Fast 150.000 Menschen aus 183 Ländern haben die digitalen Angebote der Buchmesse genutzt. Insgesamt gab es 422 digitale Aussteller aus 103 Ländern, die sich auf der Plattform „buchmesse.de“ registriert haben. Die christlichen Verlage ziehen ein gemischtes Fazit des alternativen Formates.
Ralf Tibusek vom Brunnen-Verlag betont, dass die Messe für den Verlag immer vier Standbeine gehabt hat. Einerseits diente sie der Präsentation und dem Verkauf des Programms. In diesem Segment habe Frankfurt seit Jahren bereits an Bedeutung verloren. Darüber hinaus habe der Verlag die Messe zum Einkauf von internationalen Lizenzen genutzt. Weil in diesem Jahr keine der internationalen Buchmessen stattgefunden habe, habe sich dieses Geschäft auf den elektronischen Weg verlagert. Dies sei für einen gewissen Zeitraum möglich, aber keine langfristige Lösung.
Messeausfall durch Ersatzkontakte ausgleichen
Der Verkauf von Lizenzen an internationale Partner ist das dritte Standbein. In dieser Hinsicht sei Frankfurt wichtig, „aber es gibt bestehende andere Kontaktmöglichkeiten“, sagt Tibusek. An den Publikumstagen gehe es vor allem um den Kontakt mit den Lesern. Hier gebe es aber auch, nicht nur mit den Veranstaltungen im Jubiläumsjahr, zahlreiche andere Formate und Kanäle, um die Leser zu erreichen. Der Verlag hat in diesem Jahr auch nicht das digitale Angebot in Frankfurt genutzt.
In den vergangenen Jahren seien die internationalen geschäftlichen Absprachen, die in Frankfurt angebahnt wurden, immer auch ein wirtschaftlicher Faktor gewesen. Tibusek ist „guter Dinge“, dass der Messeausfall durch „unsere Ersatzkontakte“ ausgeglichen werden konnte. Weil der Verlag die meisten Bücher über den Handel vor Ort verkaufe, sei in Zeiten von Corona der Umsatz eingebrochen: „Den einzelnen Händler vor Ort hat es noch stärker getroffen. Unser Verlag konnte einfacher auf andere Vertriebskanäle ausweichen, ist aber wie alle Verlage deutlich gebeutelt worden. Bestimmte Umsätze sind nicht nachzuholen, sondern einfach ‚verloren‘.“
Für den Marketing-Chef des Marburger Francke-Verlags, Christian Heinritz, hat sich die Buchmesse schon vor Jahren von einer Verkaufsveranstaltung zu einer Kontakt-Börse gewandelt. Von daher könne er den „wirtschaftlichen Faktor“ nur sehr ungenau berechnen. Durch den Siegeszug der elektronischen Medien habe die Buchmesse an Bedeutung eingebüßt: „Trotzdem sind Termine, die das Lektorat mit amerikanischen lizenzgebenden Verlagen macht, wichtig. Gespräche mit den Buchhändlern finden dagegen immer seltener statt.“
„Für den Umsatz ist die Messe kein relevanter Faktor“
Dennoch spiele die Messe immer noch eine Rolle als Netzwerk-Plattform, auch weil das Knüpfen von Kontakten direkt vor Ort einfach besser funktioniere: „Die diesjährige Art der Durchführung stellt für uns keine praktikable Lösung dar.“ Für den Verlag selbst stelle sich auch unter den verschärften Corona-Bedingungen die Situation erstaunlicherweise positiv dar: „Zu denken gibt uns allerdings die Geschwindigkeit, mit der sich der Buchverkauf in den letzten Monaten vom stationären Buchhandel zu den Netzanbietern verlagert hat. Es wäre bedauerlich, wenn christliche Buchhandlungen und die christliche Botschaft bald vollkommen aus unserem Städtebild verschwunden wären.“
Jürgen Asshoff, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des SCM-Verlags, teilte auf pro-Anfrage mit, dass sein Verlag in diesem Jahr coronabedingt gar nicht an der Buchmesse teilgenommen hat. Auch er teilt die Ansichten, dass die Buchmesse „tatsächlich eher als Ort zum Netzwerken und für Treffen mit Geschäftspartnern wichtig ist“. Umsatzmäßig sei die Messe kein relevanter Faktor. Eher im Gegenteil.
Programmtitel in Ein-Minuten-Clips
Für Dominik Klenk, Geschäftsführer des Schweizer fontis-Verlages, ist eine digitale Messe in Zukunft keine Alternative. Er beobachtet, dass sich die Veranstaltung bereits in den vergangenen Jahren verändert hat: von der Verkaufs- zur Kontaktmesse: „Die Kontaktmöglichkeiten der persönlichen Begegnung waren in diesem Jahr nicht gegeben. Als digitalen Kontaktraum braucht man die Buchmesse nicht. Das geht inzwischen unterjährig genauso.“
Der wirtschaftliche Faktor der Messe werde zunehmend unbedeutend im Sinne der Verkäufe oder von Geschäften vor Ort: „Die Messe als öffentlicher und medialer Aufmerksamkeitsknotenpunkt war sicher wichtig, um das Buch medial nach vorne zu schieben.“ Für den fontis-Verlag sei der Lockdown hart gewesen und hätte einschneidende Folgen für die acht eigenen Buchhandlungen gehabt: „Gleichzeitig hat es uns gezwungen, uns in kurzer Zeit neu zu erfinden. Wir haben unser Privatkundengeschäft in wenigen Tagen mächtig entwickeln müssen und staunen über die neue Zugkraft. Auch im Verlag haben wir neue Formate entwickelt: so würden etliche Programmtitel in Ein-Minuten-Video-Clips als Poetry-Slam vorgestellt.
„Wir gehen nicht davon aus, dass die digitale Buchmesse die Aufmerksamkeit erreicht hat, die die Frankfurter Buchmesse normalerweise erlangt“, erklärt Johannes Popp von der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig, edition chrismon. Bislang sei die Buchmesse ein wichtiger Ort für den Verlag gewesen, um die Herbstnovitäten auch in Veranstaltungen vorzustellen, beispielsweise am chrismon-Stand oder im Lesezelt. Insofern sei die Messe auch ein wirtschaftlicher Faktor und die aktuelle digitale Präsentation leider kein Ersatz. „Die angespannte Situation im Handel und der Wegfall zahlreicher Buchpräsentationen und Lesungen sind auch für uns spürbar. Die Online-Verkäufe konnten etwas zulegen“, bilanziert Popp die Lage des eigenen Verlags.
Von: Johannes Blöcher-Weil