Meinung

Bild: Die Zeitung der Spalter

Die beiden Journalisten Mats Schönauer und Moritz Tschermak beobachten und analysieren seit Jahren die Arbeit der Bild-Zeitung. Sie kommen in ihrem neuen Buch „Ohne Rücksicht auf Verluste“ zu einem harten, aber eindeutigen Urteil über das Boulevard-Blatt: Die Zeitung spaltet die Gesellschaft.
Von Johannes Blöcher-Weil
Buch zur Bild Zeitung

Die beiden Journalisten Mats Schönauer und Moritz Tschermak ziehen ein ernüchterndes Fazit: Die Methoden der Bild-Zeitung sind unter dem neuen Chef Julian Reichelt noch brutaler und menschen-verachtender geworden als vorher. Dafür bringen sie in ihrem neuen Buch „Ohne Rücksicht auf Verluste“ zahlreiche Beispiele, die sie akribisch belegen. Das Buch ist nicht nur spannend, sondern aufklärend.

Die Autoren zeigen sehr detailliert auf, wie die Bild-Zeitung bewusst Grenzen überschreitet und die Intimsphäre von Menschen verletzt. Mit einem Lob brauchen die Macher des Blattes nicht zu rechnen. Vielmehr sollten sie sich fragen, ob die Leser wirklich jeden Artikel brauchten, um sich vernünftig eine Meinung über Themen zu bilden. Für das Buch haben die Autoren Tausende von Bild-Geschichten nachrecherchiert, um zu verstehen, wie die Zeitung mit ihrer Arbeit manipuliert.

Schwarz und Weiß, Freund und Feind

Die Redakteure der Zeitung schafften es mit ihren Artikeln, Angst zu schüren und Fronten zu verhärten, um ihre Geschichten zu verkaufen. Auch das politische Weltbild des Verlages sei von einem starken Schwarz-Weiß-Denken geprägt. Wenn die Blattmacher bei ihrer Arbeit bewusst Falschinformation in die Welt setzten, bleibe das unerwähnt: „Die Redakteure können ‚das Fälschen nicht lassen‘.“

Ins Fadenkreuz stellen sie natürlich auch Chefredakteur Julian Reichelt. An der Berichterstattung über bestimmte Politiker könne der Leser klar feststellen, wer ein Freund des Hauses sei und darum auch so behandelt werde. Im Gegensatz dazu hätten es Kritiker des Blattes schwer und würden massiv attackiert. Ihr Wohl und Wehe hänge von Reichelt ab.

Es fällt den Autoren sichtlich leicht, die 330 Seiten des Buches zu füllen. Dafür gibt es einfach zu viele Ungereimtheiten und Dreistigkeiten in der Berichterstattung. Zu Wort kommen auch viele Redakteure, die die Bild-Zeitung wegen ihrer moralisch fragwürdigen Methoden verlassen hätten. Die Autoren zeigen aber auch, warum gerade die Bild-Zeitung so erfolgreich ist.

Die eigenen Leser anstacheln

Vor allem die Leser-Blatt-Bindung gelinge hervorragend, die Zeitung geriere sich als Anwalt der Bürger. Dazu trügen auch die Sozialen Medien bei. Hier profitiere die Zeitung von der Wut ihrer Leser. Verbreitete Halbwahrheiten der Zeitung stachelten die eigene Leserschaft an. Julian Reichelt habe dem Blatt noch einmal einen konservativeren Anstrich gegeben.

Bei den Methoden scheint den Blattmachern alles recht zu sein: irreführende Statistiken, frei erfundene Geschichten und ethisch fragwürdige Methoden. Der Chefredakteur sieht seine Zeitung als „Ventil“, das die Fragen und Ängste der Menschen aufgreife. Dass mit vielen antimuslimischen Aussagen und Artikeln auch extremen Parteien der Weg bereitet werde, nehme die Zeitung hin. Keine andere Zeitung habe eine vergleichbare Macht, Protagonisten quer durch alle Ressorts zu verdammen oder in den Himmel zu loben.

