Nur Wellenrauschen ist zu hören, zu sehen ist nichts, dann eine Stimme, die auf Englisch sagt: „Seit ich ein kleiner Junge war …“. Plötzlich sieht man den Mann, der da gesprochen hat, wie er an einer Küste steht, der Wind weht ihm durch die Haare. Er blickt hinaus auf das Meer. Der Satz wird im Off beendet: „… wollte ich immer wie mein Vater sein!“ So beginnt der Trailer zum Film „Son of Cornwall“ über John Treleaven, der im April in die Programmkinos kommt. Aber er ist mehr als eine Vater-Sohn-Geschichte.
Der Mann, der das sagt, ist Lawrence Richards. „Seit ich angefangen habe Film zu studieren, war mir klar, dass ich eines Tages einen Film machen würde über meinen Vater!“ Lawrence Richards ist Filmproduzent, Regisseur, Kameramann und Chef der Produktionsfirma indievisuals. Sein Vater, der Opernsänger John Treleaven, ist für ihn seit seiner Kindheit ein Held. „Seine Geschichte ist faszinierend: Der Sohn eines Fischers aus einem winzig kleinen Fischerdorf in Cornwall wird beim Singen im Meer entdeckt und tritt später sogar an der Wiener Staatsoper auf!“
Lawrence weiß aus Erfahrung: „Eine gute Heldengeschichte funktioniert immer im Film!“ Dass sie am Ende eine andere Message hat, als ursprünglich gedacht, gehört zu den Überraschungen, die ein Dokumentarfilm mit sich bringen kann.
Von der Idee bis zum fertigen Film sollten rund 20 Jahre vergehen. In dieser Zeit war Lawrence Richards nicht untätig. Er begleitete seinen Vater mit der Kamera auf der Bühne und Backstage, interviewte Freunde, Kollegen und Regisseure und sammelte viele Stunden an Filmmaterial. Für Lawrence Richards stand fest, dass er seine Sohn-Rolle im Film nicht verlassen wollte und konnte. „Ein anderer Mensch hätte auch einen Film über meinen Vater machen können, der wäre objektiver gewesen. Aber wir haben genau das zum Vorteil des Films gemacht!“
Teamwork und der Blick von außen waren deshalb von Anfang an wichtig. Mit der Dramaturgin Rebecca entwickelte er ein stimmiges Konzept für den Film. Und nicht nur das: Die beiden verliebten sich, sind heute verheiratet und stolze Eltern. Kernstück des Films sollte eine Reise von Vater und Sohn nach Cornwall werden, wo John Treleaven aufwuchs. An den Drehorten sollte seine Lebensgeschichte erzählt werden.
Im Juli 2018 starteten die beiden von ihrem Heimatort in der Nähe von Mainz Richtung Britische Insel. Mit dabei zwei Kameramänner und ein Tonmann. Gemeinsam fuhren sie in einem Multivan, der bis auf den Dachgepäckträger vollgepackt war mit Technik und Filmequipment. „Es war krass, wie positiv mein Vater immer geblieben ist! Wir waren auf engstem Raum zusammen. Da gab es immer mal wieder Stress im Team. Aber wenn mein Vater kam, war es nicht ein einziges Mal stressig. Er hat alle so positiv beeinflusst beim Set“, erinnert sich Lawrence Richards.
Während des Drehs stand er mächtig unter Druck. „Ich hatte Angst, dass der Film nicht gut wird! Ich habe immer aus Spaß gesagt: Das könnte der teuerste Familienfilm aller Zeiten werden!“ Er agierte als Produzent, Regisseur, manchmal war er sogar Kameramann. Dazu war er immer auch die zweitwichtigste Person vor der Kamera.
Und dann war da noch die große Verantwortung, die er gegenüber den Menschen empfand, die teilweise sehr viel Geld in einer Crowdfunding-Aktion gespendet hatten, damit sein Traum vom Film wahr werden konnte.
John Treleaven
John Treleaven, Jahrgang 1950, studierte ohne Abitur in London Gesang. Er gastierte in allen britischen Opernhäusern, wechselte nach Deutschland und hatte Gast-Engagements in ganz Europa, Australien, Japan, Südamerika und den USA. Vielfach war er in Rollen von Richard-Wagner-Opern zu erleben, etwa als Tristan in „Tristan und Isolde“, Siegfried in „Ring der Nibelungen“ und Tannhäuser in der gleichnamigen Oper. Er war Don José in Bizets „Carmen“, Hoffmann in Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ und Otello in Verdis gleichnamigem Werk. Außerdem spielte er in mehr als einem Dutzend Opernfilmen mit. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2016 gehörte er zum Ensemble der Oper in Karlsruhe.
Vater John Treleaven lernte seinen Sohn auf dieser Reise von der bisher wenig bekannten Seite als konzentriert arbeitenden Filmprofi kennen. Die Beziehung der beiden vertiefte sich durch die vielen höchst emotionalen Momente. Einer davon war der Dreh in der kleinen Kirche von Porthleven, wo John Treleaven seine Kindheit und Jugend verbracht hat.
