Meinung

Der Westen hat keine Antwort auf Gotteskrieger

Das westliche Militärbündnis wollte in Afghanistan einen demokratischen Staat aufbauen. Die religiöse Motivation seiner Gegner, der Taliban, hat es nicht verstanden, findet PRO-Kolumnist Jürgen Mette.
Von Jürgen Mette
Jürgen Mette

Die Bilder von Menschentrauben, die sich verzweifelt an ein vom Flughafen Kabul startendes Flugzeug klammern, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie werden erfrieren oder durch die einfahrenden Fahrwerke zerquetscht werden, einige stürzten direkt vom Flugzeug und zerschellten am Boden. Nach dem ersten Schock, wird uns bewusst, dass ein von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuch, aus einem islamistischen Gottesstaat eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu machen, in einem Desaster enden musste. Eine amerikanische Spezialeinheit hatte vor zehn Jahren den verhassten Kopf der Todes-Piloten vom 11. September 2001, Osama bin Laden, gefasst und erschossen.

Was hat sich nach der Exekution des leibhaftigen Bösewichts im flatternden weißen Nachthemd geändert? Nichts! Die Verluste unter den US-geführten NATO-Kräften sind groß: 3.600 Soldaten des westlichen Bündnisses und 45.000 Soldaten der afghanischen Armee sind in diesem Kampf gefallen. Dazu kommen seit 2009 rund 40.000 zivile Todesopfer und Schätzungen zufolge wohl um die 50.000 getötete Taliban-Kämpfer. Was für eine sinnlose Schlacht, was für ein Blutvergießen und wie viele bis heute traumatisierte Menschen für den Frieden am Hindukusch.

Als US-Präsident George Bush jun. vor 20 Jahren wie ein Feldherr stolz und mit überlegener Attitüde seine Truppen abkommandierte, habe ich in einem Vortrag etwa so gefragt: Wer berät eigentlich die US-Politiker und Militärs? Waren da keine Islamwissenschaftler dabei, die ihnen die Sinnlosigkeit eines Angriffs auf Gotteskrieger erklärt hätten?

Der islamistische Terrorismus ist keine sektiererische Randerscheinung im Islam, sondern in der Mitte der Religion fundamentierte, radikalisierte Kampftruppen, die im Namens Allahs Angst und Schrecken verbreiten. Im radikal-islamischen Milieu gelten Selbstmordattentäter als Märtyrer, denen der unmittelbare Weg ins Paradies sicher sein soll. Offensichtlich besteht zwischen eschatologischen (endzeitlichen) Vorstellungen im Koran und islamistischer Gewalt ein Zusammenhang.

Die religiöse Motivation nicht verstanden

Haben das Pentagon und die NATO-Führung wirklich gedacht, sie könnten den bärtigen Gotteskämpfern in ihren Gewändern, mit einem Turban auf dem Kopf und Panzerfäusten auf der Schulter, mit strategischer Kriegsführung, High-Tech-Waffen und modernsten Sicherheitssystemen begegnen?

Inzwischen hat sich der feine Herr Ghani aus dem Staub gemacht, die neuen Machthaber richten sich in seinem Präsidentenpalast ein. Sie geben sich gesprächsbereit, während Tausende ihrer Glaubensbrüder auf dem Weg zum rettenden Flughafen abgeschossen werden. Die mit Milliarden US-Dollar finanzierte Besetzung des Landes und die Ausbildung von Polizei und Militär, der Aufbau einer Demokratie waren von einer Täuschung getragen, weil die religiöse Motivation der Kämpfer im Dienst für Allah offenbar nicht im Ansatz verstanden wurde.

Alle Geheimdienste des Westens haben die Gefahr nicht erkannt und ihren Regierungen quasi Beruhigungsmedikamente verabreicht. Und unser Außenminister und die Verteidigungsministerin schauen bedröppelt in die Kameras der Presseleute, die zum Teil auch an diesem Desaster mitgeschrieben haben.

Ohne Islam-Reform gibt es weiter Tote

Eine Frage, die mich in letzter Zeit umtreibt, kann ich meinen Lesern nicht verbergen: Warum schweigen die islamischen Verbände in Deutschland und die friedlich mit uns lebende islamische Bevölkerung zu diesem Blutvergießen innerhalb ihrer Religion?

