Landesbischof Kramer: „Gebet hat verändernde Kraft“

Der EKD-Friedensbeauftragte Friedrich Kramer warnt im Interview vor Waffenlieferungen an die Ukraine. Auch in Sachen Corona setzt er auf Dialog – „im Geist Christi“.
Von Norbert Schäfer
Landesbischof Friedrich Kramer sah die Kirchen auch während des Lockdowns gut aufgestellt

PRO: Landesbischof Kramer, Sie sind Friedensbeauftragter der EKD. Ist es nicht ein frustrierender Job bei so vielen Konflikten und Kriegen auf der Welt?

Landesbischof Kramer: Nein, ganz im Gegenteil. Es ist wichtig, dass wir als Kirchen unsere friedensethischen Positionen einbringen. Überall, wo wir für den Geist des Evangeliums und den Geist Jesu Christi werben können, ist das ein großer Gewinn. Mit Arbeit am Reich Gottes und Friedensarbeit ist es wie mit Hausarbeit. Man sieht immer, wenn sie nicht genug gemacht wird. Dann steht da das Waschbecken voll und die Wohnung ist unansehnlich. Ist alles sauber, merken Sie gar nichts.

Ihre erste Aufgabe im Amt war die Leitung der Konferenz für Friedensarbeit. Die ist am 1. Februar zu Ende gegangen. Was haben Sie als Ergebnis mit nach Hause genommen?

Einerseits, dass es in unserer Gesellschaft ganz klar pazifistische Kräfte gibt, die vom Geist Jesu Christi und seinem Wort stark geprägt sind. Auf der anderen Seite müssen wir die gefallene Welt und die Sündhaftigkeit des Menschen sehen und nüchtern sein. In dieser Bandbreite bewegt sich evangelische Friedensarbeit. Dann habe ich eine sehr hohe Bereitschaft festgestellt, auch die aktuellen gesellschaftspolitischen Themen anzugehen.

Aktuell sind die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine ein Thema. Wie bewerten Sie das? Droht uns Krieg in Europa?

Einen drohenden Krieg zwischen Russland und der NATO oder zwischen Russland und der EU sehe ich überhaupt nicht. Ich sehe, dass Russland klare Sicherheitsinteressen hat und diese auch formuliert: Wir sind gegen eine Ausweitung der NATO in die Ukraine. Andererseits ist die Ukraine zwischen pro-europäischen und pro-russischen Kräften hin und her gerissen. In vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion, etwa Moldawien und Georgien, gibt es ähnliche Settings. Russland löst diese Probleme in der Regel nicht mit seiner Außenpolitik, sondern friert Konflikte ein, indem die Regionen mit militärischer Präsenz geflutet und so befriedet werden. Dabei kommt es nicht zum Krieg, aber die Konflikte werden auch nicht gelöst.

Man muss nüchtern sehen, dass niemand die Ukraine in die NATO aufnehmen wird, solange die Krim und die Ostukraine von Russland beansprucht werden. Wenn die NATO morgen die Ukraine aufnimmt, dann müsste sie folglich die Krim von der russischen Besetzung befreien und würde damit direkt auf einen Krieg hin steuert. Das ist absurd. Das wird keiner tun. Das sollte man den Ukrainern auch klar sagen.

Sollte Deutschland Waffen an die Ukraine liefern?

Das würde der Ukraine signalisieren: Wir unterstützen euch auch gegen Russland. Wäre das nicht eher kriegsbefördernd? Was die Bundesregierung macht, halte ich für klug. Im Falle eines russischen Einmarsches in der Ukraine auf massive Konsequenzen hinweisen und keine Waffen liefern, um nicht Öl ins Feuer zu gießen.

Den Konflikt werden wir nur lösen, wenn wir die Ukraine und Russland in die NATO oder in die EU holen. Wenn man das heute sagt, klingt das völlig absurd. Aber so kann es am Ende gehen. Schauen Sie die Türkei und Griechenland an. Was wir da schon an Kriegen gehabt hätten in den vergangenen Jahrzehnten, wenn die Länder nicht gemeinsam in der NATO gewesen wären. Auch über unsere alten Feindbilder – die Russen gehören nicht zu uns, sind das Böse aus dem Osten, das uns niedermetzeln will, eine böse Diktatur – darüber müssen wir auch reden.

Können Sie als EKD-Friedensbeauftragter mit Ihren Amtskollegen in den orthodoxen Kirchen etwas unternehmen, um diesen Konflikt irgendwie zu befrieden?

Es gibt Kontakte zur russisch-orthodoxen Kirche und auch zu der neuen orthodoxen Kirche der Ukraine. Wobei es in der Ukraine mehrere orthodoxe Kirchen gibt, was nach orthodoxem Verständnis eigentlich gar nicht geht. Das ist theologisch ganz kompliziert und hat letztlich mit dem Streit innerhalb der Orthodoxie zu tun. Es geht im Kern darum, wer das Sagen hat. Es ist derzeit nicht möglich, den Patriarchen von Moskau und den von Kiew zu gemeinsamen Gesprächen einzuladen, ähnlich eines Formats der Diplomatie. Der inner-orthodoxe Konflikt verhindert das.

