Gericht will Klage wegen Holocaust-Vergleichs von Abtreibungen stattgeben

Die Ärztin Kristina Hänel wird offenbar vor Gericht mit einer Klage gegen einen Abtreibungsgegner teilweise Erfolg haben. Die Gleichsetzung einer Abtreibung mit dem Holocaust in Verbindung mit der eigenen Person auf der Webseite babycaust.de muss die Ärztin nicht hinnehmen. Eine drastische Kritik dagegen schon. Das hat das Hamburger Landgericht am Freitag angekündigt.
Von Norbert Schäfer
Ärztin Kristina Hänel muss wohl nicht hinnehmen, dass sie auf der Webseite Babycaust von Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen mit dem Holocaust in Verbindung gebracht wird (Archivbild)

Die Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel hat sich vor einem Hamburger Gericht gegen Äußerungen des Abtreibungsgegners Klaus Günter Annen gewehrt. Der Abtreibungsgegner bringt auf seiner Webseite die Ärztin, die auch Abtreibungen durchführt, mit einem Bild von KZ-Aufseherinnen in Verbindung und vergleicht Abtreibungen mit dem Holocaust. Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg dürften jedoch legale Abtreibungen nicht mit dem Holocaust verglichen werden. Das erklärte das Gericht am Freitag. Aussagen, die die Ärztin als persönliche Schmähkritik empfand, bewertete das Gericht in dem Zivilprozess hingegen als zulässige Meinungsäußerung. Das Gericht wird am Montag das Urteil verkünden.

Hänel hatte sich gegen Annen gerichtlich zur Wehr gesetzt und angeführt, dass der Abtreibungsgegner ihr auf seiner Website vorgeworfen habe, das „Tor zu Auschwitz“ aufgestoßen und sie als „Entartete“ bezeichnet zu haben. Hänel wollte auch nicht hinnehmen, dass ihre Tätigkeit mit der von Holocaust-Tätern verglichen wird.

„Diejenigen Äußerungen, die den Schwangerschaftsabbruch mit Bezug auf die Person der Klägerin mit dem Holocaust vergleichen oder gleichsetzen und die Bezeichnung der Klägerin als ‚entartet‘ seien rechtswidrig“, gab ein Sprecher auf Anfrage von pro die Ansicht der Richter wieder. Das Gericht werde Annen zu Unterlassung dieser Aussagen verurteilen. Er wird die entsprechenden Passagen demnach von seiner Webseite löschen müssen. Das Gericht will Hänel zudem 5.000 Euro Entschädigung zusprechen.

Die Passage, die die Klägerin als Schmähkritik empfand, sah das Gericht aber als zulässige Meinungsäußerung an. Die Aussage „Sie, Frau Hänel, töten unschuldige und wehrlose Kinder, ein verabscheuungswürdiges und menschenverachtendes Verbrechen und an ihren Händen klebt Blut, viel Blut“ könne nicht untersagt werden. Wie der Sprecher weiter mitteilte, habe das Gericht Hänel darüber aufgeklärt, dass es die Klage abweisen müsse. Es sei zudem erkennbar, dass es Annen „zumindest auch um Kritik an der geltenden Rechtslage gehe, die Schwangerschaftsabbrüche erlaube“. Die Kritik daran dürfe auch drastisch und verstörend ausfallen. Hänel habe ihre Klage daraufhin in diesem einen Punkt zurückgezogen.

Ärztin hält Paragraf 219a für „faulen Kompromiss“

Vor dem Verfahren am Landgericht Hamburg hatte die Ärztin erklärt: „Klaus Günter Annen stellt mich und andere Ärztinnen und Ärzte auf eine Stufe mit den Verbrechern des Nationalsozialismus, die in den Konzentrationslagern Millionen Menschen unter schrecklichsten Bedingungen gequält und getötet haben.“

Hänel erkannte in den Aussagen des Abtreibungsgegners Relativierung und Verharmlosung des Holocaust. Die Webseite stelle Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen durchführen, an den Pranger. Mit ihrer Klage habe Hänel dazu beitragen wollen, „die Tabuisierung des Themas, die Kriminalisierung und Stigmatisierung der Betroffenen und des medizinischen Fachpersonals“ zu beenden. In ihrer Stellungnahme vor dem Gerichtstermin nannte Hänel die derzeitigen Regelungen des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches zur Abtreibung einen „faulen Kompromiss“.

Mit seinen Holocaustvergleichen diffamiere Annen nicht nur medizinische Fachkräfte, „sondern auch jede ungewollt Schwangere“, schreibt Hänel. Sie bekämen vermittelt, dass das, was sie täten, schlimmer sei als die Verbrechen der Nationalsozialisten.

Die Gießener Ärztin befeuert seit geraumer Zeit die Debatte über den Abtreibungsparagrafen 219a in Deutschland. Die Ärztin war zuletzt im Dezember 2019 in einem Berufungsprozess zu einer Geldstrafe von 2.500 Euro wegen Verstoßes gegen den Abtreibungsparagrafen 219a verurteilt worden. Das Landgericht Gießen (Aktenzeichen: 4 Ns – 406 Js 15031/15) urteilte, dass sich die Medizinerin mit Informationen über Abtreibungen, die sie auf ihrer Internetseite veröffentlichte, strafbar gemacht hatte, und verhängte die Geldstrafe.

Der Bundestag hatte im Februar 2019 für eine Neufassung des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches gestimmt. Durch die Reform dürfen nun Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen öffentlich darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Darüber hinaus sollen die Mediziner auf eigenen Angeboten auf weiterführende Informationen neutraler Stellen verlinken. Zu dem Kompromiss gehört außerdem, dass die Bundesärztekammer eine Liste mit Ärzten, Krankenhäusern und Einrichtungen führt, die Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des Paragrafen 218 Absatz 1 bis 3 des Strafgesetzbuches vornehmen. Diese Liste enthält auch Angaben über die dabei jeweils angewendeten Methoden.

Von: Norbert Schäfer

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