Und was könnten wir als bekennende Christen tun, um islamische Reformtheologen zu unterstützen, bevor sie aus dem Verkehr gezogen werden? Eine Weltreligion, die ihre schriftliche Grundlage der modernen Literaturkritik entzieht, schafft den Boden für den Dschihadismus, der das Existenzrecht Israels verweigert und die Auslöschung dieses Landes fordert. Der Antisemitismus verbindet dabei judenfeindliche Hetze aus Europa mit feindseligen Aussagen aus der Frühgeschichte des Islam.

Wenn der Koran sich nicht einer historischen-kritischen Reform stellt, werden weiter „Ungläubige“ im Namen Allahs ihrer Freiheit und ihres Lebens beraubt.

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15 Antworten

  1. Sie fragen Herr Mette, warum DIE islamischen Verbände schweigen. Deshalb, weil diese sehr heterogen sind und zumindest viele Personen in einzelnen Verbänden mit den religiösen Vorstellungen der Taliban sympatisieren. Bekannte Prediger treten ja öfters in der deutschen Öffentlichkeit auf. Und zudem, wir Deutschen meinen unser Wertesystem für die ganze Welt als Maßstab nehmen zu müssen. Am Beispiel Afghanistan müssten wir endlich mal begreifen, dass dies nämlich nicht der Fall ist. Menschen in Hunger und Krieg interessieren sich nicht für Gender, Klimaschutz und unser Demokratieverständnis. Selbst Länder wie die USA, die viele unserer Werte teilen unterscheiden sich sehr von uns. Auch wenn es uns nicht passt: am deutschen Wesen wird nicht Welt nicht genesen. Hoffentlich ist Afghanistan in diesem Sinne ein „ware up call“ für die westliche Welt, denn z.B. China scharrt schon lange mit den Hufen und interessiert sich für viele unserer Maßstäbe nicht oder nur dann, wenn es dem eigenen wirtschaftlichen Erfolg nutzt

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  2. Ein sehr guter Kommentar. Ist es doch notwendig die richtigen Fragen zu stellen um eigentliche Problem überhaupt erkennen zu können.

    Warum Demokratie in vielen zerrissenen Staaten scheitern muss (nicht nur in Afghanistan, sondern auch in der ehemaligen „Schweiz des Orients“ (dem Libanon), liegt auch daran, dass die Loyalität der Bevölkerung nicht bei ihrem Staat, sondern zunächst bei Familie, Clan und schließlich noch beim Islam liegt.

    Für eine Clangesellschaft ist Demokratie aber sinnlos, wird eine „gleiche, geheime, unmittelbare und freie“ Wahl doch immer nur den größten Clan in der Besetzung der staatlichen Pfründe bestätigen. Wo läge also die Motivation für die Unterlegenen, sich mit einer Dauer-Verliererrolle abzufinden.
    Dasselbe gilt für einige afrikanische Staaten.

    Ein Lösungsversuch liegt interessanterweise in einer Machtverteilung nach Proporz: Gemäß Clanzugehörigkeit, ethnischen oder religiösen Identitäten (siehe Libanon).
    Das werden wir in Zukunft sicher noch besser verstehen lernen,
    – wird doch auch hier von bestimmten politischen Richtungen verstärkt in Richtung „Identität“ und „Quote“ argumentiert 🙁

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  3. Ein ausgezeichneter Kommentar von Jürgen Mette. Viel besser kann man die Gründe des Westen-Versagens nicht formulieren.

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  4. Lieber Herr Mette,
    Sie haben ganz Recht: nur mit der historisch-kritischen, wissenschaftlichen Sichtweise auf den Koran wird Entfundamentalisierung möglich sein. Das sehe ich ganz konkret auch bei den nichtfundamentalistischen Muslimen in meinem Umfeld.

    Traurig ist, dass man in unserer Zeit hier in Europa und Amerika beobachten kann, wie nicht wissenschaftlich aufgeklärtes Christentum, das gegen eine wissenschaftliche Betrachtung der biblischen Texte kämpft, ebenso undemokratisch und unmenschlich wird (siehe die steigende Zustimmung fundamentalistischer Christen zur extremen Rechten, zur AfD, zu Verschwörungsideen, die Ablehnung der Gleichstellung der Geschlechter und von Homosexuellen, die Ablehnung von klimafreundlichem Handeln etc.). Und demokratisch orientierten Christen wird auch hier von Fundamentalisten sogar noch ihr Christsein abgesprochen!