Frauen würden häufig zunächst einmal mit sexuellen Anspielungen belegt und nicht nur Sportlerinnen als „Aufgeilthema“ missbraucht. Im Fokus stünden aber auch die Ärmsten der Armen. Die Bild-Zeitung stelle sie häufig als schlitzohrig und betrügerisch dar. Hier habe selbst der frühere Chefredakteur Kai Diekmann eingestanden, dass er in manchen Fällen moralisch zu weit gegangen sei. Trotzdem helfe die Meinungsmache, Klicks zu generieren und andere zu stigmatisieren. Deswegen rücke die Bild-Zeitung nicht von der Methode ab.

Massiv moralische Grenzen überschritten

Wer sich gegen das „System Bild-Zeitung“ wehrt, müsse mit Konsequenzen in der Berichterstattung über sich fürchten: sei es ein Bundesliga-Trainer oder ein Politiker. Wenn die Zeitung Menschen bloßstellen und runtermachen könne, schrecke sie vor nichts zurück. Wenn Sportler wie die Fußballer von Schalke 04 als „Schrott“ tituliert würden, sei nach Ansicht der Autoren eine Grenze überschritten.

Massive Versäumnisse und journalistische Lücken werfen die Autoren auch den Fernsehberichten bei „BildTV“ vor. Auch dieser Sender streue oft nur Gerüchte und nicht verifizierte Aussagen. Dem Leser kann es schauern, wenn er erfährt, wie vorurteilsbeladen spekuliert wird. Nicht weniger unangenehm sind die Methoden, Bildmaterial von Tätern, Opfern oder trauernden Angehörigen zu besorgen. Dann erwache der Jagdinstinkt und es zähle nicht mehr der Mensch, sondern die Schlagzeile. Ein Bild-Aussteiger berichtet in dem Buch davon, wie scheinheilig er sich Bilder erschlichen hat.

Für die Bild-Macher lasse die personalisierte Berichterstattung die „Dimension des Ereignisses“ erst greifbar werden. Anwälte, Angehörige oder Abgebildete könnten bitten, flehen, drohen und verklagen – die Opferfotos lasse sich Bild nicht nehmen. Dafür würden auch Facebook-Profile geplündert, Menschen für tot erklärt oder zum Mörder gemacht. Für all das, bringt die Autoren Belege. Die Zeitung stelle eine „eiskalte Kosten-Nutzen-Rechnung“ auf und den Geschädigten fehlten Mittel, Zeit und Kraft, um „gegen diesen Wahnsinn vorzugehen“.

Von eigenen Fehlern ablenken

Intern legten die Macher bei Kritik ganz andere Maßstäbe an. Egal, ob es sich um „frisierte“ Wikipedia-Einträge oder den Umgang mit dem eigenen Chefredakteur handelt. Ihm wird vorgeworfen, nicht mit allen seinen Mitarbeitern sauber umgegangen zu sein. Die Methode der Bild-Zeitung mit Kritik umzugehen sei es, zu löschen, zu verschweigen und zu verstecken.

Fehlerhafte Berichterstattung werde im nachhinein häufig so gedreht, dass die Korrektur wie eine neue Enthüllung aussehe: auch ein probates Mittel, um von eigenen Fehlern abzulenken. Eine weitere Masche der Zeitung sei es, auf Kritik oder Presseanfragen gar nicht zu reagieren. Dies erlebten auch die Autoren bei der Recherche zu ihrem Buch. Die Zeitung rühme sich sogar damit, das vom Presserat am meisten gerügte Medium zu sein.

Wer sich schon länger mit der Bild-Zeitung und ihren Machenschaften beschäftigt, für den ist das alles nicht neu. Dem unbedarften Leser öffnet es aber die Augen. Dabei sind die Autoren, alles haarklein belegt, sehr unbarmherzig. Positive Aspekte der Zeitung werden auch benannt, aber auch nur in dem Sinne, wie sie dem Vorteil der Zeitung dienen. Durch ihre Arbeit für Bildblog können die Autoren für ihre Analyse aus dem Vollen und ihren Erfahrungen schöpfen. Nach 330 Seiten weiß man genau, wie das Boulevardblatt tickt und ob man sich noch eine Ausgabe kaufen möchte oder nicht.

Vielleicht fragt der Leser sich gemeinsam mit den Autoren und dem Nachwort-Schreiber Kevin Kühnert nach dem Warum: dem Warum der Methoden, dem Warum der Manipulation und dem Warum, Artikel ohne stichhaltige Beweise zu veröffentlichen. Die Bild-Zeitung sei dem Größenwahn verfallen, Schicksal spielen zu können. Gerade unter Julian Reichelt sei die Zeitung so brachial, manipulativ und rücksichtslos wie lange nicht mehr.

