Klein. Aber bunt.

In ihrem ersten EM-Gruppenspiel trifft die deutsche Nationalmannschaft auf Frankreich. Erwartet wird ein spannendes Duell. Doch was wissen wir eigentlich über die Christen in unserem Nachbarland? Ein Praktikum in einer christlichen Buchhandlung in Paris lieferte spannende Einblicke.
Von Valerie Wolf
Valerie Wolf, Christliche Buchhandlung, Paris CLC

Es ist Montagvormittag, etwa Viertel vor zehn. Ich stehe vor einem Buchladen in einer kleinen Gasse im Zentrum von Paris. Das Rollgitter ist noch heruntergelassen, aber im Inneren sehe ich bereits Licht. Es ist mein erster Praktikumstag bei der CLC Paris, einer christlichen Buchhandlung. Eine Frau mit buntem Kopftuch begrüßt mich freundlich. Offensichtlich hält sie mich für eine Kundin. Ich erkläre ihr, dass ich die neue Praktikantin sei. Sie zeigt mir das von ihr betreute Regal „Vie chrétienne“ (Christliches Leben) und erklärt mir, wie es geordnet ist. Wir kommen ins Gespräch. Ich erzähle, dass mein Vater Französischlehrer ist und ich durch einen Bekannten zu diesem Praktikum gekommen bin. Eine halbe Stunde später trifft „la responsable“, die Verantwortliche für diesen Laden, ein. Nach einer kurzen Einweisung  darf ich Pakete mit neu angekommener Ware auspacken. 

Die CLC Paris ist eine von 14 Filialen der christlichen Buchladenkette CLC in Frankreich. Zwölf der Läden befinden sich im französischen Mutterland („France métropolitaine“), zwei in den französischen Überseegebieten, auf den Inseln Martinique und Guadeloupe. Die CLC ist aber nicht nur in Frankreich aktiv, sondern weltweit. In insgesamt 53 Ländern betreibt die Organisation Buchläden, darunter auch in muslimisch geprägten Ländern wie Burkina Faso oder Sierra Leone. CLC steht für „Christian Literature Crusade“, auf Deutsch „Christliche Literaturkampagne“. Das Angebot der CLC ist in etwa mit dem der Alpha-Buchhandlung in Deutschland vergleichbar. Neben vielen Bibeln und Büchern gibt es Filme, CDs und vielfältige Geschenkartikel zu kaufen.

Vor allem evangelische Kunden 

Während meines zehnwöchigen Praktikums konnte ich einige neue Einblicke in das christlich-religiöse Leben in Frankreich gewinnen. Interessant zu beobachten war beispielsweise, dass Martin Luther und auch seine Bibelübersetzung nahezu keine Rolle spielen. Die in Frankreich bekanntesten Übersetzungen sind die von Louis Segond, einem Schweizer Theologen. Mittlerweile gibt es zwei Versionen, „Louis Segond 1910“ und „Segond 21“. Letztere ist 2007 erschienen und ist in einfacher Sprache gehalten.

Daneben gibt es noch viele weitere, darunter Bibeln in „français courant“, das heißt sehr einfachem und leicht zu verstehendem Französisch, oder die Version „Semeur“, die sich ebenfalls einer leicht zu verstehenden Sprache bedient und somit gut für „Einsteiger“ geeignet ist. Preislich gesehen gibt es ebenfalls eine große Auswahl. Die billigste Bibel kostet 1,90 Euro, die teuerste 130 Euro. 

Die große Mehrheit der Kunden ist protestantisch, nur äußerst selten wird nach katholischen Autoren oder Werken gefragt. Auffällig ist außerdem, dass etwa 90 Prozent der Menschen, die bei uns einkaufen, dunkler Hautfarbe sind. Das lässt darauf schließen, dass sie entweder afrikanische Wurzeln haben oder aus den französischen Überseegebieten in der Karibik kommen. Auch mehrere Mitarbeiter der Buchhandlung haben dort ihre Wurzeln. Gerade auf den Antillen gibt es viele Evangelikale.  

