Es war eine düstere Mission, mit der die thebäische Legion beauftragt war: Maximianus, Mitregent des römischen Kaisers Diokletian, hatte den im gallischen Agaunum stationierten Soldaten befohlen, einen Aufstand der christlichen Untergrundkirche am Genfer See niederzuschlagen. Die Christen wollten dem Kaiser kein Opfer darbringen. Ohnehin war der Glaube an Christus als oberste Instanz den römischen Herrschern ein Dorn im Auge. Mit dem selbstherrlichen Selbstverständnis des Kaisertums, für das Religion und Staat untrennbar waren, war er nicht vereinbar.
Doch selbst die schweren Verfolgungen konnten den neuen Glauben nicht ausbremsen, der auch die Soldaten der thebäischen Legion erfasste. Ihr Anführer, der aus Oberägypten stammende Offizier Mauritius, bekannte sich samt seiner Truppe zum Christentum. Er weigerte sich, die aufständischen Glaubensgeschwister zu töten – und fällte damit sein eigenes Todesurteil: Kaiser Maximianus ließ ihn und die gesamte Legion von mehr als 3.000 Mann hinrichten.
Was sich der Legende nach um 300 im Gebiet des schweizerischen St. Maurice ereignet haben soll, war der Auslöser für eine außergewöhnliche Heiligenverehrung. Etliche Kirchen wurden nach dem Märtyrer Mauritius benannt, der lieber sein Leben opferte, als das anderer Christen zu beenden. Bis heute gibt es allein in Deutschland 138 Moritzkirchen.
Doch Mauritius, Namenspatron aller Moritze, sind auch Straßennamen und Darstellungen gewidmet, die seit einiger Zeit zu heftigen Rassismus-Debatten führen. „Mohrenstraßen“ gehören ebenso dazu wie „Mohrenköpfe“ in Stadtwappen. Denn mit dem nordafrikanischen Märtyrer wurde seit dem Mittelalter die Verehrung eines Heiligen etabliert, bei dem die Kirche davon ausging, dass er dunkelhäutig, ein „Maure“ war – zu deutsch: ein „Mohr“.
Streit um das Stadtwappen
So ziert er als Schutzpatron von Coburg in Gestalt des „Coburger Mohren“ Hausfassaden und Gullydeckel der bayerischen Stadt. Zwei Berliner Studentinnen riefen im vergangenen Jahr in einer Onlinepetition dazu auf, das Stadtwappen zu ändern. Es stelle „ein verletzendes, rassistisches, kolonialistisches Stereotyp eines Schwarzen Menschen dar“. Zudem gehe „Mohr“ nicht nur auf das lateinische „maurus“ für „schwarz“ und „afrikanisch“ zurück, sondern auch auf das griechische „moros“, was so viel wie „töricht“ bedeute.
Eine Gegenpetition kämpft für den Erhalt des Wappens, das für Weltoffenheit stehe. Für die Nationalsozialisten, so die Verfechter des alten Wappens, passte der „Coburger Mohr“ gerade deshalb nicht in das Bild einer deutschen Stadt. Sie ließen den Mauritius entfernen, der erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch Beschluss der Stadtverwaltung zurückkehrte.
Abgeschlossen ist die Diskussion um den „Coburger Mohren“ noch nicht. Der bayerische Landtag forderte Ende 2020 die Stadt auf, weiter offen zu debattieren. Derzeit sind die Unterstützer des alten Wappens in der Mehrheit. Doch sollten sich irgendwann die Befürworter einer Änderung durchsetzen und der „Coburger Mohr“ aus dem Stadtbild verschwinden, würde mit ihm nicht nur etwas von der Erinnerung an eine besondere Figur verlorengehen, sondern auch ein Stück überraschender Gedenkkultur. Denn Mauritius zeigt, dass es neben all den unfassbaren Auswüchsen von Rassismus in der deutschen Geschichte auch das gab: die Verehrung eines Schwarzen, der durchweg mit positiven Eigenschaften verbunden wird, mit Heldenmut und Standhaftigkeit, mit Glaubensstärke, Mitleid und Opferbereitschaft.
Nirgendwo aber lässt sich die Bedeutung des schwarzen Heiligen eindringlicher nachvollziehen als im Magdeburger Dom. An etlichen Stellen erinnern in der ältesten deutschen gotischen Kathedrale Abbildungen an ihn. Eine aber übertrifft alle: Die um 1240 entstandene Sandsteinskulptur im Chorraum. Sie gilt nicht nur als die erste Abbildung eines dunkelhäutigen Heiligen und als eine der frühesten Darstellungen eines Schwarzafrikaners überhaupt, sondern auch als eine der eindrucksvollsten Figuren des deutschen Mittelalters. Sie ist nur noch in Fragmenten erhalten. Doch der Lebendigkeit der angedeuteten Bewegungen, der Gesichtszüge, in denen sich Angst ebenso zu spiegeln scheint wie Entschlossenheit, kann man sich nur schwerlich entziehen.
