Online mit dem Gottesdienstbesucher flirten

Für mehr Ehrlichkeit in der Predigt, mehr Persönliches und Authentisches hat der Kirchen-Coach Felix Ritter geworben. Genau das komme gerade in der Coronakrise durch die neuartigen Online-Gottesdienst zum Tragen, sagt der Experte im Interview der taz.
Von Jörn Schumacher
Felix Ritter coacht Pastoren etwa für den ZDF-Fernsehgottesdienst

Mit seinen Seminarteilnehmern übe er, nicht mehr nur „Kirche zu spielen“, sondern stattdessen authentischer zu werden. Das sagte der Kirchen-Coach Felix Ritter im Interview der Tageszeitung taz. Der Dramaturg, der Germanistik, Philosophie, Psychoanalyse und Theaterwissenschaft studiert hat, coacht Pastoren etwa für den ZDF-Fernsehgottesdienst.

Es komme nicht darauf an, als Pastor besonders ernst zu wirken, so Ritter. „Viele glauben, besonders wichtige Informationen müssten ernst und seriös kommuniziert werden.“ In Zeiten von YouTube sei Ernsthaftigkeit eher hinderlich, „da hört niemand gern zu“. In der Kirche könne man jedoch „ganz normal reden“, ist Ritter überzeugt. Die Zuhörer seien immer dann am interessiertesten, wenn jemand sagt, was ihm „auf der Seele brennt“. Außerdem könne ein Zuhörer viel mehr Informationen behalten, wenn die Botschaft emotional präsentiert werde.

Auf die Frage, ob die Online-Gottesdienste in der Zeit der Coronakrise eine Chance für die Kirche seien, mehr Emotion zu vermitteln, sagt Ritter, es sei gut, dass die Kirche derzeit weniger Kontrolle über die Inhalte von Predigten habe. Während der Coronakrise gebe es nun „beinahe guerilla-mäßig neue Formen“. Ritter: „Es glauben heute mehr Menschen an etwas Übernatürliches als 1950, aber die Kirchen sind trotzdem leerer. Durch das Feedback von Menschen, die nun online teilnehmen, davor aber noch nie in einem Gottesdienst waren, wird jetzt sichtbarer, woran es liegt.“

„Ehrlichkeit, Integrität, Authentizität – und, am wichtigsten, Liebe“

Die taz fragt, warum es überhaupt der Gottesdienste bedürfe, und ob man nicht genauso gut allein beten könne, und der Kirchen-Coach antwortet: „Gottesdienst hat die Funktion, Gott mit mir ins Gespräch zu bringen. Dank der Gemeinschaft bin ich nicht allein. Die Teilnahme an einem Gottesdienst bewirkt auch, dass ich mir eine bewusste Auszeit nehme – zwischen meinen Alltagssorgen und dem Stress, den viele Menschen gerade in der jetzigen Zeit empfinden.“

In der Corona-Zeit gebe es für Pastoren neue Möglichkeiten, Persönliches preiszugeben, „vom Sofa aus zu predigen“. Der Coach sagt weiter: „Indem ich meine Alltagswelt zeige, vielleicht einen Kaffee trinke und versuche, so natürlich wie möglich zu reden, sogar zu plaudern, schaffe ich einen gemeinsamen Raum und Moment mit denen, die zuschauen.“ Ritter fordert sogar dazu auf, mit der Kamera und damit mit dem Gemeindemitglied zu „flirten“. „Flirten heißt, dass du für mich interessant bist. Ich bin neugierig auf dich. Oft fühlen sich Menschen, die allein vor anderen sprechen, einsam. Doch wenn sie flirten, flirtet die Gemeinde irgendwann auch zurück und es entsteht eine Beziehung.“

Ritter sieht zudem ein „Sprachproblem“ in der Kirche: „Ich glaube, die Postmoderne hat uns gesellschaftlich dazu erzogen – überspitzt gedacht –, nichts zu sagen.“ In der Kirche werde zwar „oft sehr lange über Themen gesprochen“, aber die Pastoren interessierten sich eigentlich „nicht wirklich“ dafür. Der Experte schlägt hingegen einen Vortragsstil wie bei den „TED-Talks“ vor, bei denen der Redner „einen Vorschlag“ mache, eine Idee mitgebe oder etwas anbiete. „Ich möchte mit klaren Ideen überrascht und nicht belehrt werden“, so Ritter.

Für das Wichtigste jedoch hält er das Vertrauen. „Das entsteht über Ehrlichkeit, Integrität, Authentizität – und, am wichtigsten, Liebe. Menschen hören einfach nicht gern zu, wenn sie nicht geliebt werden. Ich muss meinem Gegenüber vermitteln: ‚Du bist der Grund, warum ich spreche. Für dich mache ich das.‘“

Von: Jörn Schumacher

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