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    1. Dazu gibt auch heute einen beängstigenden Bericht der Tagesschau zu Waldemar Herdt (MdB, von der AfD) und rechter fundamentalistischer Netzwerker und deren widerliche Umtriebe….

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      1. ich finde die Wahl Ihrer Adjektive interessant. Aber den Zusammenhang mit dem Artikel verstehe ich nicht.

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    2. @ Kaja,
      Sie behaupten hier „wie nicht wissenschaftlich aufgeklärtes Christentum, das gegen eine wissenschaftliche Betrachtung der biblischen Texte kämpft, ebenso undemokratisch und unmenschlich wird.“
      Wie wer?
      Sie meinen wohl, wie Mette schreibt, „den islamistischen Terrorismus…, der im Namens Allahs Angst und Schrecken verbreitet.“

      Aha. Tatsächlich?

      Ich jedenfalls kenne keine „fundamentalistischen“ Christen, die sich als Terrororganisation betätigen.
      Sie vielleicht?

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      1. @A.A.
        Sie haben mich falsch verstanden bzw einen gedanklichen Konnex hergestellt, der so in meinem Beitrag nicht vorkommt. Mir ging es um die undemokratische und unmenschliche Haltung, die diesen beiden fundamentalistischen Ausprägungen von Religion innewohnt. Ich habe nirgends von christlich-fundamentalist. Terrororganisationen geschrieben.
        Dass aber auch fundamentalist. Christen sich immer stärker im und mit dem rechtsextremen Milieu vernetzen und ideologisch mit Demokratiefeinden eng verbunden sind, die auch vor Gewalt und dem Einsatz von Waffen nicht zurückschrecken, konnten wir zu Genüge in der Amtszeit Trumps mit dem Sturm auf das Kapitol als erschütterndem Höhepunkt mitverfolgen. Hierzulande läuft das subtiler ab, ist aber nicht minder gefährlich.

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    3. Danke für den Kommentar von Hr. Mette und diese Ergänzung von „Kaja“. Sehe ich auch so.

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  5. Hallo Kaja,
    Sie ziehen nach wie vor Vergleiche, die einfach nur absurd sind. Sie vermischen den Sturm aufs Kapitol mit der AfD, mit Verschwörungstheorien, mit „dem Einsatz von Waffen“, „hierzulande subtiler“, „unmenschliche Haltung“, „klimaunfreundliche Haltung“, usw.

    Wichtig ist Ihnen offensichtlich zu vermitteln, dass „fundamentalistische“ Christen „nicht minder gefährlich“ sind als der von Herrn Mette benannte islamische Terrorismus, – mehr noch dass die „fundamentalistischen“ Christen für all das Böse stehen das Sie da vermuten, vermengen, zusammenwerfen, durcheinanderbringen …

    Die von Ihnen unterstellten Zusammenhänge widersprechen so sehr jeder Faktenlage, dass Sie sich fragen sollten, welcher Verschwörungstheorie Sie selbst anheim gefallen sind?

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    1. Liebe/r A.A.
      Leider sind meine Vergleiche nicht so absurd, wie ich in den vergangenen Jahren im eigenen Umfeld feststellen konnte, in dem ich einen christlich-religiösen Radikalisierungsprozess miterleben musste. Und wie ich in einigen Hintergrundrecherchen bspw über die Vernetzung der AfD mit fundamentalistischen Christen lesen konnte. Oder bei näherer Betrachtung der PEGIDA-Bewegung.
      Ich bringe nichts durcheinander und ich gehöre auch keiner Verschwörungstheorie an.
      Was ich erlebt, gesehen und gehört habe, habe ich erlebt, gesehen und gehört, da kann ich leider nichts daran ändern, auch wenn ich es gerne anders hätte.
      Ja, ich halte jede Form von religiösem Fundamentalismus für gleich schlimm, weil er aus der gleichen undemokratischen und unmenschlichen Wurzel entspringt. Bis dato hatten wir in Deutschland vielleicht einfach nur Glück, weil der Zugang zu Waffen hier erschwert ist und christlichen Fundamentalisten noch nicht ausreichend Geld- und Machtressourcen zur Verfügung stehen. Aber der Hass nimmt stetig zu und das bereitet mir große Sorge.