Was können Gebete in diesem Konflikt ausrichten?

Das gemeinsame Gebet für den Frieden sollten wir verstärken. Denn ich glaube daran und habe es auch erlebt, dass das Gebet eine verändernde Kraft hat, auch gesellschaftlich. Unser Gebet für den Frieden in der Ukraine ist genauso wichtig ist wie die diplomatischen Unternehmungen. Wenn wir einmütig miteinander beten, ist es vielleicht am Ende das, was den Krieg verhindert hat, ohne dass das nachweisbar oder fassbar wäre. Aber zu sagen, da kommt es zum Krieg und das ist mir egal, ist eine geistige Haltung, die nicht dem Geist Jesu entspricht.

Die Maßnahmen gegen das Corona-Virus haben zu Unfrieden in der Gesellschaft, aber auch unter Christen geführt. Wie kann der Friedensbeauftragte helfen, dass in den Kirchen, aber auch in der Gesellschaft wieder Friede einkehrt?

Die Landeskirchen und der Friedensbeauftragte rufen dazu auf, dass wir als Kirche nicht Teil der Positionierung werden, sondern den Rahmen bieten für einen im Geist des Friedens und des Respekts geführten Dialog. Für Austausch, Zuhören, gemeinsames Beten. Wir müssen vor allem versuchen, diese Eins/Null–Differenzierung aufzulösen. Die hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass wir in einer digitalen Zeit leben und Menschen nur noch schwarz–weiß denken können. Die Vereinfachungen passen nicht zu der Komplexität dieses Problems. Weder ist mit den Impfstoffen alles gelöst, noch ist die Krankheit nur ein Schnupfen. Wir müssen uns als Kirche stark machen dafür, dass Gespräche möglich sind. Wir sollten gegensätzliche Positionen auch nicht gleich als Untergang der Demokratie verstehen. Zur Impfpflicht etwa gibt es innerhalb der Kirche keine einheitliche Meinung. Ich habe mich klar dagegen ausgesprochen, andere dafür. Impfen ist kein Bekenntnis. Man ist nicht ein schlechterer Christ, wenn man sich nicht impfen lässt.

Was wäre die Lösung?

Die Lösung liegt im Dialog. Der Geist Jesu Christi kann uns da helfen, weil er immer davon ausgeht, dass der Andere – perspektivisch zumindest – mein Bruder und meine Schwester ist, selbst wenn er mir feindlich begegnet. Wo allerdings Menschen anfangen, sich Judensterne anzunähen oder „Diktatur“ brüllen, da muss man dem in einer klaren Auseinandersetzung hart entgegentreten. Grundsätzlich ist aber jede sachliche Position denkbar und zu äußern. Es ist nicht Schwarz-Weiß, sondern es ist bunt.

Im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird die Kirche sieben Mal genannt, meist im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt, Mitbestimmung oder der Ablösung von Staatsleistungen. Dagegen wird 22 Mal der Begriff Frieden gebraucht, aber nie im Zusammenhang mit Kirche. Nimmt die Politik die Kirche überhaupt bei ihren Bemühungen um Frieden wahr?

Man könnte sagen, wir sind so effektiv und so erfolgreich, dass Friedensarbeit gar nicht mehr mit uns verbunden wird, sondern gesamtgesellschaftlicher Konsens ist. Es wäre auch schlimm, wenn nur die Kirche für den Frieden zuständig wäre. Frieden ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dass der Koalitionsvertrag das in Bezug auf die Kirchen nicht anspricht, ist logisch.

Dass der Koalitionsvertrag sexualisierte Gewalt thematisiert, ist spannend, weil Kirchen hier eine Stellvertreterfunktion untergeschoben wird. Keine Frage: Jeder sexuelle Missbrauch ist eine Katastrophe. Sexueller Missbrauch widerspricht einer Kirche, die sich als Kirche Jesu Christi versteht. Jemand, der vom Geist Jesu beseelt ist, der tut das nicht. Das ist Konsens innerhalb der Kirche. Aber dieses Thema wird uns von außen als ein zentrales Merkmal angeheftet. Wer allerdings den sexuellen Missbrauch auf die Kirchen reduziert, der hat die übergroße Zahl an Missbrauchsfällen nicht im Blick. Da haben wir gesamtgesellschaftlich eine große Aufgabe.

Junge Menschen werden weniger christlich sozialisiert, werden weniger im christlichen Glauben erzogen, die christliche Tradition bricht ab. Wird das den Willen, auf Gewalt zu verzichten, in unserer Gesellschaft schwächen?

