„Train your baby like a dog“ (Trainiere dein Baby wie einen Hund) heißt eine neue Reality-Show bei RTL. Der Sender hat das Format von einer gleichnamigen britischen Show adaptiert. Schon der Titel irritiert. Das eigene Kind wie einen Hund abrichten? In der Sendung selbst geht es um Folgendes: Hundetrainerin Aurea Verebes besucht Familien, die mit der Erziehung ihrer Kinder nicht zurechtkommen. Um die Kinder in die richtigen Bahnen zu lenken, wird ein sogenanntes „Clicker-Training“ angewendet, das aus der Hunderziehung bekannt ist. Macht das Kind, was man ihm sagt, hört es ein Klick-Geräusch und bekommt eine Belohnung. Der Clicker soll laut der Hundetrainerin nur mit positiven Erlebnissen und Erfahrungen in Verbindung gebracht werden. In Einspielern vergleicht Verebes das Verhalten der Kinder zudem immer mit dem ihres Hundes Charly und den Fachbegriffen aus der Hundeerziehung.
Das irritiert wieder. Und dann noch mehr, als die Hundetrainerin erklärt, die Gehirne von Kindern und Hunden funktionierten gleich, da es sich bei beiden um Säugetiere handele. Wenn der Zuschauer bis hierhin durchgehalten hat, schüttelt er jetzt nur noch ungläubig den Kopf. Zur der Sendung gab es bereits im Vorfeld Kritik. Vor allem wegen des Titels. „Der Titel dieser Sendung, die wie ein Imperativ daherkommt, widerspricht dem Menschenbild unserer Verfassung“, schreiben der Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort und der Strafrechtler Gerhard Strate in einem Brief an RTL-Geschäftsführer Jörg Graf. Der Titel „verstößt gegen die Menschenwürde und ist ein unzulässiges Angebot“ im Sinne des Staatsvertrags zum Jugendmedienschutz, zitiert die Zeitung Die Welt die beiden. „Sollte RTL darauf bestehen, die Sendung auszustrahlen, die die ‚Übertragung von Methoden des Hundetrainings auf die Erziehung von Kindern propagiert‘, kündigen die Autoren die Einschaltung der Landesmedienanstalt Niedersachsens an“, heißt es weiter in dem Artikel. Schulte-Markwort und Strate ergänzen aber auch: „Die Sendung kennen wir nicht, solange sie noch nicht ausgestrahlt ist. Der Titel ist die Entgleisung. Er ist reißerisch und soll hängen bleiben. Diese Intention widerspricht den Vorgaben des Staatsvertrags.“
Die Methoden sind nicht neu
Tatsächlich ist die Sendung beim Anschauen zumindest in manchen Teilen nicht ganz so schlimm, wie befürchtet. Verebes‘ Erziehungsansätze sind eigentlich nicht schlecht. Wenn nur nicht der ständige Vergleich mit dem Hund und das Clicker-Training wären.
Die kleine Pia hat zum Beispiel große Angst vor ihrem Kinderbettchen und vor der Zahnbürste. Beim Anblick von beidem oder beim Versuch, sie in ihrem eigenen Bett schlafen zu legen oder ihr die Zähne zu putzen, schreit sie wie am Spieß. Die Eltern versuchen es zumindest beim Zähneputzen bisher mit Gewalt. Der Ansatz von Verebes, das Kind sowohl an ihr eigenes Bettchen als auch an das Zähneputzen spielerisch heranzuführen – zum Beispiel durch eine neue Bettdecke, die mit positiven Erlebnissen verknüpft wird, oder durch eine neue Zahnbürste und das Probieren der Zahncreme – ist eine gute Sache. Aber auch keine neue Methode. Wahrscheinlich waren viele Eltern damit schon erfolgreich. Doch im nächsten Moment ertönt schon wieder der Clicker und es gibt für Pia eine Belohnung, als sie selbständig in ihr Bettchen klettert.
Die vierjährige Ayla hat ein Aggressionsproblem, schlägt und beißt Mutter und Schwester. Verebes deckt auf, dass es an einer liebevollen Beziehung zwischen Mutter und Tochter mangelt, das Kind Aufmerksamkeit sucht. Das erkennt sogar die Mutter, als sie sich Aufnahmen ansieht: „Ich bin echt gemein zu ihr.“ Die Mutter müsse die Körpersprache ihres Kindes besser kennenlernen und auch mal Lob aussprechen, statt ständiger Ermahnungen und Kritik. Zu diesem Schluss kommt selbst der kinderlose Zuschauer. Tatsächlich bessert sich die Situation mit einer liebevolleren Beziehung und dadurch, das Kind ans kreative Spielen heranzuführen. Doch schon ertönt wieder der Clicker. Als Verebes der Vierjährigen erklärt, bei jedem Klick würde etwas Gutes passieren und ihr danach eine Himbeere in den Mund schiebt, will man eigentlich gar nicht mehr hinschauen. Danach ist die Mutter dran mit Klicken und Himbeeren füttern – wie beim Abrichten eines Hundes. Man schämt sich beinahe, weiter hinzuschauen.
Noch ungläubiger bleibt man als Zuschauer zurück, als der Kinder- und Jugendpsychologe Niko Hüllemann, der die Sendung begleitet, zu dieser Szene erklärt, das habe Mutter und Tochter doch großen Spaß gemacht und eigentlich sei dieses Spiel ja auch nicht anders als andere Gesellschaftsspiele. Wie bitte?
„Das hat nichts mit Liebe zu tun“
RTL selbst erklärt zur Sendung: „Das Thema Erziehung stellt viele Eltern, durch alle sozialen Schichten, vor große Herausforderungen. Wir möchten uns damit beschäftigen und haben für die Sendung bewusst eine provokante These aufgestellt. Den Familien ist die Hilfe sehr willkommen, sie sind sich des Experiments bewusst und vor allem: Es geht ihnen gut und sie können auch nach der Produktion von ersten Erfolgen der Trainingsmethode berichten.“
Bereits im vergangenen Jahr berichtete die österreichische Zeitung Der Standard über das britische Original der Sendung. Sie zitierte die Wiener Familientherapeutin Sandra Teml-Jetter: „Das Kind kann nur zwischen den Optionen Bestrafung oder Belohnung wählen – und dem, was es will, wird kein Raum gegeben.“ Und weiter: „Durch Erziehungsmethoden dieser Art entsteht eine traumatische Bindung, die nichts mit Liebe zu tun hat.“
Als Zuschauer möchte man RTL und den entsprechenden Eltern eigentlich nur sagen: Hört endlich auf, Kinder zu Unterhaltungszwecken vor die Kamera zu zerren und überlasst das Sich-zur-Schau-Stellen in solchen Formaten Erwachsenen, die (hoffentlich) wissen, worauf sie sich einlassen.