Schwein oder nicht Schwein, das ist die Frage

In den USA haben Mediziner einem schwerkranken Mann ein Schweineherz transplantiert. Der Eingriff gilt als Sensation. Auch, weil das Tier vor dem Eingriff genetisch modifiziert wurde.
Von Norbert Schäfer

Im US-amerikanischen Bundesstaat Maryland wurde einem 57-jährigen Mann ein Schweineherz implantiert. Dazu war eine Sondergenehmigung der zuständigen Behörde notwendig. Der schwerkranke Mann hatte keine Aussicht auf ein menschliches Spenderorgan und musste daher mit dem baldigen Tod rechnen. David Bennet entschied sich für die lebensverlängernde Alternative und stimmte der Transplantation eines tierischen Organs zu. Er ist nun der erste Mensch, in dessen Brust das Herz eines Schweines schlägt.

Der Eingriff gilt als bahnbrechend und weckt weltweit die Hoffnung vieler Menschen, die auf Listen für lebenswichtige Organe auf ein Spenderorgan warten. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) warten derzeit mehr als 9.000 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Im Jahr 2020 wurden den Angaben zufolge 3.518 Organe transplantiert – der Bedarf an lebensrettenden Organen ist also enorm.

Die Transplantation war überhaupt nur deshalb möglich, weil das Organ des Tieres vorher genetisch verändert worden war. Für die Xenotransplantation, also der Übertragung eines Organs zwischen verschiedenen Spezies, war das Spendertier genetisch so verändert worden, dass in dem Organ die Bildung eines bestimmten Zuckers unterblieb, der sonst unwillkürlich zur sofortigen Abstoßung des Gewebes beim menschlichen Empfänger geführt hätte.

Erst die Niere, dann das Herz

Dass tierisches Gewebe menschliches Leben retten kann, ist nicht neu. In der Herzmedizin beispielsweise werden Herzklappen aus tierischem Gewebe Patienten eingesetzt. Die meisten biologischen Herzklappen werden entweder aus Aortenklappen von Schweinen oder aus Herzbeutelgewebe von Rindern gewonnen. Früher wurde auch Insulin aus Bauchspeicheldrüsen von Schweinen und Rindern gewonnen. Heute werden Präparate unter Mithilfe gentechnisch veränderter Bakterien produziert.

Im vergangenen Jahr haben US-amerikanische Chirurgen nach jahrelangen Tierversuchen eine genetische veränderte Schweineniere an einen Menschen transplantiert. Allerdings war die Empfängerin des Organs zum Zeitpunkt der Transplantation bereits hirntot. Weil die Empfängerin zwar zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt hatte, nicht aber dem Empfang eines Organs, mussten die Angehörigen entscheiden, dass das Experiment durchgeführt werden darf. Der Eingriff lieferte dann den Beweis, dass die Verpflanzung eines genetisch veränderten Tierorgans an einen Menschen überhaupt möglich ist.

Der Transplantationsmediziner Eckhard Nagel hat im WDR 5-„Morgenecho“ den aktuellen Eingriff als „revolutionären Schritt“ bezeichnet. Die Übertragung tierischer Organe sei in den letzten 30 Jahren intensiv erforscht worden, sagte der Chef des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth. Möglicherweise kämen nun auch weitere Organe wie etwa die Leber für eine Transplantation in Betracht. Tiere seien schon immer zur medizinischen Behandlung von Menschen genutzt worden, sagte der Mediziner, der auch acht Jahre Mitglied im Deutschen Ethikrat war.

Vieles ist noch ungeklärt

Jan Gummert, Ärztlicher Direktor und Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen, und Mitglied des Vorstands der Deutschen Herzstiftung, reagierte auf Anfrage verhaltener. „Grundsätzlich wäre anzumerken, dass es derzeit leider keine ausreichenden Informationen von der US-amerikanischen Arbeitsgruppe gibt“, erklärte der Mediziner. „So hoffnungsfroh die Zukunftsvision von nahezu jederzeit verfügbaren Spenderorganen auch stimmt, so sind doch auch noch viele Fragen unbeantwortet, die das Risiko von Abstoßungsreaktionen, aber auch Langzeitprognosen, die grundsätzliche anatomische Übertragbarkeit und Lebensdauer der Organe betreffen.“

Daher sei eine Einschätzung, ob eine solche Transplantation in absehbarer Zeit auch in Deutschland möglich ist, derzeit noch nicht möglich. „Ich bin aber zuversichtlich, dass die medizinische Forschung auf einem sehr guten Weg ist und dass eines Tages Spenderorgane von Schweinen verwendet werden können.“

Mit der aktuellen Transplantation drängt sich die Frage der generellen Zulassung derartiger Operationen nicht nur in den USA auf. Auch hierzulande müsste eine Debatte darüber erfolgen, ob und, falls ja, wie weit Mediziner zur Erhaltung menschlichen Lebens auf tierische Organe zurückgreifen dürfen. Und wie weit unsere Spezies über Mit-Geschöpfe verfügen darf, um menschliches Leben zu schützen.

Im Mai 1998 haben das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz ein Papier aus der Feder von Vertretern unterschiedlicher Fachrichtungen zur ethischen Beurteilung von Xenotransplantationen veröffentlicht. Der Bericht versteht sich nicht als ein abschließendes Urteil und schließt mit einem Ausblick. „Wie bei jedem Nachdenken über eine Einzelproblematik darf die Ausgangsfrage nicht aus dem Auge verloren werden: die Rettung kranker Menschen durch Spenderorgane. Insofern ist die Forschung im Bereich der Xenotransplantation nur eine Möglichkeit, dem Mangel an menschlichen Spenderorganen zu begegnen“, lautet es in dem Papier, und weiter: „Zu einem verantworteten Umgang mit dieser Problematik gehört immer auch die Suche und Einbeziehung von Alternativen. Auf jeden Fall ist jede Form von Forschung im Bereich der Xenotransplantation und entsprechender Alternativen an der Bewahrung und Würde des menschlichen Lebens sowie an der Achtung gegenüber dem Tier zu orientieren.“

Dem Bericht ist auch ein Anhang angefügt, der die abweichende Auffassung von Wiltrud Kernstock-Jörns (Psychotherapeutische Medizin) aus der Expertengruppe offenlegt: „Das Interesse an der Bewahrung des menschlichen Lebens und seiner Würde setzt das Gebot, Tiere in ihrer geschöpflichen Eigenart und Würde zu schützen, nicht außer Kraft. Der ethische Zielkonflikt muss von uns ausgehalten werden. Daher ist von der weiteren Erforschung der Xenotransplantation abzugehen und ihr gegenüber eine klare Grenze zu ziehen.“ Der Anhang lässt erkennen, wie schwierig Argumente zur Transplantation tierischer Organe auf den Menschen im Für und Wider gegeneinander abzuwägen sind.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Eine Antwort

  1. Erst einmal danke für den interessanten Artikel. Ich persönlich sehe das ganze Thema etwas anderes. Ich habe große Probleme gentechnisch veränderte Organe die aus Tieren gewonnen werden bei einer Transplantation zu verwenden. Ich bin Christ und seit fast 29 Jahren Dialysepatient. Warum fährt man nicht erst eine große Debatte über den Sinn oder Unsinn der Organspende von Mensch zu Mensch?

    0
    0

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen