Myanmar: Proteste gegen Militärs schweißt Minderheiten zusammen

Anfang Februar hat die Armee in Myanmar gegen die Partei der Regierungschefin Aung San Suu Kyi geputscht. An den Protesten dagegen beteiligen sich auch Christen.
Von Jörn Schumacher
Myanmar

Seit dem Beginn der Demonstrationen gegen den Militärputsch in Myanmar wurden etwa 250 Menschen getötet, rund 2.400 Menschen festgenommen. An den Kundgebungen nehmen auch zahlreiche katholische Ordensschwestern teil. Das Bild einer katholischen Nonne, die vor Polizisten kniet und diese bittet, sie selbst anstatt junger Demonstranten zu erschießen, wurde vor einigen Tagen zum Symbol friedlicher Proteste gegen den Militärputsch in dem südostasiatischen Land. Papst Franziskus hat in der vergangenen Woche zu einem Ende der Gewalt gegen Demonstranten der Demokratie-Bewegung aufgerufen. In einer Videobotschaft sagte er: „Auch ich knie in den Straßen von Myanmar.“ Er fügte hinzu: „Die Gewalt muss aufhören.“

Ein Experte der Hilfsorganisation Open Doors, der in der Region lebt, betont gegenüber pro, dass Christen in Myanmar wie die Kachin, Chin oder Karen zu den ethnischen Minderheiten in Myanmar gehören und bereits vor dem erneuten Militärputsch „häufig vom anhaltenden Kampf des Militärs gegen aufständische Armeen betroffen“ seien. Thomas Müller (der Name wurde aus Sicherheitsgründen von Open Doors geändert), Analyst von Open Doors für Asien, teilte mit: „Mehr als 100.000 Christen leben als Binnenvertriebene in Camps in Kachin, weitere Zehntausende in Camps in Thailand.“ Einige Christen seien nach Indien geflohen. Der Insider sagte: „Es ist zunehmend schwieriger geworden, verlässliche Nachrichten aus den Konfliktgebieten zu erhalten.“

Der Schwerpunkt der Aktionen des Militärs und des buddhistischen Nationalismus radikaler Mönche habe auf der muslimischen Minderheit gelegen, vor allem den Rohingya. „Aber die Situation der Christen ist ebenfalls schwierig, wenn auch auf anderem Niveau“, so Müller. „Grundsätzlich können Christen ihren Glauben leben, vor allem, wenn sie für sich bleiben und nicht etwa missionarisch aktiv werden.“ Da Christen aber zu den ethnischen Minderheiten gehörten, gebe es viel Misstrauen ihnen gegenüber. „Es gibt Berichte darüber, dass radikale Buddhisten Tempel auf oder direkt neben Kirchengebäuden errichtet haben und dass Kinder von Christen zwar in die kostenlosen vom Staat betriebenen Internatsschulen in den Grenzprovinzen gehen dürfen („NaTaLa-Schulen“), sie dort aber mit buddhistischer Lehre indoktriniert werden.“

Die Christen in Myanmar seien grundsätzlich vom Militärcoup genauso betroffen wie alle anderen Gruppen. Es gebe allerdings Berichte aus Lashio im Kachin-Staat, dass eine Baptistengemeinde durchsucht und Pastoren verhaftet wurden, nachdem die Gemeinde Demonstranten Zuflucht gewährt hatte. Und durch die mit dem Putsch einhergehende Internetsperre könnten Gottesdienste auch nicht mehr online durchgeführt werden. „Physische Treffen waren wegen der Pandemie bereits eingeschränkt, aber nun führen auch Ausgangssperren zu weiteren Begrenzungen.“

Habe bislang unter der burmesischen Mehrheitsbevölkerung („Bama“) eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den ethnischen Minderheiten geherrscht, scheine sich das durch den Putsch gerade zu ändern, so der Experte. Ein Beobachter habe den Putsch daher als einen „großen Gleichmacher“ bezeichnet. „Ob man Bama, Rohingya, Kachin oder Karen ist, alle haben nun den gleichen Gegner“, sagt Müller.

Myanmar

Myanmar erlangte 1948 die Unabhängigkeit von den Briten. Seit 1962 stand das Land immer wieder unter Militärherrschaft. Bei einem Putsch am 1. Februar 2021 riss das Militär die gesamte Staatsgewalt wieder an sich. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hatten die Generäle viele Jahre lang unter Hausarrest gestellt. Seit 2016 ist sie Regierungschefin und Außenministerin von Myanmar. Über ihre derzeitigen Verbleib nach dem Putsch am 1. Februar ist nichts bekannt. Laut der Hilfsorganisation „Open Doors“ sind von den 54,81 Millionen Bewohnern Myanmars 4,36 Millionen Christen. Größte Religion ist mit 88 Prozent der Buddhismus, das Christentum ist mit 6,2 Prozent vertreten, gefolgt vom Islam mit 4,3 Prozent. Bei „Open Doors“ rangiert Myanmar auf dem Weltverfolgungsindex auf Platz 18. Christen seien im Land einerseits durch extremistische Anhänger des Buddhismus und andererseits durch Nationalisten gefährdet.

Auf die Frage, inwiefern auch Christen sich an den Demonstrationen gegen die Militärführung beteiligen, sagte die Quelle, auch Christen seien beteiligt, und sie versuchten friedlich Widerstand zu leisten. „Aber auch politisch sind Christen an prominenter Stelle aktiv. Ein Beispiel hierfür ist Dr. Sa Sa, ein Christ aus dem Volk der Chin. Er wurde von der ‚Gegenregierung‘ als Botschafter Myanmars bei den Vereinten Nationen eingesetzt und direkt vom Militär des Hochverrats angeklagt.“ Andererseits wollten von den 8 Prozent Christen im Land viele nicht protestieren, „da es zu mehr Gewalt führt, selbst wenn die Absicht der Protestierenden ist, friedlich zu bleiben“.

„Militärs wollen Zwietracht unter den Religionen säen“

Der deutsche Filmemacher Detlev Neufert lebte zwölf Jahre in Asien und hat erst vor kurzem einen Dokumentarfilm über eine christliche Schule in Myanmar gedreht. „Ich habe nicht die Erfahrung gemacht, dass in der neuen Generation Myanmars ein Konflikt zwischen den Religionen herrscht“, sagt der Filmemacher gegenüber pro. Er betont, dass er damit vor allem die heranwachsende Generation meint. „Es gibt keine Christenverfolgung, wie man sie aus arabischen Ländern kennt. Kirchen sind offen, Gottesdienste werden abgehalten“, so Neufert.

Durch den Militärputsch würden die verschiedenen Ethnien derzeit allerdings immer mehr zusammengeschweißt, besonders Christen und Buddhisten. Dass Myanmar auf Platz 18 des Weltverfolgungsindex steht, kann Neufert nicht nachvollziehen. Man dürfe nicht aus Einzelfällen eine allgemein gültige Problematik für ein ganzes Land machen, so der Regisseur. Ein Beispiel dafür, dass Christen nicht grundsätzlich drangsaliert werden, sei die christliche Schule, die er in seinem Film zeige. Dabei sei Bagan ein Zentrum des Buddhismus, und die Schule stehe sogar neben einem buddhistischen Kloster. „Da es eine christliche Schule ist, werden dort auch christliche Lieder gesungen. Da flogen schon einmal Steine über die Mauer. Inzwischen verstünden sich die Nachbarn aber sehr gut, so Neufert, und man treffe sich zum gemeinsamen Teetrinken.

