Zehn Jahre Bürgerkrieg in Syrien – eine traurige Bilanz

In Syrien ist bis heute Krieg. Viele Christen haben das Land verlassen. Baschar al-Assad ist bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen in seinem Amt bestätigt worden. Doch das Land steckt in einer tiefen humanitären Krise. Ein Gastbeitrag von Lukas Reineck
Von PRO
Armenisch-evangelische Gemeinde Aleppo

„Von Beirut aus kann man gut ein Wochenende in Damaskus verbringen. Es fahren regelmäßig Busse hin und her. Die Altstadt von Damaskus kann ich dir nur empfehlen“, erzählte mireine Theologiestudentin aus Beirut.Das war 2012. Ganz schön naiv, wirdman sich im Nachhinein denken.

Doch niemand konnte ahnen, was sich in Syrien in den kommenden Jahren ereignen würde. Dafür fehlte vermutlich den meisten Menschen die Phantasie.

Gut zehn Jahre ist es her, seit im März 2011 in der syrischen Stadt Da’ra südlich von Damaskus, ein paar Jugendliche politische Graffitis an eine Schulwand sprühten. Die Parolen waren regimekritisch und machten sich über den Präsidenten Baschar al-Assad lustig. Die Folge: Verhaftung und Gefängnis. Die Jugendlichen wurden eine Zeit lang ins Gefängnis gesperrt – sogar gefoltert. In einem späteren Fernsehinterview behauptete Assad das Gegenteil: Folter habe es nie gegeben. Er habe die Familien sogar besucht und den Jugendlichen ginge es gut, verteidigte sich der Präsident auf die kritische Rückfrage des Journalisten.

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst, sagt der Volksmund. Vieles, was in Syrien passiert, ist trotz Recherche internationaler Organisationen und Presse nicht bis ins Detail nachvollziehbar.

Häufig steht Aussage gegen Aussage. Entgegen aller Unschuldsbekundungen ist eines aber sicher: Ein Heiliger ist Assad nicht. Die Beweislast durch Bilder aus Syriens Gefängnissen ist groß. Es sind Aufnahmen von Gefolterten, die ein desertierter Militärfotograf 2019 aus dem Land schmuggelte. Codename: Caesar-Report. In verschiedenen Städten Deutschlands gab es eine Ausstellung zu den Bildern. Die USA und auch Europa verhängten aufgrund der Dokumentation über Folterung in Syriens Gefängnissen ein Embargo gegen den Assad-Clan und seine Verbündeten – wirtschaftlich trifft es jedoch die Bevölkerung am stärksten; nicht das Präsidentenhaus.

Russland unterstützt Syrien

Für die etablierten christlichen Kirchen ist Assad ein Schutzpatron. Hätten sich die Rebellen, also die Freie Syrische Armee (FSA) oder die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien behauptet, dann wären die Christen Syriens vermutlich in schwerere Bedrängnis gekommen. 2014 gelang es dem IS das Kalifat in Nordost-Syrien auszurufen. Die am Fluss Euphrat gelegene syrische Stadt Raqqa war danach die inoffizielle Hauptstadt des IS.

Ein weiterer Vormarsch der Dschihadisten wurde jedoch verhindert. Die FSA lieferte sich seit 2011 mit dem syrischen Regime und regimenahen Truppen immer wieder Gefechte. Bis 2016 waren es heftige Häuserkämpfe um Aleppo zwischen dem Regime und den Rebellen der Freien Syrischen Armee. Dann kam der russische Präsident Putin Assad zu Hilfe. Der russischen Luftwaffe hatte die FSA nichts mehr entgegenzusetzen. Das syrische Regime konnte den Kampf um Aleppo, sogar den Syrienkonflikt, mit Russlands militärischer Unterstützung für sich entscheiden.

Heute kontrolliert Assad wieder 65 Prozent Syriens. Die Provinz Idlib im Norden Syriens und ein Großteil Nordost-Syriens entziehen sich jedoch seiner Kontrolle. Idlib ist mittlerweile ein Rückzugsort für Rebellen geworden, denen die Erdogan-Regierung nahesteht. Sogar türkische Truppen sind in dieser Grenzregion. Die bevorzugte Währung in Idlib ist nicht die syrische, sondern die türkische Lira. Man könnte meinen, Assad ist der Intimfeind Erdogans. Gemeinsam mit Russland versuchte Assad immer wieder die Rebellen-Hochburg zu zerschlagen – zuletzt im März 2020. Bis heute gelingt es dem syrischen Regime nicht, Idlib unter seine Kontrolle zu bringen.

Nach der Zerschlagung des IS flohen einige Kämpfer der Terrormiliz nach Idlib. Auch eine traurige Berühmtheit, Abu-Bakr al-Baghdadi, der ehemalige IS-Führer, verschanzte sich in der Region. Bis er sich 2019 bei der US-militärischen Operation „Kayla Mueller“, nahe der Stadt Barischa, selbst tötete. Benannt wurde die Operation nach einer jungen amerikanischen Entwicklungshelferin, die in IS-Gefangenschaft geriet und dort ermordet wurde.

Immer wieder Kämpfe in Nordost-Syrien

Ende 2019 entschied der damalige Präsident Donald Trump den Rückzug der US-Truppen aus Syrien, da es kurdische Milizen gelang den Nordosten Syriens zu stabilisieren.

„Ich finde es völlig legitim, wenn die US-Truppen Syrien nun verlassen. Es ist an der Zeit“, schrieb mir damals auf WhatsApp der mittlerweile verstorbene Arzt und Baptistenprediger aus Aleppo, Jany Haddad. Im Nordosten Syriens, wo die Amerikaner stationiert waren, stehen große Teile des Landes unter der Kontrolle der demokratischen Kräfte Syriens: einem Militärbündnis, bestehend aus Kurden, Assyrern, Arabern, die es sich zum Ziel gemacht haben, den IS aus Syrien zu vertreiben. Mit dem türkischen Militär kommt es aber immer wieder zu Kampfhandlungen in der Grenzregion.

Al-Hasaka war ursprüngliche eine christliche Stadt im Nordosten Syriens. Protestantische Christen waren hier schon immer die Minderheit – durch die Umsiedlungspolitik der Türkei sind sie jetzt die Minderheit der Minderheit. Der Türkische Präsident Erdogan hat im Nordosten Syriens, wo auch die Stadt Al-Hasaka liegt eine Pufferzone eingerichtet. Zum einen, um kurdische Milizen zu bekämpfen, und zum anderen um syrischen Flüchtlinge – meist Muslime, die in der Türkei lebten – dort wieder anzusiedeln. Das bringt natürlich das Gefüge einer Stadt, ja einer ganzen Region durcheinander.

„In al-Hasaka, der Stadt ich welcher ich Pastorin bin lebten ursprünglich 7.000 Familien. Davon waren 5.000 Familien orthodox. Heute sind es gerade mal 2.000 christliche Familien, wenn man es optimistisch rechnet. Aus andern Städten Syriens kommen viele muslimische Familien nach al-Hasaka. Das Gefüge in der Stadt ändert sich dadurch natürlich“, schrieb mir vor ein paar Tagen die presbyterianische Pfarrerin Mathilde Sabbagh. Trotz der schwierigen Umstände hält die Pfarrerin an ihren Aufgaben fest, feiert Gottesdienst mit ihrer Gemeinde und investiert sich in die Jugend.

Das Volk ist der Verlierer des Konflikts

Der Syrien-Konflikt ist ein Stellvertreterkrieg geworden. Mehrere Nationen bombardierten in Syrien Ziele oder entsandten sogar eigene Kämpfer nach dorthin – darunter der Iran, Russland, die USA, die Türkei und auch Israel. Beim Wiederaufbau Aleppos gingen viele Bauaufträge an chinesische Firmen.

Wenn Assad als der Sieger des Syrienkonfliktes bezeichnet wird, dann steht auch der Verlierer fest: das syrische Volk. Knapp sieben Millionen Menschen sind Binnenflüchtlinge. 5,5 Millionen Menschen sind in die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien geflohen.

Die Menschen in Syrien stehen sich heute für eine Tankfüllung und ein paar Fladenbrote stundenlang die Beine in den Bauch. Auch steigt die Zahl der Corona-Toten in Syrien kontinuierlich an, wie ich aus einem Gemeindebrief der armenisch-evangelischen Bethel-Gemeinde aus Aleppo erfahren haben. Offizielle und zuverlässige Zahlen sind aber keine zu bekommen. Anfang des Jahres war sogar eine Meldung zu lesen, dass Assad und seine Frau Asma an Corona erkrankt seien. Wie aus dem Präsidentenpalast zu hören war, hatte das Präsidentenehepaar nur einen milden Verlauf.

Syrien befindet sich noch immer in einer miserablen Gesamtlage. Einen unbeschwerten Ausflug von Beirut nach Damaskus zu unternehmen, wie mir im Jahr 2012 empfohlen wurde, ist wohl bis auf Weiteres nicht möglich.

Lukas Reineck arbeitet für die Hilfsorganisation „Christlicher Hilfsbund im Orient“ und reist regelmäßig in Länder des Nahen Ostens

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