Lawrence Richards hatte für diesen Ort einen klaren Plan: „Hier wollten wir über seinen Glauben reden. Also fragte ich ihn: ‚Wieso glaubst du so stark?‘ Dann hat er gesagt: ‚Ohne Gott wäre ich heute wahrscheinlich tot.‘ Unter Tränen hat er über seine Alkoholsucht gesprochen! Das wollten wir eigentlich erst später in der Kneipe thematisieren. In diesem Moment habe ich verstanden, wie sehr der christliche Glaube meinem Vater aus der Sucht herausgeholfen hat. Das war eine große Überraschung für mich.“
Überraschende Wendung beim Dreh
Der Alkohol war seit Jugendzeiten John Treleavens Begleiter. Erst als er mit vierzig Jahren lebensgefährlich erkrankte, wurde offenbar, dass sein stetiger Alkoholkonsum seine Gesundheit zerstört hatte. Mit seiner Frau Roxane entschied er sich für einen Entzug. Der erfolgreiche Operntenor holte sich auch Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe. Trotzdem kam er nicht komplett vom Alkohol los.
Sichtlich bewegt gesteht er im Interview: „Ich habe meinen zerstörerischen Weg fortgesetzt! Ich kam an einen Punkt, da konnte ich gar nicht mehr anders als trinken. Manche sagen vielleicht, Gott hätte doch eingreifen können. Aber so handelt der liebende Gott nicht! Jeder hat die Freiheit, selbst zu entscheiden! Gott war immer bei mir. Ich habe ihn weggeschoben!“
Bis 2013 war es für den Opernsänger ein täglicher Kampf, auf Alkohol zu verzichten. Seitdem ist er trocken. Für John Treleaven ist das nicht sein persönliches Verdienst. „Dafür ist Gott verantwortlich. Jesus hat mich am Kreuz gerettet. Er ist für mich gestorben!“
Lawrence Richards, Jahrgang 1981, ist Geschäftsführer der Produktinsfirma indievisuals. Sein Film über seinen Vater John Treleaven, „Son of Cornwall“ startet am 14. April in den Programmkinos.
Kinotourdaten:
13. April, Stuttgart, Atelier am Bollwerk
14. April, Tübingen, Arsenal
17. April, Lich, Traumstern
18. April, Heidelberg, Luxor
19. April, Mainz, Capitol
20. April, Kinemathek, Karlsruhe
Von dieser tiefen Überzeugung erzählt er in der Filmszene in der kleinen Kirche von Porthleven. Dieser Moment veränderte die Kernbotschaft des Films, erklärt Lawrence Richards: „Ursprünglich war meine Intention, dem Zuschauer Mut zu machen. Wenn mein Vater es geschafft hat, aus seinen Verhältnissen heraus ein Operntenor zu werden, dann kann sich jeder seinen Traum erfüllen. Beim Dreh in der Kirche merkte ich, dass der Film Hoffnung geben kann, für die, die auch in schwierigen Situationen stecken, die vielleicht selber alkoholkrank sind. Mit Gottes Kraft können auch sie es schaffen. Das ist jetzt die wichtigste Botschaft des Films: Gott hat das Leben meines Vaters gerettet!“
Filmtitel auf dem Grabstein
Der Filmtitel „Son of Cornwall“ stand schon lange fest. Während der Dreharbeiten am Grab von John Treleavens Vater bekam der Titel dann überraschend eine ganz neue Tiefe. Vater und Sohn stehen vor dem Grab von John Treleavens Vater auf dem Friedhof von Porthleven. Die Sonne scheint. Der Wind weht kräftig. Die Männer richten den Blick auf das Grab.
Mit einem Mal – als hätten sie sich abgesprochen – lesen beide laut die Inschrift: „Son of Cornwall“. Sie schauen sich erstaunt an. Es wird klar, dass sie in diesem Moment erst richtig verstehen, dass der Film so heißen wird wie die Inschrift auf dem Grabstein.
Rund dreißig Stunden Filmmaterial lagen nach der gut dreiwöchigen Cornwall-Reise vor. Dazu kamen die vielen Aufnahmen, die Lawrence Richards in mehr als zwanzig Jahren gesammelt hatte. Viel zu viel Material, von dem nur ein Bruchteil in den Film einfließen konnte. Am Ende legte der 40-Jährige Filmemacher den Schwerpunkt auf die gemeinsame Fahrt nach Cornwall.
So entstand ein berührender, kurzweiliger neunzig Minuten langer Film mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen von Cornwall, Opernszenen, die zeigen, wie ausdrucksstark und stimmgewaltig John Treleaven auf der Bühne agierte. Wie zum Beispiel der Ausschnitt aus dem Jahr 2006. Damals sang und spielte er im Gran Teatre del Liceu in Barcelona den Siegfried in „Ring der Nibelungen“ vor der beeindruckenden Kulisse eines riesigen, sich drehenden Ventilators.
Aber im Mittelpunkt des Films stehen die offenen und ehrlichen Gespräche zwischen Vater und Sohn. Durch Kameraperspektive, Schnitt und die dichte Atmosphäre bekommt der Zuschauer den Eindruck, höchstpersönlich bei der bewegenden Reise in die Vergangenheit dabei zu sein. Dabei stört es erstaunlicherweise überhaupt nicht, dass der Film auf Englisch ist und die deutsche Übersetzung per Untertitel kommt.
Lawrence Richards Wunsch, einen Film über die Lebensgeschichte seines Vaters zu machen, wurde nach mehr als zwanzig Jahren endlich Realität. Die Chancen stehen gut, dass der Streifen viele Menschen bewegt. Denn gute Heldgeschichten funktionieren im Film immer – vor allem, wenn sie wahr sind.
Von: Sabine Langenbach