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    2. Liebe/r A.A.
      ich möchte noch etwas ergänzen, für den Fall, dass Sie in einem anderen Gespräch versucht sind, Ihrem/r Gesprächspartner/in den Glauben an eine Verschwörungstheorie zu unterstellen:
      Man kann eine Verschwörungstheorie an folgenden Faktoren gut erkennen:
      – Es ist eine Theorie. Die vermuteten Verbindungen sind nicht faktisch erwiesen. (was in meinem Falle nicht zutrifft, denn jedermann kann sich über die personellen und ideologischen Verbindungen zwischen fundamentalistischen Christen und Parteien wie der AfD oder anderen neurechten Kreisen informieren, die faktisch erwiesen sind; und auch über das, was in Amerika unter D. Trump passiert ist, kann man sich überall faktisch gut informieren)
      – Jemand, der an eine Verschwörungstheorie glaubt, meint, über Geheimwissen zu verfügen und denkt daher, er sei in irgendeiner Form „erleuchtet“ über die „wahren Zustände“ (auch das trifft auch mich nicht zu, denn ich orientiere mich an dem Wissen, was ganz einfach öffentlich zugänglich ist und für jedermann einsehbar und auch nichts Besonderes ist)
      – Verschwörungsgläubige machen Andeutungen, dass hinter der aktuellen Situation oder einem anderen geschichtlichen Ereignis ein größerer, boshafter Plan steckt, der von einer mächtigen Person(engruppe) ausgearbeitet wurde – haben dafür aber keine faktischen Beweise (auch das trifft auf mich nicht zu). Die Devise lautet: „Nichts ist, wie es scheint“ (auch das behaupte ich nicht)

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      1. Lieber Jürgen Mette,
        wie immer lesenswert diese Kolumne. Aber ist das Problem wirklich der nicht aufgeklärte Islam, oder fundamentalistische Strömungen in anderen Relgionen? Haben nicht „aufgeklärte“ Ideologen das gleiche Problem, wenn sich in ihrer „Peergroup“ eine radikale Sicht des „Wir gegen die da draußen“ durchsetzt. Letztlich zeigt die Geschichte doch immer wieder, dass sich jede gute Basis zu einer furchtbaren Bedrohung für Andersdenkende entwickeln kann.

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  6. Wer im Koran nach Suren sucht, die Gewalt rechtfertigen, wird rasch fündig. So heißt es in Koran 9:5: „Sind die heiligen Monate abgelaufen, dann tötet die Beigeseller \[Götzendiener\], wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie, und lauert ihnen auf aus jedem Hinterhalt.“ (kann man leicht googeln) Was sagt Jesus? Jesus sagt liebt eure Feinde.

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    1. @Gast
      Und genau dieser unkritischen und unhistorischen Koranlektüre, die Sie hier vornehmen und die sich Fundamentalisten zu Eigen gemacht haben, kann mit einer wissenschaftlich fundierten Theologie Einhalt geboten werden.
      Sie gehen hier mit dem Koran genauso um wie jemand, der Geschichten aus dem Alten Testament ohne jeglichen historischen Kontext zitiert (und davon gibt es einige), in denen JHWH dem Volk Israel befiehlt, ein ganzes Volk oder Teile eines Volkes (oder sogar Israeliten, die gegen seinen Willen gehandelt hatten) zu töten; oder die Gebote/Gesetze, in denen für jemanden die Todesstrafe vorgesehen ist – und der dann daraus ableitet, das Judentum und das Christentum seien an sich schon gewaltbereite Religionen und ihr Gott ein Gott, der blutige Gewalt und das Ausrotten Andersgläubiger/Falschgläubiger fordert.

      Übrigens: Wahrscheinlich wussten Sie noch nicht, dass „Islam“ „Frieden“ bedeutet. Zudem finden sich im Koran ebenso zahlreiche Verse, die darstellen, dass Allah ein Gott ist, der Frieden möchte, auch zwischen den Religionen (zB. Sure 5: 48, 22:40 oder 49:13).

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