Im Rahmen der EKD-Synode beschäftigte sich die Evangelische Kirche am Montag mit sexualisierten Gewalt, die in der Kirche in der Vergangenheit geschehen ist und bis heute geschieht. Der Sprecher des Beauftragtenbeirats, Bischof Christoph Meyns machte in seinem Bericht deutlich, dass der Schutz vor sexualisierter Gewalt auf mehreren Ebenen erarbeitet werden müsse. Der Beauftragtenbeirat sehe dabei vier zentrale Handlungsfelder. Grundlegend sei sexualisierte Gewalt zu verhindern. Dies erfordere eine stärkere Prävention und Intervention. Schutzkonzepte, die schon ausgearbeitet seien, sollen angewandt werden. Ebenso müsse die bisherige Praxis weiter fortgesetzt werden, bei der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirchen polizeiliche Führungszeugnisse vorweisen müssen. Der Schutz sei direkt vor Ort niedrigschwellig zu gewähren.
Das zweite Handlungsfeld bezieht sich auf die Hilfe und Unterstützung von Opfern sexualisierter Gewalt. Sie sollen individuelle Leistungen erhalten, auch finanzieller Art. Eine Kommission, die für diese Aufgabe bereits eingesetzt wurde, soll künftig auch stärker Betroffene einbinden. Die Aufarbeitung bisheriger Taten mache das dritte Feld aus. Derzeit seien unabhängige Experten beauftragt, eine Studie zu erstellen. Sie soll aufzeigen, welches Maß an Aufarbeitung bisher geleistet wurde und wie diese künftig verbessert werden kann. Regionale Aufarbeitungskommissionen sollen unterstützend herangezogen werden, damit die Aufarbeitung transparent gemacht werde. Bischof Meyns betonte: „Aufarbeitung darf nicht bei einer Studie enden“, es brauche mehr Engagement.
Und schließlich brauche es Strukturen dafür, wie sich Betroffene im Kontext von Schutz vor sexualisierter Gewalt einbringen können. Der erst 2018 eingesetzte Betroffenenbeirat wurde im Mai 2021 ausgesetzt, nachdem es zu Streit des Beirats und der EKD über die Beteiligung gekommen war. Meyns stellte fest, der Beirat sei gescheitert und dennoch sei es wichtig, eine Beteiligung der Betroffenen zu etablieren. Laut Bericht sollen nun Experten über künftige Strukturen dafür beraten.
Die Aufgabe bleibe, „die sexualisierte Gewalt auszubremsen“, fasste Meyns zusammen. Mit der stärkeren Teilhabe der Betroffenen, müsse es zu einer „Verschärfung der Disziplinarmaßnahmen in Fällen sexualisierter Gewalt“ kommen, stellte der Bischof klar. Eine Verjährung der Fälle könne nicht geduldet werden. Seit 1949 habe die Kommission zur Aufarbeitung bislang 942 anerkannte Fälle sexualisierter Gewalt vermeldet.
Betroffene berichten – Synodale entschuldigen sich
Im Anschluss an den Bericht hatte die EKD den ehemaligen Mitgliedern des Betroffenenbeirats die Möglichkeit gegeben, sich zum Bericht zu Wort zu melden. Deutlich wurde: Die EKD sei laut den Betroffenen auf einem richtigen Weg, jedoch gebe es noch viel Arbeit und nach wie vor zu viel Unvermögen, welches die Betroffenen ohnmächtig mache.
Es sei nicht mit einem 11-Punkte-Plan getan, den die Evangelische Kirche 2018 verabschiedete, sagte Detlev Zander. Gemeinsam mit der gesamten Kirche wolle er den „Keller aufräumen“ und Machtmissbrauch nicht dulden. Dabei sei die Betroffenenbeteiligung die „stärkste Waffe im Kampf gegen sexualisierte Gewalt“. Henning Stein sieht den Staat gefordert, die Aufarbeitung zu übernehmen – nur mit einer unabhängigen Kraft könne dies gelingen. Christiane Lange lenkte den Blick auf die Opferhilfe: Diese sei in der EKD bisher zu gering und gerade Betroffene bräuchten eine langfristige psychologische und rechtliche Betreuung.
