pro: Professor Kreutz, heute schon Musik gemacht?
Gunter Kreutz: Gemacht noch nicht, aber gehört. Nach dem Mittagessen, zur Entspannung.
Was haben Sie denn gehört?
Ziemlich abgefahrene Musik, eine Gruppe um den Bassisten Michael League: „Snarky Puppy“, eher etwas für Insider.
Diese Musik ist aber bisweilen eher stressig. Entspannen würden die meisten Menschen dabei nicht, oder?
Musik ist Geschmackssache. Wir wissen selbst am besten, was wir gerne mögen. Die einen entspannen bei Heavy Metal, die anderen würden dabei die Wände hochklettern.
Musik ist Geschmackssache. Wir wissen selbst am besten, was wir gerne mögen. Die einen entspannen bei Heavy Metal, die anderen würden dabei die Wände hochklettern.
Musik ist Geschmackssache. Wir wissen selbst am besten, was wir gerne mögen. Die einen entspannen bei Heavy Metal, die anderen würden dabei die Wände hochklettern.
Was passiert eigentlich mit uns, wenn wir Musik hören?
Es ist ein Gesamtpaket aus verschiedenen Wirkungsebenen, wie die Forschung der letzten 20 Jahre gezeigt hat. Das Hörzentrum wird angeregt, das Hirn analysiert Klänge auf ihre Bedeutung. Es fragt sich: Kenne ich diesen Klang? Womit verbinde ich ihn? Kann ich vorhersagen, was als nächstes passiert? Man verbindet mit den Klängen Emotionen. Sie können beruhigend anmuten, anregend, aggressiv oder furchtsam. Sie können den Hörer emotional anrühren. Das müssen sie aber nicht zwingend: Ich kann eine fröhliche Musik hören, mich aber ärgern, weil ich das Stück öde finde.
Macht es einen Unterschied, ob wir Musik aus der Konserve oder auf einem Konzert erleben?
Auf einem Konzert verhalten wir uns toleranter. Wir lauschen auch Stücken, die uns nicht unbedingt gefallen, weil wir die Musiker in Aktion sehen. Der Geschmack verbreitert sich, wir würdigen die Menschen auf der Bühne. Die Menschen um einen herum verstärken die Wirkung der Musik.
Musik ist also auch ein Gemeinschaftserlebnis.
Das gehört fest zur Entwicklung von Musik. Sie wurde immer in Verbänden zelebriert. Früher lief niemand schweigend mit einem In-Ear-Kopfhörer an seinen Mitmenschen vorbei. Es wurde beim Arbeiten gesungen, gemeinsam gefeiert, Musik und Gemeinschaft gehörten zusammen.
Im Moment kann man nur schwer gemeinsam musizieren. Was verlieren wir dadurch?
Man könnte ketzerisch sagen: Wir hören doch sogar immer mehr Musik. Im Zug finden Sie niemanden mehr ohne Kopfhörer, die Streamingdienste verzeichnen Rekordzuwächse. Etwas anderes sollte Sorge bereiten: Wir erziehen unsere Kinder seit Jahrzehnten viel zu wenig hin zur aktiven Musik. Das war schon vor Corona so. Wenn wir Kinder flächendeckend nicht mehr mit Chören und Musikunterricht erreichen, können wir nicht erwarten, dass sie später zu eifrigen Konzertbesuchern werden. Untersuchungen zeigen, dass Konzerte hauptsächlich von Musikern besucht werden. Dieser Schaden ist viel größer als ein oder zwei Jahre Pandemie.
Hat es einen positiven Effekt, wenn wir uns nicht nur berieseln lassen, sondern selber musizieren?
Aktives Musikhören bewirkt viel in uns, das ist etwas ganz anderes, als sich berieseln zu lassen. Wenn wir mit anderen zusammen im Chor singen und starke Gefühle damit verbinden, hat das körperliche Folgen. Das Gehirn spiegelt dieses Wohlbefinden. Es schüttet körpereigene Opiate und Bindungshormone aus. Musizieren ist daher gut für unser Wohlbefinden, auch wenn wir noch nicht wissen, welche langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen damit verbunden sind. Wenn Kinder ein Instrument erlernen, schaffen sie damit eine wichtige Grundlage für ihre spätere Musikalität. Die meisten Chorsänger haben früher ein Instrument erlernt.
Musik hat in der Kirche schon immer eine große Rolle gespielt. Warum reicht das gesprochene Wort nicht aus?
Weil Menschen sich als Einheit fühlen, wenn sie gemeinsam singen. Man weiß, was im anderen vorgeht – weil er gerade dasselbe macht. Das ist bei einer bloßen Wortansprache nicht möglich. Man denkt nicht darüber nach, ob der Singnachbar eine andere Meinung, Herkunft oder Kultur hat, sondern man erlebt das Gefühl, gemeinsame Werte wie den Glauben zu teilen. Das schafft Empathie und Sympathie.
Wie wichtig ist das für die Gemeinschaft in der Kirche?
Von diesem gemeinschaftlichen Musikerleben lebt eine Gemeinde, sie ist die Lebensversicherung der Kirchen. Wenn das wegbricht oder zumindest angegriffen ist, hat das Konsequenzen. Deswegen ist der Leidensdruck in den Kirchen hoch. Sie sind wichtige gesellschaftliche Stützen, die helfen, die Krise besser zu bewältigen. Sie tun ihr Bestes, schränken sich aber gerade beim Gesang ein, weil das Infektionsrisiko zu hoch ist, wenn zu viele Menschen gleichzeitig singen. Deswegen ist es sinnvoll, auf gemeinsamen Gesang zu verzichten. Auch wenn es sehr schwer fällt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Gunter Kreutz ist Professor für Systematische Musikwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind psychologische, körperliche und soziale Bedeutungen von Musizieren, Singen und Tanzen unter Laien.
Die Fragen stellte Nicolai Franz.