Der Film „Lovemobil“ (pro berichtete) hat etliche Preise abgeräumt. Der NDR hat den Film mitproduziert, sich aber jetzt davon distanziert. Wie es in einer Pressemitteilung des Senders heißt, zeige der Film der Autorin Elke Margarete Lehrenkrauss in weiten Strecken Szenen, die nicht authentisch seien.
Recherchen der NDR-Redaktion STRG_F haben herausgefunden, dass die Autorin zwar viele Jahre für den Inhalt recherchiert hat. Kritisiert wird aber, dass zentrale Protagonisten nicht von ihren persönlichen Erfahrungen berichten, sondern eine Rolle spielen. Der Film war unter anderem aus Mitteln der Nordmedia Filmförderung finanziert worden. Die NDR-Dokumentarfilmredaktion war als Ko-Produzent beteiligt.
Entwürdigende Umstände für Prostituierte
Der Beitrag beschreibt das Leben von Prostituierten, die unter entwürdigenden Umständen in Wohnmobilen am Rande von Bundesstraßen in Niedersachsen arbeiten. Der Film ist weltweit auf Festivals gelaufen. Im Juli 2020 wurde er mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet und ist für den Grimme-Preis nominiert.
STRG_F hatte Informationen aus dem Umfeld der Produktion bekommen und war nach eigenen Nachforschungen auf Unstimmigkeiten gestoßen. Im Interview mit STRG_F räumte Lehrenkrauss ein, es versäumt zu haben, den NDR über die Inszenierungen zu informieren. Sie bereue das und behaupte zugleich, der NDR habe nicht nachgefragt, so der Sender.
Ihre Vorgehensweise bei der Erstellung des Films verteidigte sie: „Ich kann mir auf jeden Fall nicht vorwerfen, die Realität verfälscht zu haben, weil diese Realität, die ich in dem Film geschaffen habe, ist eine viel authentischere Realität.“ Sie räumte aber zugleich ein, dass sie auch Bekannte als Darstellerinnen eingesetzt hat.
Freier war Bekannter der Autorin
Zudem sei die Prostituierte „Rita“ im Film „Lovemobil“ gar keine Prostituierte. Laut Lehrenkrauss soll „Rita“ Geschichten von anderen Prostituierten nachgespielt haben. Auch die Protagonistin „Milena“ arbeite nicht wie im Film dargestellt als Prostituierte an der Landstraße, sondern war nur für die Dreharbeiten in Niedersachsen. Einer der gezeigten „Freier“ soll ein Bekannter der Autorin sein.
Die NDR-Dokumentarfilmredaktion hatte den Film redaktionell begleitet und abgenommen. Grundlagen waren ein Exposé und eine Kalkulation über einen Dokumentarfilm. Die Redaktion war während der mehrjährigen Produktionszeit nach eigenen Angaben zu keinem Zeitpunkt über die Inszenierungen informiert worden. Den Vorwurf, keine Nachfragen zur Authentizität gestellt zu haben, wies die Redaktion zurück.
Programmdirektor: Film gaukelt etwas vor
Aus Sicht von Frank Beckmann, Programmdirektion Fernsehen, entspreche der Film „Lovemobil“ nicht den Standards, die der NDR an dokumentarisches Erzählen anlege. Er gaukele dem Publikum eine Authentizität vor, die er nicht hat. Der NDR werde den Sachverhalt in seinen Programmen transparent machen und unabhängig berichten. Es gehe darum, sich vor Irreführungen zu schützen sowie Fiktion und Wirklichkeit sauber zu trennen.
Der NDR hatte bereits im Kulturjournal am gestrigen Montag um 22:45 Uhr den Fall transparent gemacht. Das investigative Reportageformat STRG_F (NDR für funk) wird am Dienstag, 23. März 2021 um 17 Uhr, auf dem Youtube-Kanal von STRG_F berichten. Zu Wort kommen sollen dann auch Protagonistinnen des Films sowie die Autorin. Im NDR Fernsehen berichtet Panorama 3 (Dienstag, 23. März, 21:15 Uhr). Der Film wurde vorerst aus der ARD Mediathek genommen und für Wiederholungen gesperrt.
Die Filmwissenschaftlerin Masha Matzke hat sich dagegen hinter die Filmemacherin gestellt. Sie gehört der Jury des Friedensfilmpreises Osnabrück an: Sie schreibt in ihrer Stellungnahme, die auf der Website des Films erschien: „Filmische Grenzbewegungen des Dokumentarischen und Fiktiven sind in der Kinogeschichte fest verankert und gehören bis heute zu den gängigsten und interessantesten Ausdrucksformen.“
Alle Filmformen besetzten eine Wirklichkeitsebene, „in welcher Szenen und Ereignisse selektiert, komponiert und konstruiert werden“. Der Film suggeriere keineswegs verräterisch „ein Objektivitätspostulat einer journalistischen Berichterstattung“.
3 Antworten
Die prostituierten Frauen waren Schauspielerinnen, der Freier ein Bekannter, der Zuhälter kein Zuhälter. An keiner Stelle wurde deutlich gemacht, dass Szenen inszeniert oder nachgestellt wurden. Selbst Mitwirkende wurden über ihre „Rolle“ im Unklaren gelassen. „Lovemobil“ sollte eine Dokumentation sein. Ist es aber nicht, sondern ein Spielfilm. Ich fühle mich durch die Regisseurin betrogen.
Dieser Betrug ist letztlich ein Betrug an den Frauen, die sich prostituieren (müssen). Ihre Schicksale zu dokumentieren ist mehr als nötig, damit gesellschaftliche und politische Konsequenzen gezogen werden. Genau dieses Anliegen hat die Filmemacherin nun ins Gegenteil verkehrt. Traurig.
Also ich kenne den Film nicht. Aber erwartet denn tatsächlich jemand, dass in einem Prostituierten-Wohnmobil, während die „Dienstleistung“ erbracht wird, ein Fernsehteam zu Dokumentationszwecken mitfilmen sollte?????
Bei einer solchen Reportage würde ich ganz selbstverständlich davon ausgehen dass es sich um nachgestelte Szenen handelt – und wäre entsetzt wenn dem nicht so wäre.
Man braucht nur mal historische Dokumentationen anschauen wo ein Kaiser Nero auftritt oder Gladiatorenkämpfe im alten Rom gezeigt werden. Ist jemand schockiert dass es keine authentischen Aufnahmen sind? Da regt sich niemand auf und die Programme werden nicht abgesetzt.
Aber wenn Szenen aus dem Rotlichtmillieu nachgestellt werden reagiert man pikiert?
In welcher Welt leben wir denn?
Natürlich sollten die Aufnahmen mit „nachgestellte Szene“ gekennzeichnet sein, um Verwechslungen auszuschließen.