In der Aussprache zum Bericht und den Reaktionen der Betroffenen entschuldigten sich mehrere Synodale für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der EKD. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die selbst Mitglied des Beauftragtenrats zum Schutz vor sexualisierter Gewalt ist, sagte: „Es tut mir leid.“ In die „Momente der Selbstkritik“ mische sich jedoch auch der Wille, nach vorn zu blicken. Das Präsidium der Synode stellte, ebenso wie einige andere, einen Geschäftsantrag, sich gründlicher mit dem Thema zu beschäftigen. Das Präsidium wünsche sich eine synodale Kommission, die besonders die Belange der Betroffenen hört, indem sie beteiligt werden und in der eine verbesserte Kommunikation zum Maßstab werde. Die Präses der Synode der EKD, Anna-Nicole Heinrich, betonte am Ende der Diskussion: „Wir beanspruchen nicht die Deutungshoheit“, insofern solle Aufarbeitung vorankommen und nichts vertuscht werden. Es brauche mehr Tempo bei diesem wichtigen Thema, fügte Heinrich an.
Das Problem heißt Machtmissbrauch
Den Themenschwerpunkt auf der EKD-Synode zur sexualisierter Gewalt beendete eine Podiumsdiskussion, bei der sowohl Betroffene teilnahmen, als auch Helfer und Wissenschaftler. Sie fanden einen Konsens darin, dass hinter sexualisierter Gewalt ein Missbrauch von Macht stecke: Macht, die entweder durch eine hierarchische Ordnung oder durch die Kirchenmitglieder selbst an die Täter herangetragen werde, sei das Problem. Es sei wichtig, dass leitende Personen den gesunden Umgang mit Macht lernten, am besten in der Ausbildung, stellte Bischof Meyns klar.
Die Betroffene Nancy Janz machte anhand ihrer Leidensgeschichte deutlich, dass oftmals Helfer selbst in der akuten Situation hilflos sind, so habe ihr Helfer vor Verzweiflung am Telefon geweint. Irmgard Fischer-Orthwein vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg sah darin eine „strukturelle Überforderung“. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion stimmten einhellig zu, es brauche mehr Experten und eine professionelle Betreuung.
Der Sprecher des Beauftragtenrates Meyns zeigte sich willens, den Schutz vor sexualisierter Gewalt in der Kirche weiter zu stärken und Aufarbeitung möglich zu machen, auch durch weitere finanzielle Ausgaben. Man habe verstanden. Der Betroffene Matthias Schwarz, mittlerweile selbst Pfarrer, zeichnete zum Abschluss ein Bild: Es sei wie in der Landwirtschaft. Um eine neue Kultur zu prägen, sei es notwendig, den Acker vom Unkraut zu befreien, zu überlegen wie nun das Feld bereitet werden soll, um schließlich eine neue Saat auszutragen. Dieser Vorgang komme jetzt auf die Kirche zu, ein Anfang sei bereits gemacht, der Weg jedoch noch nicht zu Ende, erklärte Schwarz.
2 Antworten
Seit 1949 bis heute kennt man also 942 anerkannte Fälle sexualisierter Gewalt. Das sind ca. 13 pro Jahr. Bei einer so großen Organisation ist das wenig. Jeder Fall ist einer zu viel und sollte staatlichen Behörden angezeigt werden. Aber die ständige Kritik durch Medien finde ich nicht hilfreich. Es gibt noch andere Aufgaben für die Kirche.
Meines Erachtens wäre hilfreicher und ohne Polemik, wenn Ihr letzter Satz gelautet hätte:
„Es gibt viele Aufgaben für die Kirche!“