Moritz Tschermak, Mats Schönauer: „Ohne Rücksicht auf Verluste. Wie Bild mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet.“ Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 18 Euro, ISBN 9783462053548

Moritz Tschermak gründete noch während des Journalistikstudiums zusammen mit Mats Schönauer das Regenbogenpresse-Watchblog „Topfvollgold“. Seit 2016 leitet er das Bildblog. Auch Schönauer studierte Journalistik und ist seit fast zehn Jahren Bild-Blogger, von 2013 bis 2016 war er Chefredakteur.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

5 Antworten

  1. So ein Buch könnte man auch über andere Zeitungen schreiben oder über die linken öffentlich-rechtlichen Medien, dort wird jeder Genderkram hochgejubelt, die Immigration nur positiv dargestellt, gegen Christen gehetzt, konservative Politiker „auseinandergenommen“, während man linke und ökopopulistische Politiker mit Samthandschuhen anfaßt. Wie war es noch mit dem Beitrag zu den Prostituierten in den Wohnmobilen? War es die Bild? Wer beschäftigt den Herrn Relotius? Die Bild? So kann man weitermachen. Auch Journalisten sind – wie wir alle – nur Menschen, und da ist keiner ohne Sünde, auch nicht einer. Auch ich nicht, der die Bildzeitung seit Jahrzehnten nicht mehr liest. Mir ist das zu reißerisch, zu wenig tiefgehend, zu sehr auf Effekthascherei ausgerichtet. Das liegt im Wesen dieses Blattes als Boulevardzeitung begründet. Da muß auf der oberen Seite des Titelblattes ein Blickfang sein, sei es eine Zeile, die einen Skandal vermuten läßt oder eben „nackte Tatsachen“, weil dies die einzige Chance ist, einen potentiellen Leser beim Bäcker, beim Tanken oder am Kiosk zu Kauf zu verführen, das muß Tag für Tag gelingen, so ein Blatt abonniert man eher nicht.

    1
    1
  2. Ich bin wahrlich kein Freund der Bildzeitung. Eines möchte ich jedoch zu bedenken geben: Es ist eine wirklich immer wiederkehrende Nachricht, dass Linke den Konservativen Spaltung der Gesellschaft usw. vorwerfen. Das möchte ich auch in Teilen gar nicht abstreiten.

    Trotzdem werde ich bei aller Berichterstattung, geht es nun um Corona, Israel, Familie, Rassismus und vielem mehr, den Eindruck nicht los, dass es die Linken sind, die einen noch größeren Beitrag zur Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Der Bildzeitung wirft man schwarz-weiß Denken und Berichterstattung vor. Ist es nun zum lachen oder heulen, wenn ein solcher Vorwurf ausgerechnet von Linken kommt, die im Zuge der Identitätspolitik nur noch Freund oder *phob kennen? Sind denn wirklich die Woken als Hort der Differenzierung und des offenen, fairen Diskurses bekannt?

    Man muss schon in einer sehr abgeschotteten Blase leben, um in unserer heutigen Gesellschaft nur einer Seite Spaltung der Gesellschaft vorzuwerfen. Aber wenn man woke ist, kann das Gegenüber, das widerspricht, ja nur als nicht-woke angesehen werden, was folgerichtig bedeutet, es muss als Gesprächspartner ausscheiden, dessen Meinung verletztend, gefährlich, kolonial, phob usw. ist. Das ist dann natürlich nicht spalterisch, sondern mediale Verantwortung oder Zivilcourage.

    Liebe Grüße

    0
    0
  3. Man kann auch ein Buch darüber schreiben was im Öffenlichen Rundunk, bzw Fernsehen einseitig, oft negativ
    über Christen und Kirchen berichtet wird.

    0
    1
  4. Egal, welchen öffentlich rechtlichen Sender man hört und sieht, welche Zeitung man liest, überall die gleichen Aussagen, so wie es die Regierung hören will. Die Journalisten tun mir leid, die ihre wahre Meinung nicht äußern dürfen. Hier bedarf es noch viel Aufarbeitung, sonst wirkt alles unglaubwürdig. Nicht über andere Länder aufregen, wenn es hier auch nur mit Zensur geht oder du wirst ausgeschlossen.

    0
    1

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen