anliegen, die noch kurz vor Ladenschluss abgestimmt werden sollen, heillos überfüllt sein wird.
Über das, was auf die Tagesordnung kommt, entscheidet eigentlich der Ältestenrat des Bundestages. Dort hätten Grüne, Linke, BSW und SPD derzeit eine leichte Abstimmungsmehrheit – so sie das Thema denn geschlossen auf der Tagesordnung sehen wollen. Im Falle eines Gruppenantrags mit mehr als fünf Prozent der Abgeordneten als Befürworter gibt es aber eine Ausnahmeregelung: Ein solches Anliegen muss auf die Agenda. Nicht klar ist aber, wann es behandelt und abgestimmt wird. Darüber einigen sich die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen. Und da wiederum sind Linke und BSW nicht dabei, denn sie haben keinen Fraktionsstatus. Bedeutet: Grüne und SPD können es dort nicht erzwingen.
Außerdem muss das Anliegen in der Regel noch durch den entsprechenden Ausschuss. Und auch dort auf die Tagesordnung. Darüber entscheidet der Ausschussvorsitz, im Zweifel gibt es eine Abstimmung der Mitglieder. Auch hier kommt es also darauf an, dass diejenigen, die das Thema in so kurzer Zeit behandelt sehen wollen, auch eine sogenannte Verfahrensmehrheit haben. Sonst besteht die Möglichkeit des Herauszögerns – und in diesem speziellen Fall müssten die Gegner einer Gesetzesänderung das nur wenige Wochen durchhalten, bis die Neuwahlen eingeläutet sind.
Und die FDP?
Was die Frage aufwirft, die schließlich auch dann wichtig würde, wenn es entgegen aller Schwierigkeiten zu einer finalen Abstimmung über die Abschaffung des Paragrafen 218 im Bundestag käme: Was ist eigentlich mit der FDP? Denn Union und AfD, das ist ziemlich klar, werden gegen eine Gesetzesänderung stimmen. Die Liberalen hingegen haben keinen Beschluss zum Thema vorgelegt.
Schon zu Zeiten der Ampel haben FDP-Politiker erklärt, eine Änderung der Abtreibungsgesetzgebung nicht zu unterstützen. Darunter war unter anderem Ex-Justizminister Marco Buschmann. Im PRO-Podcast Glaube.Macht.Politik erklärte Fraktionsmitglied und Pfarrer Pascal Kober kurz vor dem Scheitern des Regierungsbündnisses, die FDP stehe geschlossen für die Beibehaltung der bisherigen Gesetzgebung. Und hört man sich derzeit in Fachpolitikerkreisen und in der FDP um, dann klingt das noch genauso.
Katrin Helling-Plahr, in der FDP-Fraktion unter anderem zuständig für medizinethische Fragen, ließ PRO auf Anfrage wissen: „Ich sehe nicht, wie es dem Deutschen Bundestag in dieser Wahlperiode noch möglich sein sollte, das Thema in der gebotenen und für medizinethische Themen üblichen Tiefe zu diskutieren. Schon ein geordnetes Gesetzgebungsverfahren zu durchlaufen, dürfte kaum mehr möglich sein. Ich halte es deshalb für äußerst unangemessen, dass die Initiatoren des Gesetzentwurfs dem Deutschen Bundestags dieses Thema auf den letzten Metern der Wahlperiode vor die Füße werfen.“ Sie selbst sehe keine Veranlassung für eine Gesetzesänderung.
Neben den ethischen Überlegungen dürfte für die FDP auch eine andere Erwägung wichtig sein: Wenn sie nach den Neuwahlen noch einmal an einer Regierung beteiligt sein wird, dann ist sie aller Voraussicht nach CDU/CSU-geführt. Und mit dem künftigen Partner will man es sich jetzt ebenso wenig verscherzen wie einem rot-grünen Ansinnen zum Sieg verhelfen.
Könnte es Abweichler in der Fraktion geben, wenn es tatsächlich zu einer Abstimmung kommt? Möglich. Es ist nicht auszuschließen, dass in den Reihen der Liberalen der ein oder die andere mit einer Abschaffung des Abtreibungsverbots liebäugelt. Derer müssten es aber einige sein, damit eine Abstimmung im Bundestag zugunsten der Gesetzesänderung ausgeht.
Abstimmung: Es wird eng
Selbst dann, wenn Grüne, SPD, Linke und BSW gemeinsam geschlossen für die Abschaffung des Paragrafen 218 stimmten, fehlten fünf Stimmen für eine Mehrheit. Die müssten aus den Reihen der AfD, der Union, der FDP oder von den Fraktionslosen kommen – von den betreffenden neun Personen sind sieben aus der AfD ausgeschieden, hinzu kommen Volker Wissing (FDP) und ein ehemaliges Mitglied der Grünenfraktion.
Fragt man dieser Tage in den Reihen der Abschaffungsbefürworter, dann klingt es gelegentlich so, als hätten sie ihren Sieg schon errungen. Das Bündnis „Abtreibung legalisieren“, das Anfang Dezember eine Großdemonstration vor dem Deutschen Bundestag plant, erklärte gegenüber PRO, durch den Gruppenantrag sei „nochmal mehr Dynamik entstanden“ und eine Gesetzesänderung sei „so wahrscheinlich wie vielleicht noch nie“. Ersteres mag zutreffen. Zweites ist bei genauerem Blick in den Bundestag mindestens infrage zu stellen.