Soziologe Pickel: Kirchenbindung hatte kaum Bedeutung bei der Wahl

Bei der Bundestagswahl hat die Bindung an eine Kirche nur eine „untergeordnete Rolle“ gespielt. Diese Ansicht vertritt der Religions- und Kirchensoziologe Gert Pickel in einem Interview mit Domradio.
Von Norbert Schäfer
Gert Pickel ist Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Universität Leipzig

Die Kirchenbindung hat bei der Wahl zum Deutschen Bundestag vom Sonntag lediglich eine „untergeordnete Rolle“ gespielt. Das hat der Religions- und Kirchensoziologe Gert Pickel in einem Interview mit Domradio vom Dienstag analysiert. Vielmehr habe es bei der Union an Sachfragen gemangelt.

Kirchenmitgliedschaft und Religiosität stellten „einen unter anderen Faktoren“ dar und seien in Folge der Säkularisierung der Gesellschaft häufig nachgeordnet für den Ausgang einer Wahl. Die Kirchenbindung spiele nur noch bei „sehr überzeugten religiöse Menschen“ eine Rolle, wenn es um religionspolitische oder moralpolitische Fragen wie Sterbehilfe oder Abtreibung gehe.

„Starke religiöse Wurzeln“ bei Union und Grünen


In der Vergangenheit sei ein besserer Stand bei der CDU unter Kirchgängern und Kirchenmitgliedern feststellbar gewesen, erklärt der Kirchensoziologe. Das habe sich jedoch ausgeglichen. Neben der Union seien auch die Grünen eine Partei mit „starken religiösen Wurzeln“ und habe unter religiösen Menschen hohen Zuspruch gewonnen. „Es gibt zwei Parteien, die auf Kirchenmitglieder zurückgreifen können“, erklärte Pickel mit Blick auf Union und Grüne.


Es sei „‚nicht mehr natürlich’, dass die Kirchen an der Seite der Konservativen oder gar der CDU und der CSU“ stünden in Deutschland. Als Alternativen seien die Grünen zunehmend in Vordergrund getreten, erklärte Pickel. Bei den Grünen spiele beispielsweise die „Bewahrung der Schöpfung“ eine große Rolle. Liberale und fortschrittsorientierte Kirchenmitglieder würden sich laut Pickel „sehr stark im Milieu der Grünen wiederfinden“, weil sich „um Kirchen herum“ viel Einsatzfreude aus Motiven der Nächstenliebe „angesiedelt“ habe. „Nur ein Blick in die EKD-Synode oder verschiedene Synoden, die man hat, zeigt einem, dass dort sehr viele Grünen-Politiker sind“, meint Pickel.

AfD-Positionen „treffen den Nerv“ sehr Konservativer

Ein „traditioneller Gegensatz“ von Christen und der SPD habe sich in den letzten Jahren aufgelöst. Scholz habe zudem nicht den Eindruck vermittelt, als wolle er die Kirchen abschaffen. Unionskandidat Armin Laschet sei bei der aktuellen Wahl „sehr unglücklich herübergekommen“, erklärte Pickel.

Dass in Sachsen und Thüringen die AfD zur stärksten Kraft geworden ist, erklärt Pickel zum Teil mit der Entchristlichung der Gesellschaft in der DDR-Zeit und dem daraus resultierenden Mangel an Umgang mit anderen Religionen. Die Ablehnung der AfD von Migration ziele vor allem auf Muslime. Die AfD habe sich „durchaus aktiv“ bemüht, „Christen auf ihre Seite zu bekommen gegen Muslime“, sagte Pickel, was jedoch nicht „so stark und nicht so gut geklappt“ habe. AfD-Positionen gegen Migration oder die Ablehnung sexueller geschlechtlicher Vielfalt träfen jedoch bei „sehr konservativen, religiösen Menschen durchaus da und dort einen Nerv“. Pickel führt das darauf zurück, dass sich die Menschen von diesen Themen überfordert fühlten.

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