Dabei muss die Wirkung nach seiner Entstehung um ein Vielfaches stärker gewesen sein. Bei einer Untersuchung vor ein paar Jahren entdeckten die Konservatoren Farbspuren und andere Details, die es ermöglichten, mit Hilfe eines 3-D-Druckers eine Replik der ursprünglichen lebensgroßen Figur herzustellen. Seit 2019 steht sie im Dommuseum und gibt eine Ahnung von der „magischen Wirkungskraft“, die die Skulptur ursprünglich gehabt haben muss, wie die Kunsthistorikerin Gude Suckale-Redlefsen in einer Abhandlung hervorhebt: Ein schwarzer Ritter, Schwert und Lanze haltend, mit tiefblauen Augen in die Ferne schauend, dabei gehüllt in ein strahlend goldenes Kettenhemd, das das Dunkel des Gesichtes hervorhebt und ihm eine „nimbus-ähnliche Umrahmung“ verleiht.
Verehrt von Volk und Kaiser
Dass Mauritius in Magdeburg eine derart große Bedeutung einnahm, hat seinen Ursprung in der Verehrung durch die Herrscherdynastie der Ottonen, die ihn zum Reichspatron erhoben. Eine wichtige Rolle spielte die Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg 955, aus der Otto der Große als Sieger gegen ungarische Invasoren hervorging. Otto glaubte, dass der Sieg dem Beistand des Heiligen Mauritius zu verdanken war, dessen vermeintliche Heilige Lanze die Armee mitgeführt hatte. Kaum verwunderlich, dass Otto, der bald seine Position in Europa festigen konnte und 962 vom Papst zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurde, eine besondere Beziehung zu dem schwarzen Märtyrer hatte.
Als Otto 968 Magdeburg zu einem religiösen Zentrum machte, stellte er es unter das Patronat des Mauritius. Otto, verheiratet mit Adelheid, der Tochter des Königs von Burgund, erhielt von seinem Schwiegervater für den neuen Dom 960 angebliche Reliquien des Mauritius, die Magdeburg zu dessen bedeutendstem Heiligtum auf deutschem Boden machten – und die Volksfrömmigkeit beförderten. Zeitgenössische Berichte belegen, dass es am Tag des Mauritius, dem 22. September, zu Massenaufläufen kam, wenn vom Dom aus die Reliquienschätze präsentiert wurden, von denen man sich eine segensreiche Wirkung versprach.
Als Schwarzer wurde Mauritius nachweislich erstmals in der um 1160 verfassten Kaiserchronik beschrieben, als Anführer einer Truppe von „schwarzen Mohren“. Den Magdeburgern wurde er in Gestalt der Skulptur zum ersten Mal mit dunkler Hautfarbe vorgestellt. Dass das der Verehrung Abbruch getan hätte, ist nicht bekannt. Die Kunsthistorikerin und Leiterin der Magdeburger Museen, Gabriele Köster, vermutet, dass der Anblick eines Schwarzen in Magdeburg nicht etwas generell Ungewöhnliches war. Als die Figur entstand, habe es am Hof Friedrichs II. in Sizilien einen multikulturellen Hotspot gegeben. Und bei dem Hoftag, den der Kaiser 1235 in Mainz abhielt, und an dem vermutlich auch Gesandte aus Magdeburg teilnahmen, soll er von einem faszinierenden Hofstaat mit schwarzen Musikern und Soldaten in Rüstung umgeben gewesen sein: Von Menschen, die offenbar nicht als minderwertig wahrgenommen wurden.
Von: Claudia Becker
Dieser Text erschien in der Ausgabe 3/2021 des Christlichen Medienmagazins PRO. Das Heft können Sie kostenlos online bestellen oder telefonisch unter 0 64 41 / 5 66 77 00.
2 Antworten
Ein sehr informativer Bericht. Und Mauritius ist es wert, sich voller Achtung an seine Selbstlosigkeit zu erinnern.
Um so trauriger, wenn er, bzw. sein Bildnis, aufgrund von Unterstellungen und fehlendem Wissen verdächtigt wird und seine Abbildungen getilgt werden sollen.
Für die Nationalsozialisten passte der „Coburger Mohr“ nicht in das Bild der Stadt. Für einige „woke“ heutige Studenten aber auch nicht.
Wir sollten zusehen, dass wir nicht aus vermeintlich zeitgemäß-toleranten Motiven das Werk der Nazis heute fortsetzen.
Das betrifft nicht nur das Bild von Mauritius, oder die an ihn erinnernde „Mohrenstraße“.
Das geht bis hin zur Infragestellung des Lebensrecht von Ungeborenen. Da wollen Zeitgemäß-Liberale per EU-Beschluss Abtreibung zum „Menschenrecht“ erklären (Matic-Report).
Und behinderte Kinder dürfen praktisch bis zum Eintritt der Geburt noch getötet werden (Spätabtreibungen).
Das geht bis zur Rechtfertigung des „ärztlich assistierten Selbstmords“, der als „Freiheitsrecht“ bezeichnet wird und mit „Menschenwürde“ begründet wird. Mit Argumenten, die die Nazis zur Rechtfertigung der Euthanasie verwendet haben: „Was ist ein Leben unter Leid und Schmerzen denn noch wert?“
Vielen gehen die Maßstäbe verloren.
Und eine aktuelle Studie sieht rechtsextreme Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft angekommen: 7,3 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: „Es gibt wertvolles und unwertes Leben.“
https://www.pro-medienmagazin.de/rechtsextreme-tendenzen-reichen-bis-in-die-mitte-der-gesellschaft/
Nebenbei bemerkt: Mit einem Entfernen dieses Zeugnisses aus alter Zeit würde auch ein Zeugnis vom lebendigen Glauben verschwinden. Könnte das die „hidden agenda“ derer sein, die meinen, hier müsste der „Mohr“ verschwinden?