Die Corona-Pandemie hat viele Abläufe in Politik und Gesellschaft digitalisiert. Über die möglichen Konsequenzen hat die SPD-Bundestagsfraktion in Kooperation mit dem Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD (AKC) bei ihrer diesjährigen Tagung diskutiert: „Die Digitalisierung hat uns neue Chancen ermöglicht“, sagte Anna-Nicole Heinrich, neue Präses der EKD-Synode, mit Blick auf die Kirche.
„Wir sind an manchen Punkten gescheitert, haben aber auch viel Gutes getan. Wir konnten keine analogen Gottesdienste mehr feiern, aber wir haben trotzdem neue Ideen umgesetzt“, betonte Heinrich. Im seelsorgerischen Kontext sei viel passiert, was „nicht im Internet gestreamt“ wurde. Mit den neuen Formaten habe man Menschen erreicht und eingebunden, deren Kompetenzen bis dahin nicht im Gemeindeleben benötigt wurden.
Vielfalt leben und Einheit üben
Heinrich wünschte sich von der Kirche, genau hinzusehen, wo sie gebraucht werde. Kirche habe die Kernkompetenz, nah bei den Menschen zu sein. Nicht nur in Pflege-, sondern auch in in Studentenheimen habe es einsame Menschen gegeben: „Hier können wir Trost und Halt geben.“ Christen könnten als Vorbilder Vielfalt in Einheit vorleben. Statt in Debatten Mauern zu errichten, sollten Christen das Beste für die Gesellschaft herausholen. Die Pandemie habe auch dabei geholfen, Brücken über gesellschaftliche Schichten hinweg zu bauen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci blickte auf die politische Ebene. Auch hier habe Corona für einen digitalen Schub gesorgt und Distanzen leichter überwunden. Natürlich sehne er sich nach der Normalität vor Corona: „Wir müssen die Gesellschaft so gestalten, dass viele Menschen füreinander einstehen können. Es stärkt die Gesellschaft, wenn wir Krisen gemeinsam überstehen.“ Moderiert hat die Diskussion die Bundestagsabgeordnete und ACK-Sprecherin Kerstin Griese.
In einer zweiten Diskussionsrunde ging es um die Situation in der Pflege. Beim Thema „Klatschen und das war‘s?! Entscheidungsnot in der Politik“ gab Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein kurzes Impulsreferat. Das Thema Pflege sei schon vor Corona ein wichtiges gewesen. „Wenn der Applaus an die Pflegekräfte ohne Nachhall bleibt, wird es zynisch!“
„Arbeit darf nicht krank machen“
In der Krise sei es darum gegangen, Prioritäten zu setzen. Heil betonte, dass Arbeit nicht krank machen dürfe, weder an Körper und Seele. In der jüngeren Vergangenheit sei es gelungen, den Mindestlohn zu erkämpfen: „Eigentlich war der Plan ein flächendeckender Tarifvertrag.“ Im „Brennglas Corona“ habe man gesehen, was gut funktioniert habe und wo es eklatante Lücken gebe. „Nach der Krise werden wir entweder einen erneuerten oder heruntergefahrenen Sozialstaat erleben.“
Die Pflegefachkraft Sonja Wieland-Becker erzählte, wie ihr Berufsstand in der Pandemie psychisch und physisch an die Grenzen gestoßen sei: „Es wurden Ruhezeiten verkürzt und Personaluntergrenzen ausgesetzt.“ Sie hoffe nach der Krise auf eine bessere Ausstattung auf den Pflegestationen: „In der Krise gab es viel Solidarität, aber auch viel Egoismus.“
Gaby Hagmans, Direktorin der Caritas Frankfurt, beobachtete, dass sich in den letzten Monate eine Routine breitgemacht habe. Anfänglich sei es um die Beschaffung von Schutzmaterialien gegangen oder ob man Menschen alleine sterben lassen dürfe: „Das hat viel Kraft der Pflegekräfte erfordert.“ Hagmans lobte aber auch die Politik. In der Krise habe jeder Politiker sein Bestes gegeben, um tragfähige Lösungen finden.
Ethische Fragen für die Zukunft in den Blick nehmen
Der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci, Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften, betonte in seiner Begrüßung, dass auf Basis des christlichen Glaubens jeder Mensch Respekt verdiene. In einer Videobotschaft hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Rolf Mützenich, verdeutlicht, dass Respekt in der Pandemie ein Leitbegriff gewesen sei: „Manchmal war er inhaltsleer, für bestimmte Bereiche hatte er Folgen. Für die Zukunft müssen ethische Fragestellungen eine Rolle spielen.“
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Sprecher des AKC, macht in seinem Schlusswort deutlich, dass die Menschen in der Pandemie neu mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert wurden. Der Staat habe sich bei allen Fehlern in der Pandemie bewährt. Jetzt gehe es darum, die Konsequenzen aus den Erfahrungen zu ziehen und nicht alle Entwicklungen dem Markt zu überlassen: „Die Politik der SPD muss auf das Wir zielen. In den großen Zukunftsdebatten sollten alte Fragen neu geschärft diskutiert werden“, bilanzierte Thierse.