Suche nach Orientierung

Bedingt durch die koloniale Vergangenheit kommen bis heute viele, vor allem junge Menschen, aus Afrika nach Frankreich. Christliche Mehrheiten gibt es beispielsweise in Ländern wie Kamerun oder der Republik Kongo. In Frankreich selbst ist die Mehrheit der Bevölkerung, sofern christlich, katholisch. Nur knapp zwei Prozent – 1,1 Millionen Menschen – sind protestantisch. Dies hängt wiederum stark mit der Geschichte des Landes zusammen. Zum Vergleich: In Deutschland leben etwa 21,3 Millionen Protestanten. 

Insgesamt spielen weder katholische noch evangelische Kirche eine besonders große Rolle in der französischen Gesellschaft. Die Nachfrage nach christlichen Inhalten ist – wie ich in der Buchhandlung mitbekommen habe – dennoch hoch. Gerade junge Menschen suchen nach Orientierung. Das zeigt sich unter anderem daran, dass vor allem Ratgeber in Sachen christlicher Alltag, Beziehung und Familie sehr beliebt sind. Ein echter Verkaufsschlager ist beispielsweise das Buch „Fünf Sprachen der Liebe“ von Gary Chapman. Außerdem gern gelesen sind englischsprachige Autoren wie John Bevere, Derek Prince und Kenneth E. Hagin.

Die beliebteste weibliche Autorin ist die auch in Deutschland bekannte Predigerin Joyce Meyer. Französische Autoren sucht man vergeblich. Beeindruckend ist auch, wie viel Geld die Kunden, egal welchen Alters, für Bibeln und andere Bücher ausgeben. Gezahlt wird notfalls mit vereinten Kräften – mit Bargeld und Karte. Teilweise kaufen sogar Einzelpersonen für mehr als hundert Euro ein. Es zeigt sich, dass – trotz Minderheitenstellung – diejenigen, die es in Frankreich mit dem (evangelischen) Glauben ernst meinen, bereit sind, sich diesen einiges kosten zu lassen.

Protestanten oder Hugenotten, wie französische Protestanten auch genannt wurden, hatten von Anfang an einen schweren Stand. Als ab 1520 Luthers Schriften und Ideen nach Frankreich gelangen, werden sie von der Universität Sorbonne als „ketzerisch“ verdammt und verboten. Dennoch kommen auch die Werke weiterer Reformatoren wie Martin Bucer oder Ulrich Zwingli in Umlauf. Gleichzeitig beginnt die Verfolgung durch die königliche – und katholisch geprägte – Justiz. Ein erster Tiefpunkt ist die Hinrichtung der „Vierzehn Märtyrer aus Meaux“ im Jahr 1546. Dort war 1523 die erste protestantische Gemeinde Frankreichs entstanden.Nach sieben Religionskriegen und Pogromen wie der „Bartholomäusnacht“ mit tausenden Toten ermöglicht das „Edikt von Nantes“ im April 1598 eine friedliche Koexistenz von Katholiken und Protestanten. Hundert Jahre später schränkt das „Edikt von Fontainebleau“ die Religionsfreiheit der Protestanten wieder massiv ein, was sowohl eine große Flucht- als auch eine Konversionswelle zur Folge hat.  Die strikte Trennung von Staat und Kirche, die „laïcité“, wird 1905 in einem Gesetz beschlossen. Der Gedanke stammt aus Zeiten der Französischen Revolution. Ziel war es, die Macht der katholischen Kirche einzuschränken. Die Protestanten von damals begrüßen diesen Schritt. Dennoch bleiben sie in der Minderheit.

Dieser Text erscheint in der Ausgabe 3/2021 des Christlichen Medienmagazins PRO. Sie können das Heft kostenlos online bestellen oder telefonisch unter 06441/56677-00.

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Eine Antwort

  1. Das EM-Spiel ging für Deutschland zwar verloren, allerdings freue ich mich über diesen Erfahrungsartikel zur Arbeit in christlichen Kreisen in Frankreich. Besonders spannend ist ja, dass auch in Frankreich das Buch über die Fünf Sprachen der Liebe ein Verkaufsschlager ist. Ein lobenswerter Artikel.
    Mit freundlichen Grüßen

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