Die Frage ist eher, wie stark das Salz ist. Also wie stark die Friedensbotschaft der Christen deutlich wird und andere überzeugt. Ich glaube, dass die Stärke des Salzes entscheidend ist, nicht die Masse oder Fülle. Nicht der Lüge der Zahlen aufsitzen und meinen, weil wir weniger werden, sind wir nicht mehr bedeutungsvoll. Die Relevanz des Evangeliums, und die Relevanz der Friedensbotschaft Jesu Christi, die geht durch alle Zeiten. Die leuchtet stark und hat nichts damit zu tun, wie viele wir sind, sondern wie klar wir sind.

Vielen Dank für das Gespräch.

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6 Antworten

  1. Die Scheinheiligkeit der Evangelischen Kirche wird hier wieder sehr deutlich, da die Evangelische Kirche ( wie auch die katholische Kirche, der Islam und jüdische Gemeinden, und der Buddhismus mit ihren jeweiligen Abspaltungen…) hier FALSCHE HOFFNUNGEN auf Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit den Menschen vermittelt ( lehrt ), indem, was die Evangelische Kirche hier den Menschen vermittelt und indem, worin die Evangelische Kirche hier wirklich sehr aktiv ist. Es ist eine FALSCHE HOFFNUNG, den Menschen zu vermitteln, dass echter Frieden, echte Gerechtigkeit und echte Sicherheit jemals durch das heutige bestehende System menschlicher Regierungen und deren Bündnisse ( einschließlich der Demokratie ) möglich ist, da der wahre Gott, dessen Name Jehova ist, und dessen Sohn Jesus Christus ist, NIEMALS das heutige bestehende System menschlicher Regierungen und deren Bündnisse gewollt hat und sich dessen Meinung diesbezüglich auch NICHT GEÄNDERT hat.

    Viel Freude beim Lesen der Bibel, und dem NACHDENKEN des GELESENEN darin.

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    1. „Niemals das bestehende System … gewollt hat“? Lieber Zeuge Jehovas, auch ich wünsche Dir „Viel Freude beim Lesen der Bibel und dem NACHDENKEN des GELESENEN darin. Als Jesus die Steuermünze gegeben wurde, sagte Jesus „gebt dem Kaiser (damals der die militärische Weltmacht befehlende Okkupator Israels)was dem Kaiser gehört“. Damit erkennt er dieses bestehende Unrechtssystem an und weist es gleichzeitig in die Schranken, mit der Ergänzung: „und gebt Gott, was Gottgehört“. Als die Israeliten in der Babylonischen Gefangenschaft waren, sagt der Prophet Gottes Weisung weiter;“ Baut Häuser, heiratet …“ kurz richtet Euch ein in diesem bestehenden (für unsere heutigen Verhältnisse) Unrechtssystem.
      „Falsche Hoffnungen“? Für uns Christen war der bestehende DDR-Unrechtsstaat schwer zu verstehen und schwer war es in ihm als bekennender Christ zu bestehen. Aber wir waren „Kirche im Sozialismus“ und haben dem Evangelium gemäß und nicht nur während der Friedlichen Revolution mit der Bergpredigt im Herzen Hoffnung verbreitet, die sich durch Gottes guten Heiligen Hoffnungsgeist von der Kirche, bis auf die Straßen verbreitete zu riesigen „Kerzenzügen“. Gottes Wort der Hoffnung, das wir vermittelten hat einem ganzen Volk Hoffnung gegeben und einen Unrechtsstaat friedlich gestürzt. Falsche Hoffnung? Sie können nur so reden, weil Sie nicht dabei waren! Ich wünsche Ihnen aber von Herzen solche Erfahrungen der Hoffnung mit unserem lebendigen allmächtigen Gott, wie ich sie – nicht nur 1989 – machen durfte!

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  2. Beten ist immer gut. Aber könnten die Evangelischen Kirchen nicht ihre caritativen Organisationen stärker herausstellen? Es sind doch vor allem die Armen, die unter dem Krieg leiden. Hier könnten die Bischöfe lauter werden. Und wie ist es mit den Flüchtlingen? Wir würden welche aufnehmen.

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    1. Auch ich vermisse ein Wort des Papstes, der in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird als „oberste Instanz“ der Christen

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  3. Das „Salz de Erde“ sind Christen dort, wo sie Gott / Jesus die Ehre geben; wo Lobpreis, Dank, Anbetung Gottes einen großen Raum einnehmen. Wenn zu wenig „Salz“ da ist, dann ist das für ein Land „gefährlich“ – siehe Sodom und Gomorra und der Diskurs zwischen Gott und Abraham .Das „Licht der Welt“ ist die Ausstrahlung der Christen in die Welt hinein. Ich denke, es fehlt an beidem in unseren Tagen – vor allem auch in Deutschland.

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  4. Lieber Norbert Schäfer,
    vielen Dank für dieses Interview mit Landesbischof Kramer !
    Ihre Fragen waren alle auch m e i n e Fragen. Und alle Antworten von Kramer waren echt und kein „Geschwafel“
    und haben mir in dieser besonderen angespannten Situation gut getan; waren hilfreich.
    Mit herzlichen Dank und Gruß !
    „JoMüllerberg“

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