Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat ihren Betroffenenbeirat ausgesetzt, der an der Aufklärung von Missbrauchsfällen mitarbeiten sollte. Laut EKD sei das Konzept gescheitert und es werde nach anderen Möglichkeiten gesucht, Betroffene zu integrieren. Die Gymnasiallehrerin Katharina Kracht, eine der Betroffenen, sieht das anders. „Wir interpretieren es als den Versuch, uns aufzulösen. Und damit geht es mir schlecht. Es ist fürchterlich, dass die EKD die Sache trotz vieler Warnungen an die Wand gefahren hat“, sagte Kracht im Interview der Wochenzeitung Die Zeit. Zusammen mit Henning Stein, Pathologe im Uni-Klinikum Köln und Vater eines Missbrauchsopfers, schilderte die 47-Jährige der Zeitung ihre Sicht der Dinge.
Kracht wurde als Jugendliche über Jahre von einem Pfarrer missbraucht, der sie anschließend sogar zu einer Abtreibung überredete, als sie von ihm schwanger geworden war. Steins Sohn leidet an einer spastischen Behinderung. In einem Internat für Körperbehinderte wurde er missbraucht und vergewaltigt. Etwa 120 Übergriffe habe sein Sohn erleiden müssen.
Nicht alleine kämpfen
Der Vater glaubt auch Aussagen des Missbrauchsbeauftragten der EKD, Bischof Christoph Meyns, nicht, der behauptet habe, das Ausmaß des Missbrauchs sei nicht mit dem in der katholischen Kirche zu vergleichen. Der Ulmer Kinderpsychiater Jörg Fegert habe in einer Studie gezeigt, dass die Zahl der Betroffenen etwa gleich sei. „Die Kirche kann die Wahrheit schwer akzeptieren, dass sie ein Ort schwerster Menschenrechtsverletzungen war und ist. Wir als Betroffene verkörpern diese Wahrheit. Deshalb haben wir bei Kirchenhierarchen ein Akzeptanzproblem“, sagte er.
Kracht riet im Interview Betroffenen, sich nicht allein mit der Kirche auseinanderzusetzen. „Sobald man Kritik an der Art der Aufarbeitung übt, gilt man als Kirchenfeind. Die Kirche kommt einem gern über die Seelsorge. Ich lasse meine Seele aber nicht von der Täterorganisation versorgen“, sagte sie. „Ich möchte keine Gerechtigkeit nur für mich selbst. Was ist mit denen, die nicht für sich kämpfen können?“
„Aufklären kann nur der Staat“
Zum aktuellen Motto des Ökumenischen Kirchentages „Schaut hin“, sagte Stein: „Das ist typisches Evangelisch-Sprech. ‚Ich höre Sie‘ oder ‚Ich bin ganz auf Ihrer Seite‘. Das Opfer wird umgarnt, darf seine Geschichte erzählen, und dann passiert – nichts“, kritisierte er. Kracht kritisiert, dass die ehemalige Verantwortliche des Beauftragenrats, Bischöfin Kirsten Fehrs, kaum Fachkompetenz gehabt habe. Der Beaufragtenrat ist das Gegenüber von Seiten der EKD zum Betroffenenbeirat. „Man denkt als Pfarrer und Bischof, man wäre schon kompetent, weil man ja Seelsorger ist. Das reicht aber nicht.“ Es sei chaotisch zugegangen. Es habe kein Projektmanagement, keine Zielvereinbarung und keinen Moderator für den Betroffenbeirat gegeben. „Mittlerweile frage ich mich, ob das Absicht war“, sagte Kracht.
„Die Kirche will die Aufarbeitung kontrollieren. Aber kann VW seinen Dieselskandal selber aufklären? Nein. Aufklären kann nur der Staat“, sagte Stein. Er wünscht sich eine Wahrheitskommission nach australischem und irischem Vorbild, die kirchliche Akten einsehen und hochrangige Verantwortliche vorladen kann. Kracht wirft Fehrs vor, sie habe das Amt als Sprecherin des Beauftragtenrates abgegeben, weil ihr brisante Themen „nicht mehr dienlich“ seien.
Stein empfiehlt, Signale von Kindern und Jugendlichen von Anfang an ernst zu nehmen. Die seien oft unspezifisch. Er habe die Abneigung seines Sohnes gegen die Schule völlig fehlgedeutet. Die Betreuer dort hätten nicht darauf reagiert, als Niels sich beschwert habe, der Täter komme regelmäßig in sein Zimmer im Internat. „Eltern müssen wissen, dass sexueller Missbrauch nichts Unwahrscheinliches ist. Leider gesteht die evangelische Kirche sich das trotz dreier Synoden zum Thema nicht ein“, sagte Stein.
Stein und Kracht wollen beide weiterarbeiten. Sie erwarten eine Entschädigung für Betroffene, dass die EKD sich der Wahrheit stellt und die Verantwortung für die Aufklärung abgibt.
Eine Antwort
Kirchenrecht abschaffen. Alles muß nach Staatsrecht untersucht und beurteilt und verurteilt werden.