Von Angriffen der Militärs speziell auf christliche Einrichtungen ist Neufert nichts bekannt. Vorstellen kann er es sich allerdings sehr gut, dass so etwas passiere. „Die Armeen brauchen Personal. Da kann es sein, dass sie auch unter den christlichen Studenten zwangsrekrutieren. Die Soldaten entführen Kinder und verpflichten sie zum Schleppen der Waffen. Sie brennen Dörfer nieder, vergewaltigen, all das ist in Myanmar immer noch präsent. Wenn so etwas passiert, sind die Christen die ersten, die es trifft, denn sie werden als die Vertreter der Fremd-Religion gesehen.“

Neufert sagt weiter: „Die Militärs versuchen, Zwietracht unter den Religionen zu säen: Christen gegen Buddhisten, Muslime gegen Buddhisten und so weiter. Neufert ist auch ein Fall bekannt, wo vor einer Woche Militär eine Kirche stürmte, „weil sich dorthin Demonstranten zurückgezogen hatten“. Neufert: „Die Soldaten sind sehr brutal. Sie haben die Menschen dort zusammengeschlagen und die Priester verhaftet – und sie später wieder freigelassen. Sie stürmen aber auch buddhistische Tempel.“ Was er aus Myanmar höre, zeige für ihn: „Das Verhältnis der Religionen untereinander hat sich in letzter Zeit eher verbessert. Denn sie merken mittlerweile, dass der Feind nicht der Angehörige der anderen Religion ist, sondern Terror-Generäle der Armee, die das Land ausbeuten.“

Detlev Neufert

Detlev Neufert studierte Philosophie, Germanistik und Theologie und hat seit den 70er Jahren zahlreiche Dokumentationen gedreht. Er war Gastprofessor für Deutschen Film an der University of California in Santa Barbara, war Bundesvorstand der deutschen Kunstpartei Chance 2000 an der Seite von Christoph Schlingensief. Aus Asien berichtete er für ARD und ZDF sowie für die Süddeutsche Zeitung, Rheinische Post, die Westdeutsche Zeitung und den epd. Im Jahr 2015 veröffentlichte er das Buch „Jesus: Das Interview. Neues vom Auferstandenen“, in Jesus Fragen stellt und der wie in einem Interview antwortet. Zuletzt drehte Neufert den Dokumentarfilm „B.B. und die Schule am Fluss“ über eine christliche Schule in Bagan, Myanmar. Die Schule wurde von der gemeinnützigen deutschen Myanmar-Stiftung gegründet. Neufert lebt mittlerweile am Chiemsee, hat aber weiterhin täglich Kontakt zu seinem Team in Myanmar.

Auf die Frage, wen die Christen im Land am liebsten an der Macht sähen, antwortet Neufert: „Alle Christen, die ich im Land kenne, stehen hinter Aung San Suu Kyi. Sie ist in ihren Augen die einzige, die alle Nicht-Militärangehörigen verbinden kann.“ In ihrer Regierung säßen christliche Minister, betont Neufert. „Der Vertreter der Regierungspartei, Mahn Win Khaing Than, ist Christ“, so Neufert. Das zeigt, dass die Christen auch in der Politik akzeptiert sind. Und offiziell ist diese Regierung ja noch im Amt.“

Um die Militär in die Knie zu zwingen, sei es notwendig, im Westen Sanktionen gegenüber Firmen durchzusetzen, die in Myanmar tätig sind. Außerdem sollten die westlichen Regierungschefs Aung San Suu Kyi zu Staatsbesuchen einladen. „Dass sie wahrscheinlich nicht kommen kann, ist eine andere Frage“, sagt Neufert, „aber es geht um das Symbol gegenüber den Militärvertretern, dass der Westen weiterhin an dieser gewählten Regierung festhält.“ Er selbst habe vor kurzem einen entsprechenden Aufruf an Bundeskanzlerin Angela Merkel und an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, geschrieben.

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Eine Antwort

  1. Dürfen Christen denn Widerstand leisten? In einem Kommentar zu den Querdenkern war hier doch kürzlich zu lesen: „Christen sollten auch nicht vergessen, dass Gott sie wiederholt zum Gehorsam der Regierung gegenüber verpflichtet hat, selbst wenn diese falsche oder ungerechte Entscheidungen fassen sollte (Röm 13, 1f.; 1. Petr 2, 13–15).“

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